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Oligarchen im Kriechgang

Stephan Hille, Moskau27. Mai 2004

Die Superreichen in Russland haben es nicht leicht: Seit der Verhaftung des Ex-Yukos-Chefs sind sie gewarnt. Politische Ambitionen stoßen im Kreml auf wenig Gegenliebe. Jetzt sorgt eine neue Liste für Unmut.

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In dieser Woche soll sich entscheiden, wann der Prozess gegen den reichsten Russen und ehemaligen Chef des Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, beginnt. Seit seiner spektakulären Verhaftung im vergangenen Oktober bereitet sich der 40-jährige Ex-Unternehmer, dessen Vermögen die Zeitschrift Forbes erst kürzlich auf 15,2 Milliarden Dollar geschätzt hatte, auf die Verhandlung vor. Die Anklage wirft ihm und weiteren Hauptaktionären Steuerhinterziehung und Betrug in Milliardenhöhe vor.

Nachdem die Staatsanwaltschaft, Polizei, und Steuerbehörden über ein halbes Jahr lang Russlands größten und modernsten Ölkonzern mit immer neuen Razzien, weiteren Anklagepunkten und Steuerrückforderungen überzogen haben, könnte der bald beginnende Prozess das politische Großereignis in diesem russischen Sommer werden. Die monatelangen Ermittlungen hatten für Schockwellen an der russischen Börse sowie unter Investoren und Unternehmern gesorgt.

Chodorkowski als Exempel

Die Tatsache, dass unter den "Raubtierkapitalisten", die in den Neunziger Jahren die Filetstücke der russischen Energie- und Rohstoffwirtschaft mit eher zweifelhaften Mitteln privatisierten, nun ausgerechnet Chodorkowski auf der Anklagebank landet, zeigt, dass der Fall vor allem politisch motiviert ist. Schließlich dürfte sich kaum ein Oligarch finden, der damals nicht gegen russische Gesetze verstieß. Doch der vom schmuddeligen zum smarten Manager gewandelte Chodorkowski zeigte plötzlich politische Ambitionen und drohte, nicht nur als Unternehmer dem Kreml zu mächtig zu werden.

Alle Beobachter rechnen inzwischen damit, dass der Kreml an Chodorkowski ein Exempel statuieren wird. Mit seiner Verhaftung gingen alle übrigen Großunternehmer in Deckung und bemühen sich, wenn überhaupt nur angenehm aufzufallen.

Dollar-Milliarden und Gerüchte

Für erneute Nervosität unter Russlands Milliardären sorgte die kürzlich von der russischen Ausgabe der Zeitschrift "Forbes" veröffentliche Auflistung der 100 reichsten russischen Unternehmer, darunter auch eine Rangliste der insgesamt 36 Dollar-Milliardäre. Derart ins Rampenlicht gestellt zu werden, mögen die Superreichen überhaupt nicht, schließlich kursieren Gerüchte, wonach Chodorkowski nicht der letzte Oligarch sein wird, der in die Mühle der russischen Justiz gerät.

Seit Präsident Putin Russlands Reiche an ihre soziale Verpflichtungen erinnert hat, ist beinah schon ein sportlicher Wettkampf unter den Oligarchen ausgebrochen: Wer tut mehr für Volk und Vaterland?

Patriotische Geste

So trug der Interros-Chef und Mehrheitsbesitzer des Metallgiganten Norilsk Nickel, Wladimir Potanin seine Investitionspläne erst in den Kreml, bevor er sie den Aktionären zeigte. Ein besonderer Coup gelang Viktor Wechselberg, mit 5,9 Milliarden Dollar die Nummer 3 der "Forbes"-Liste. Der im Öl- und Aluminiumgeschäft tätige Oligarch kaufte kürzlich neun der berühmten Faberge-Eier für 100 Millionen Dollar und brachte die kostbaren Einzelstücke aus der Zarenzeit in patriotischer Geste zurück nach Russland.

Unklar ist, welche Gunst Roman Abramowitsch noch im Kreml genießt. Der Chef des Ölkonzerns Sibneft und laut "Forbes" mit 12,5 Milliarden Dollar zweitreichster Russe sorgte durch den Kauf des englischen Profi-Clubs Chelsea für Schlagzeilen. Als Gouverneur von Tschukotka, der östlichsten und einer der ärmsten Regionen Russlands, versucht er sich als Gutmensch, geriet aber auch schon in ins Augenmerk des russischen Rechnungshofes. Für Aufsehen sorgte der 37-jährige Exzentriker mit dem Kauf einer riesigen Luxusjacht. Mit an Bord soll ein kleines U-Boot sein - zum Abtauchen, falls es stürmisch werden sollte..