Open-Source und die Demokratisierung der Kommunikation | Lateinamerika | DW | 06.07.2016
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Lateinamerika

Open-Source und die Demokratisierung der Kommunikation

Neues Werkzeug für Meinungsfreiheit: Bürgerradios in Lateinamerika nutzen freizugängliche Software. Warum das wichtig ist, erklärt Journalist Santiago García Gago, der seit Jahrzehnten mit Lokalsendern zusammenarbeitet.

Bolivien Bergsteigerinnen in traditioneller Kleidung, Foto: Reuters/D. Mercado

Hörfunk ist in vielen ländlichen Gebieten - wie hier in Bolivien - eine wichtige Informationsquelle

DW Akademie: Open-Source-Software und Meinungsfreiheit - wie passt das zusammen?

Santiago García Gago: In Lateinamerika spielt gerade bei benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen wie der ländlichen und indigenen Bevölkerung das Radio hier eine wichtige Rolle. Bisher jedoch war es für viele dieser Bürgerradios schwierig, Zugang zu Radiotechnologien und Sendefrequenzen zu bekommen. Das Internet gibt diesen Lokalradios neue digitale Wege, ihre Sendungen zu verbreiten. Teure Nutzungslizenzen von kommerzieller Software können jedoch erneut dazu führen, das die Zivilbevölkerung, Bauern und Indigene wieder einmal stumm geschaltet wird.

Wie schätzen Sie die aktuelle Mediensituation in Lateinamerika ein?

Santiago Garcia Gargo bei einem Vortrag, Foto: Daniel Marquez

Santiago Garcia Gargo bei einem Vortrag

Ein Beispiel: In Guatemala gehören einem einzigen Unternehmer, Ángel González, 25 Prozent der Radiosender. Er allein kann bestimmen, welche Informationen veröffentlicht werden. Es sei González, der die Präsidenten ins Amt hebt, heißt es. In anderen lateinamerikanischen Ländern sieht das ähnlich aus. Das Beispiel Guatemalas zeigt, wie wichtig es ist, die Medienlandschaft zu demokratisieren und den Lokalradios und den indigenen Radios Gehör zu verschaffen.

Wie sieht diese Demokratisierung mittels Open-Source-Software genau aus?

Es gibt viele Fälle - in Ecuador aber auch in anderen Ländern - in denen Bürgermedien mundtot gemacht worden sind, weil sie zu kritisch berichtet haben. Oft wurden Copyright-Argumente angeführt, um beispielsweise Twitter-Accounts sperren zu lassen. In Chile und in Kolumbien wird gerne das Argument der Piraterie angeführt, um kritische Lokalradios zu schließen. Wenn diese Sender Open-Source-Software benutzen, kann man ihnen hier nichts mehr anhaben. Hinzu kommt das Thema Datenschutz.

Bolivien Lokalradio Workshops, Fotos: Nicolas Martin

Lokalreporterin bei DW Akademie-Workshop. Trainiert wurden Mitarbeiter von verschiedenen Sendern in Bolivien

Open-Source hilft beim Datenschutz?

Journalisten müssen genau wie die Zivilgesellschaft aufpassen, was die kommerzielle Software mit ihren Daten anstellt. Edward Snowden hat uns gezeigt, dass es in vielen lizensierten Softwares Hintertüren gibt, durch die unsere Daten registriert und weitergeleitet werden. Mit Open-Source-Software umgeht man die großen Technologiefirmen und verringert so das Risiko, ausspioniert zu werden.

Und wie genau setzen Sie sich mit ihrer Organisation Radialistas Apasionadas y Apasionados für den Gebrauch von Open-Source-Software ein?

Wir versuchen zunächst, mehr Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Es gibt viele Vorbehalte, viele setzen Open-Source mit Hacking gleich - das hat aber nichts miteinander zu tun. Wir haben ein Netzwerk für Lokalradios und Open-Source-Software gegründet. Wir produzieren Online-Tutorials, geben Workshops und organisieren Konferenzen wie die, die jetzt in Ecuador stattgefunden hat: das zweite lateinamerikanische Treffen unter dem Motto "Open-Source-Software = Sicherheit + Freiheit", an dem fast 80 Bürgermedien teilgenommen haben. Drei Tage lang haben wir über die Möglichkeiten und Herausforderungen von Open-Source diskutiert und in den Workshops den Lokalradios die praktische Anwendung von Open-Source-Software gezeigt.

Demonstration von Indios gegen den Bürgerkrieg, Foto: Nils Naumann

Friedlicher Protest von kolumbianischen indigenen Gruppen gegen den Bürgerkrieg

Welchen Schwierigkeiten begegnen Sie in ihrer Arbeit?

Ein Problem ist die teilweise schlechte Kompatibilität zwischen Open-Source-Software und kommerzieller Software. Dazu kommt, dass viele der Open-Source-Softwares von einzelnen Personen programmiert werden, meist in deren Freizeit. Wir wollen einen Pool an Programmierern aufbauen, damit die Programme kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert werden.

Gesetzt den Fall in Zukunft würden alle Bürgerradios Open-Source-Software benutzen: Wie würde sich die lateinamerikanische Medienlandschaft verändern?

Die Bürgerradios müssen sich nicht nur gegen die großen Medienhäuser, sondern auch gegen die Lobby der großen Technologiefirmen behaupten. Wenn sich Open-Source-Software durchsetzt, dann würde das den Einfluss der großen Technologiefirmen schwächen. Und es würde dem Mediensektor und der Politik eine Diskussion aufzwingen: über die gerechte Anwendung des Rechts auf Meinungsfreiheit.


Santiago García Gago ist gebürtiger Spanier. Er arbeitete fünf Jahre als Journalist und Audiotechniker für ein Bürgerradio im Amazonasgebiet in Venezuela, bevor er sich der NGO Radialistas Apasionadas y Apasionados in Ecuador anschloss. Die NGO hat unter anderem Radioteca.net, ein Portal zum Audioaustausch für lateinamerikanische Radios, initiiert. Seit über acht Jahren setzt sich García Gargo gemeinsam mit der NGO für die Verbreitung von Open-Source-Software bei Lokalradios in Lateinamerika ein. Santiago García Gargo war Sprecher und Workshopleiter auf dem zweiten Treffen für Open-Source und Bürgerradios in Quito, Ecuador, das von der DW Akademie mitorganisiert wurde.

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