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Ombudsfrau für Neonazi-Opfer

23. Januar 2012

Nach den Neonazi-Morden werden die Angehörigen der Opfer jetzt professionell betreut. Die frühere Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John will die Fehler der Vergangenheit so gut wie möglich bereinigen.

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Barbara John (Foto: dpa)
Ombudsfrau Barbara JohnBild: dpa

Mehr als 20 Jahre lang war die aus Berlin stammende CDU-Politikerin Barbara John Ausländerbeauftragte des Berliner Senats. Als sie 2003 pensioniert wurde, bedeutete das allerdings nicht, dass John von da an die Hände in den Schoß legte. Sie kümmerte sich unter anderem um Sprachförderung für Schüler. Die inzwischen 74-Jährige wurde nicht nur mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, sondern in ihrer Heimatstadt Berlin bereits mehrfach für ihr Engagement im Bereich der Integration ausgezeichnet, unter anderem mit dem Moses-Mendelssohn-Preis für Toleranz und dem Verdienstorden des Landes Berlin.

Opfer mit ihren Problemen nicht allein lassen

Vor wenigen Wochen hat Barbara John nun ihre neue Arbeit als Ombudsfrau für die Opfer der Neonazi-Mordserie aufgenommen. Die Familien seien zu lange mit ihren Problemen und ihrem Schmerz allein gelassen worden, sagt die frühere Ausländerbeauftragte. Insgesamt zehn Menschen aus verschiedenen Regionen Deutschlands sollen von den mutmaßlichen Mitgliedern der Neonazi-Terrorzelle aus Zwickau ermordet worden sein. Die Ermittlungsbehörden waren erst Ende 2011 darauf gestoßen, dass die Taten offenbar einen ausländerfeindlichen Hintergrund haben und miteinander in Zusammenhang stehen.

Die Betroffenen seien jetzt erleichtert, dass sie die Aufmerksamkeit vieler Menschen im Lande erreicht haben: "Das ist für sie schon eine Art Stütze. Aber sie müssen sich auch erst daran gewöhnen, denn vorher haben sich nur die Polizisten um sie gekümmert, die dann aber doch sehr stark in das Familienleben eingegriffen haben", sagt Barbara John.

Familien sollen spüren, dass sie dazu gehören

Die polizeilichen Befragungen im Umfeld der Familen direkt nach den Morden hätten oft dazu geführt, so John, dass das kleine soziale Netzwerk, das man sich hier geschaffen hatte, zerrissen worden sei, weil niemand mehr mit den Familien etwas zu tun haben wollte. "Das beginnt jetzt vielleicht wieder ein wenig zu heilen. Das wäre ganz wichtig, dass die Familien langsam spüren, dass sie dazu gehören."

Warum erst einmal in die falsche Richtung ermittelt worden sei und die Verbrechen nicht früher aufgedeckt worden sind, beschäftige alle Betroffenen, sagt John, denn sie seien durch die Hölle gegangen: "Erst wird der Ehemann oder der Vater oder der Bruder ermordet. Dann kommen die Ermittlungsbehörden - Polizei oder auch Verfassungsschutzleute - und beschuldigen die Familie selber, kramen jedenfalls in der Familiengeschichte herum, um irgendetwas zu finden."

Es seien massive Fehler gemacht worden, sagt Barbara John. Doch wiedergutmachen, im Sinne von 'wieder heilen', ließe sich das nicht. Jetzt kümmert sich John um die Belange von etwa 60 Betroffenen. "Es sind 22 Personen und ihre Angehörigen, die damals 2004 von dem Bombenattentat in Köln betroffen waren, viele schwer verletzt, andere verletzt. Dann sind es die zehn Familien, die ja nun einen engen Angehörigen zu beklagen haben, die neun Einwanderer - acht Türkischstämmige, ein Griechischstämmiger – und eine junge deutsche Polizistin."

Individuell um die Betroffenen kümmern

Ombudsfrau Barbara John ist jetzt gerade dabei zu erkunden, was die Opfer oder deren Angehörige dringend brauchen. Deshalb hat sie die Betroffenen gebeten, alles aufzuschreiben. Anhand dessen will sie sich ganz individuell um die Familien kümmern: "Bei einigen kenne ich schon die Probleme: Da geht es auch um ein Mehr an psychologischer Beratung. Da geht es um materielle Hilfen, da geht es um Opferrenten und dergleichen mehr."

Es gebe viele praktische Probleme, wie beispielsweise die einer Vollwaisen, die jetzt bei ihren Großeltern lebt: "Der Vater ist ermordet worden. Sie ist überhaupt nicht versorgt. Andere haben keinen sicheren Aufenthaltsstatus, der muss beschafft werden. Wieder andere möchten gern - es waren ja auch hauptsächlich Einwanderer aus der Türkei - die deutsche Staatsbürgerschaft haben." Das sind nach Ansicht Johns alles Härtefälle, die nun von Fall zu Fall geregelt werden müssen.

Ihre Erfahrungen aus der langjährigen Tätigkeit als Berliner Ausländerbeauftragte und ihre guten Verbindungen aus dieser Zeit können Barbara John jetzt bei der Lösung dieser komplizierten Aufgaben helfen: "Ich habe Kontakte in die Ministerien, die sich jetzt wieder auffrischen lassen. Ich weiß auch gut über das neue geltende Ausländerrecht Bescheid, auch über die Einwanderungs- und Einbürgerungsbedingungen."

Neonazi-Opfer sollen im kollektiven Gedächnis bleiben

Barbara John möchte, dass die Neonazi-Opfer nicht vergessen werden: "Wir brauchen Gedenktafeln für diese Menschen, entweder an den Orten, wo sie ermordet worden sind oder an einem zentraleren Ort in den Ländern." Außerdem hält John eine hochrangige unabhängige Untersuchungskommisssion für erforderlich, "die einfach mal hinguckt: Wie konnte es dazu kommen, dass bei zehn Morden nicht eine Spur, die in die rechte Ecke zeigte, verfolgt worden ist?"

Nach Ansicht von Barbara John kann ein Untersuchungsausschuss des Bundestages das nicht leisten, weil dabei immer parteipolitische Positionen eine Rolle spielen. Eine unabhängige Untersuchungskommission dagegen könnte nicht nur herausfinden, warum alles so geschehen ist, sondern welche Schlussfolgerungen sich daraus für Deutschland ergeben. Für John bedeutet das vor allem, dass die Polizeiarbeit sich ändern muss: "Wir brauchen eine viel bessere Ausbildung der Polizisten, viel mehr Sensibilität dafür, was es bedeutet, Polizeiarbeit in einer Einwanderungsgesellschaft zu machen."

Junge Migranten bei der Polizei (Foto: DW)
Polizeianwärter mit MigrationshintergrundBild: DW

Autorin: Sabine Ripperger
Redaktion: Friederike Schulz