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Oper gegen das Vergessen

Christoph Richter25. Januar 2013

Anlässlich des internationalen Gedenktages der Opfer des Nationalsozialismus inszeniert die Werkstatt der Berliner Oper Viktor Ullmanns Widerstandsoper "Der Kaiser von Atlantis".

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Bühnenszene mit Stipendiaten des Opernstudios (Foto: Barbara Braun)
Bild: Barbara Braun

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von der Roten Armee befreit. Zu diesem Anlass bringt eines der renommiertesten Opernhäuser - die Staatsoper Berlin -"Der Kaiser von Atlantis" auf die Bühne. Komponiert wurde die Oper vom Schönberg-Schüler Viktor Ullmann im KZ Theresienstadt, die aber nicht mehr aufgeführt werden konnte und lange verschollen war. Erst mit der posthumen Uraufführung 1976 in Amsterdam, begann die Wiederentdeckung des jüdischen deutsch-tschechischen Komponisten Viktor Ullmann, den die Nazis im KZ Auschwitz umgebracht haben.

Die einaktige, gerade mal etwa 60 Minuten dauernde Oper mit der Unterzeile "Die Todverweigerung" ist eine mehr als sarkastische, ja surreale Parabel auf den Tod. Sie handelt vom brutalen Tyrann namens Overall, dem der Tod seinen Dienst verweigert und streikt. Kaiser Overall winselt, denn ohne den Tod, immerhin seine schärfste und einzige Waffe, ist er nichts - einfach machtlos.

Letzten Endes hat der Tod ein Einsehen. Ohne ihn bekommt nämlich keiner Gnade oder Erlösung, alle müssen auf Gedeih und Verderb leben - selbst die Kranken und Traurigen. Daher lässt er sich erweichen und nimmt seine Arbeit wieder auf. Doch nur unter der Bedingung, dass Kaiser Overall als erster stirbt. Eine Oper, die so nur 1943 im Lager Theresienstadt hat entstehen können. Wer dort hingebracht wurde, lebte auf Abruf durch den Tod, hatte ihn permanent vor Augen.

Werkstattcharakter - das Bühnenbild ist reduziert kühl (Foto: Christoph Richter/ DW)
Keine Lager-Realität - ein reduziertes BühnenbildBild: Christoph Richter

Das Libretto stammt vom gerade mal 24-jährigen Maler, Zeichner und Autor Petr František Kien, der als Jude von den Nazis in das Lager Theresienstadt verschleppt wurde. Musikalisch umgesetzt wurde es, vom ebenfalls internierten Schönberg-Schüler Viktor Ullmann, der die Noten der knapp 140-seitigen Partitur hastig auf die Rückseiten vergilbter Häftlingsformulare schrieb.

Die Oper als Widerstands-Kraftwerk

"Wenn jemand sehr verzweifelt ist, dann wird der Tod tatsächlich zur Hoffnung, dass irgendwann endlich Ruhe ist." Damit habe das Stück enorm mit Widerständigkeit zu tun, wie sich Leute auf eine bestimmte Art und Weise wehren, erläutert Musikwissenschaftler Jens Schroth. Er ist der leitende Dramaturg der Berliner Staatsoper, und unterstreicht, dass allein schon das Kunst-Machen für viele Menschen im KZ Theresienstadt ein Akt der Selbstbehauptung und Autonomie, eine funktionierende Strategie subtilen Widerstands war.

Blick durch Stacheldraht auf die Gebäude des 1941 von der SS errichteten Konzentrationslagers im tschechischen Theresienstadt (Foto: picture alliance/ dpa)
Blick durch den Stacheldraht - das KZ TheresienstadtBild: picture-alliance/ dpa

Nachdenken und Reden über Kunst seien eben kein Eskapismus, keine Flucht in etwas Schönes und Heiles. Man könne es auch als ein ganz aktives Dagegen nehmen. "Man sieht in ganz vielen Ländern – natürlich weniger in West- oder Mitteleuropa – dass Widerstand tatsächlich auf dieser Ebene passiert." So Dramaturg Jens Schroth weiter. Die Aktualität der Oper "Der Kaiser von Atlantis" weise weit über das Dritte Reich hinaus. "Und sie zeigt", ergänzt Regisseurin Mascha Pörzgen, "welche ungemeine Kraft Menschen in Extremsituationen aus dem Theater, der Oper ziehen können".


