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One World Festival

2. Dezember 2009

Fotografieren für die Freiheit - das war das Ziel einer Gruppe von Fotografen im Chile der 1980er Jahre. "La ciudad de los fotógrafos" dokumentiert diesen mutigen Kampf - zu sehen beim One World Festival in Berlin.

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Zwie Personen mit großen Fotos auf dem Rücken (Sebastian Moreno/AFI)
"Wanderausstellung" in ChileBild: Sebastián Moreno/AFI

Das "One World Festival" findet mit unterschiedlichen Programmen, aber mit dem gleichen Anspruch in Tschechien, den Niederlanden und Deutschland statt: "Wir existieren, um Machtmissbrauch anzuprangern, Menschwürde zu verteidigen, zur Solidarität zu inspirieren und das gegenseitige Verständnis zu verbessern", so formuliert es Festivalgründer Igor Blazevic. Unter diesem Motto werden in Berlin diesmal 21 Dokumentarfilme aus der ganzen Welt gezeigt, darunter ein eindrucksvoller Beitrag über den Widerstand gegen die Pinochet-Diktatur.

Mit Fotos für die Freiheit

"La ciudad de los fotógrafos" schildert den Kampf einer Gruppe von Fotografen für die Meinungsfreiheit im Chile der 80er Jahre. Ein besonderer Film, zeigt er doch wie Journalisten trotz aller Repressalien erfolgreich gegen ein übermächtiges Regime arbeiten können. Ein einzelnes Foto steht dabei am Beginn einer bemerkenswerten Geschichte: Auf den ersten Blick nur ein Schwarz-Weiß-Foto, dass eine Burgruine zeigt, vor der viele Leute stehen, Touristen möglicherweise.

Zwei Hände halten großes Foto in der Hand, dass Burgruine mit vielen Menschen zeigt (Sebastian Moreno/AFI)
Das Foto von Lucho Navarro führte mit zur Gründung der AFIBild: Sebastián Moreno/AFI

Doch je länger man die Aufnahme betrachtet, desto mehr schwindet dieser Eindruck. Zu still, ja, bewegungslos und betroffen sind die Menschen. Das Foto wurde Ende 1978 von Lucho Navarro geschossen und zeigt die Kalksteinöfen von Lonquén (ein Ort etwa 50 km südwestlich von Santiago de Chile), wo 1978 die sterblichen Überreste von 15 Männern gefunden wurden. Diese waren im Oktober 1973 in der Nähe verhaftet und zuletzt lebendig im Polizeihaupt-quartier von Isla de Maipo gesehen worden.

Eine Fotografie mit Folgen

Diese Entdeckung schockierte die Öffentlichkeit damals und wurde zu einem Meilenstein in der Geschichte der Verfolgten und Verschwundenen von Chile. Es war eines der ersten Fotos, das die Militärdiktatur von General Augusto Pinochet entblößte. Pinochet hatte 1973 Präsident Salvador Allende durch einen Militärputsch gestürzt und bis 1990 eine blutige Militärdiktatur geführt. Dieses Foto und die Enthüllungsgeschichte dahinter waren Gründe dafür, dass 1981 rund zwei Dutzend Fotografen die Agentur AFI (Asociación de Fotógrafos Independientes) gründeten.

Wasserwerfen verhüllen das Bild einer Straßenschlacht (Sebastian Moreno/AFI)
Straßenschlacht in der HauptstadtBild: Sebastián Moreno/AFI

Die Mitglieder verstanden ihre Kamera als Waffe gegen das Regime und die Fotografie als Überlebensstrategie in einer Zeit, in der viele Chilenen resignierten. Regisseur Sebastián Moreno, selbst Sohn eines AFI-Fotografen, suchte für seinen Film die Helden von damals auf. Er wollte die persönlichen Geschichten hinter den Bildern erfahren und ihre Entstehung rekonstruieren.

