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Olmützer Käse und Zwetschgenschnaps

23. April 2002

- Die Angst der Tschechen vor den EU-Bürokraten

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Prag, 22.4.2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch

"Werden wir nach dem EU-Beitritt nicht mehr unsere geliebten Knödel essen oder unseren Slivovice trinken dürfen?", fragen sich viele Einwohner Tschechiens bange. Werden die gefürchteten Eurokraten mit ihren tausendseitigen Normenverordnungen und Bestimmungen die tausendjährige böhmische und mährische Kultur einebnen?

Gerüchte grassieren in Tschechien, dass die bürokratische Brüsseler Krake nicht einmal vor dem Intimsten der Tschechen halt machen wird: dem stillen Örtchen und dem gemeinschaftlichen Nachtlager. Tschechische Toilettendeckel und Kondome entsprachen nicht der EU-Norm und mussten daher angepasst werden.

"Euromythen" werden diese Halbwahrheiten im Fachjargon genannt. Das tschechische Außenministerium hat kürzlich eine Kampagne zur "Euro-Aufklarung" gestartet. Denn so lustig sich so mancher "Aberglaube" ausnimmt - etwa der Mythos, die Union schreibe vor, wie krumm eine Banane maximal sein dürfe -, dahinter verbirgt sich ein ernster Hintergrund. Denn gerade die Un- und Halbwahrheiten, welche über liebgewordene Dinge des täglichen Lebens und Bedarfs verbreitet werden, wiegen schwerer als die teilweise abstrakte Debatte über die Benes-Dekrete. Denn auch die Liebe zur EU geht zumindest teilweise durch den Magen.

Entwarnung also für die Tschechen. Weder Slivovice noch einheimischer Rum oder Olmutzer Käse sind durch die EU gefährdet. Tschechien hat beispielsweise im Fall des beliebten Zwetschgenschnapses eine dauerhafte Ausnahmeregelung aushandeln können. Der einheimische Rum bleibt auch nach EU-Beitritt derselbe, nur muss er sich umbenennen. Rum darf in der EU nur heißen, was aus Zuckerrohr gebrannt ist. Der tschechische Rum ist aber eigentlich ein Kartoffelschnaps.

Etwas anders sieht es aber mit dem Olmützer Käse, den gelben "tvaruzky" aus. Dessen Aroma lasst empfindlichere Nasen zwar eher an das sprichwörtliche "Milchprodukt" der unteren Extremitäten denken, doch ohne diese Köstlichkeit wollen die Tschechen nicht in die Europäische Union. Geklärt werden muss nur, inwieweit der Produktionsprozess den europäischen Hygienevorschriften angepasst werden muss.

Andere Euromythen sind langlebig und zäh, wie etwa die angeblichen Bestimmungen über Bananen, Kondome oder Särge. Der wahre Kern dieser Bestimmungen hat meist eine für den Verbraucher vorteilhafte grenzüberschreitende Normung als Grundlage. Jedoch erlaubt die EU bei diesen Produkten auch andere als nur Einheitsgroßen. So sollte weder der Tscheche noch der Freund speziell tschechischer Eigenheiten in Panik verfallen. Der Vereinheitlichungsdruck der Union ist weit kleiner als der praktische Nutzen, den der zukünftige Europäer daraus zieht. (fp)