Brutaler Ort mit regem Kulturleben

Theresienstadt deklarierten die Nazis zum "Musterlager", von dem aus ein Großteil der Insassen in die Gaskammern deportiert worden sind. Theresienstadt war aber zugleich ein Ort der Kultur. Es wurde Musik, Theater und Kabarett gespielt, organisiert von jüdischen Künstlern und Wissenschaftlern. Noch 1944 wurde die Ullmann-Oper im Lager einstudiert. Doch zu einer Aufführung ist es nicht mehr gekommen, da Viktor Ullmann sowie alle anderen Ausführenden – ironischerweise bis auf Opernsänger Karel Berman, der den Tod spielen sollte – nach Auschwitz deportiert und kurz nach der Ankunft ermordet wurden. Umstände, die bis heute das Blut in den Adern gefrieren lassen, wenn man eine Aufführung von "Der Kaiser von Atlantis" besucht.

Meisterwerk des 20. Jahrhunderts

"Es macht einen sprachlos, wenn man bedenkt, dass es jemand schafft, in solch wirklich unvorstellbaren Umständen, in einer hohen Produktivität und in einer unglaublichen Qualität Musik, Kunst oder Literatur zu produzieren." Staatsopern-Dramaturg Jens Schroth und Regisseurin Mascha Pörzgen wollen aus der Oper kein sentimentales Befindlichkeitsstück machen. Zum Beispiel, indem man nicht einen wohlgenährten Tenor in Sträflingskleidung in einer Art Lagerrealität singen lasse. Gerade das würde dem Stück in keiner Weise gerecht werden, ergänzen sie. Es ginge eben um keinen Mitleidsbonus. Ganz im Gegenteil: Die Oper – das ist kein Geheimnis - ist ein absolutes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts und in einem Atemzug mit Werken wie "Moses und Aron" von Arnold Schönberg, "Lulu" von Alban Berg oder "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill zu nennen.

Die Oper "Der Kaiser von Atlantis" ist ein schnörkelloses und einfach verständliches Musikdrama, das in einem tiefen humanistischen Ideal verwurzelt ist. Darin wird die – aus heutiger Sicht fast banal wirkende - Allerwelts-Hoffnung formuliert, dass die Menschheit – will sie eine Zukunft haben - irgendwann den brutalen Kreislauf aus Krieg und Gewalt durchbrechen muss.

Abstrakt gegen Gewalt und Krieg

Gesungen werden alle Partien von Mitgliedern des Opernstudios der Berliner Staatsoper. Eine prominente Nachwuchsakademie, die bereits Sänger wie René Pape oder Roman Trekel durchlaufen haben. Die Figuren sind abstrakt, nüchtern gehalten. Sie werden nur symbolisch angedeutet, spielen vor einer schrägen - als Mauer angedeuteten - Wand mit einzelnen Durchbrüchen. Das Orchester sitzt auf einer Galerie. Schönberg-Schüler Viktor Ullmann verbindet in der Oper Dinge miteinander, die sich fast verbieten, miteinander in Zusammenhang gebracht zu werden: Jahrhundertwende, Expressionismus, Weltschmerzmusik und Blues.

Der Blues wird vom Tod gesungen. Der singt, wie schön es früher im Krieg war, weil da wenigstens noch individuell gestorben wurde. Ullmann saugt alles raus, was in den 20, 30 Jahren davor irgendwie an relevanter zeitgenössischer Musik herumgeisterte. Man kann aber auch die Süße Puccinis, Mahler, Strawinsky und gar Bach heraushören. Gänzlich prägnant und politisch wird es, wenn in einer Szene das Deutschlandlied in dreckigem Moll zitiert wird. Eine Praxis die Musiker wie Jimi Hendrix Jahrzehnte später weiter geführt haben.

Werkstattcharakter - das Außenansicht Berliner Staatsoper (Foto: Christoph Richter)
Die Berliner Staatsoper - hier wird das fast vergessene Werk "Der Kaiser von Atlantis" aufgeführtBild: Christoph Richter