"In Chile wird gefoltert"

Die Mitglieder der Organisation arbeiteten immer unter großem Risiko. Aber sie waren sich der Wichtigkeit ihrer Arbeit bewusst. Zudem bot die Gruppe auch einen gewissen Schutz. "La Ciudad de los fotógrafos" zeigt viele Fotos aus der Zeit zwischen 1981 und 1986. Manchmal sieht man einfach nur ein Transparent, das Demonstranten in die Höhe halten: "En Chile se tortura" (In Chile wird gefoltert). Dann der Blick durch eine Fensterscheibe, die von einem Schuss durchbohrt wurde, genau auf einen Polizisten mit Knüppel in der Hand. Oder Menschen mit großem Pflaster auf dem Mund, die durch die Straßen von Santiago ziehen, während Polizisten ihre Maschinengewehre im Anschlag halten. Oder eine Gruppe von Polizeibeamten, die abwartend im Hintergrund stehen, während weiter vorn, näher am Fotografen, ein kleinwüchsiger Mann vorbeigeht. Ein Foto von großer Kraft, das die Ohnmacht des Volkes gegenüber der Staatsmacht symbolisiert.

Wand mit vielen Fotos und Leuten davor (Sebastian Moreno/AFI)
Gedenkwand für einen getöten FotografenBild: Sebastián Moreno/AFI

Zwischen Schutz und Repression

Die Fotografen schildern auch, dass sich die Demonstranten in ihrer Nähe sicherer fühlten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Protestierender verschwand, war geringer, wenn Fotografen da waren und Festnahmen dokumentierten. Oft wurden die Fotojournalisten auch direkt angesprochen, zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort zu kommen. Dann wurden dort manchmal Plakate ausgerollt, auf denen stand: "Sie müssen uns sagen, wo sie sind!" Von Seiten der Machthaber wurde versucht die Organisation der Fotografen zu unterwandern. Plötzlich tauchten dann Fotografen auf, die keiner kannte, die große Objektive trugen, aber kaum mit ihnen umgehen konnten, die mit niemandem redeten und die immer am Rande des Geschehens standen.

Eine Hand befestigt Foto auf Kleid ((Sebastian Moreno/AFI)
Erinnerung an die VerschwundenenBild: Sebastián Moreno/AFI

Fotos als Abbild der grausamen Realität

"Wir zeigen, was die Leute nicht sehen wollen. Denn wenn sie es sehen, können sie es nicht leugnen", beschreibt einer der Fotografen sein Credo. Auch über ihre ganz persönliche Verrohung geben die Fotoreporter Auskunft. Wie sie sich täglich auf den Weg machen, um ihre Kameras mit Gewalt zu "füllen". Und irgendwann nur noch wie Maschinen reagieren: Als am Plazo Armanas einem Kind von einem Polizisten ein Auge ausgestochen wird, bittet ein Fotograf den Jungen, sich das Auge nicht zuzuhalten, damit er die Untat besser festhalten kann. Eine Fotografin steigt nach diesem Ereignis mit den Worten aus: "Man wird zu einem Geier!"

Die Kamera war wirkungsvoller als Waffen

Der Film hält auch angenehmere Momente fest: So erinnert sich Luis Navarro, wie er sich mit den Polizisten nach einiger Zeit grüßte. Man kannte sich ja… Allerdings war es kein wirklich freundschaftlicher Gruß. Denn sie wurden auch immer wieder festgenommen. Und wenn sie dabei nicht zusammengeschlagen wurden, dann in erster Linie deshalb, weil sie Fotografen waren. Für eine kurze Zeit verbot der Staatsapparat sogar die Veröffentlichung von Fotos. Selbst Magazine durften keine Fotos mehr zeigen. Die AFI-Mitglieder hängten sich die Bilder daraufhin um den Hals und zogen durch die Straßen von Santiago, die AFI wurde, im wörtlichen Sinn, zu einer "Bewegung".

Ein Trupp von Fotografen / Filmausschnitt (Sebastian Moreno/AFI)
Fotografieren für die FreiheitBild: Sebastián Moreno/AFI

Etwa Mitte der 80er Jahre war die schlimmste Zeit vorbei, auch wenn sich Pinochet noch bis 1990 im Amt hielt. Die AFI hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Tyrannei ein Ende fand. Ein Polizist warf dies dem Fotografen Luis Navarro vor, der sich fünf Tage in seiner Gewalt befand: "Deine Kamera hat uns mehr geschadet als eine Pistole". So ist "La ciudad de los fotógrafos" beim One World Festival einer der bewegendsten Beiträge über die Macht der Bilder, über den Mut, aber auch die Ohnmacht ihrer Macher.

Autor: Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten