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Orchester zwischen den Fronten

Michael Brückner2. September 2002

Junge Menschen aus Israel und aus arabischen Ländern musizieren gemeinsam unter dem weltberühmten Dirigenten Barenboim. Aber fotografieren darf man sie nicht, weil das ihr Leben in Gefahr bringen könnte.

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Nein, Bilder vom "West-Eastern-Divan"-Orchester gibt es leider nicht. Das sei zu gefährlich für die Musiker, wurde den Journalisten mitgeteilt. Die hasserfüllte Politik des Nahen Ostens zwingt selbst in der Berliner Staatsoper zur Vorsicht.

Filmen verboten!

Dabei wäre gerade in diesen Tagen der Auftritt des israelisch-arabischen Musik-Projektes eine schöne Geschichte zum Beispiel für's Fernsehen. Und das ist ohnehin gerade im Haus: Die Staatsoper Unter den Linden feierte ein ganzes Wochenende lang ihren Start in die neue Spielzeit. 3-Sat berichtete live, Konzerte und eine Opernaufführung wurden nach draußen auf eine Großbildleinwand übertragen.

Nicht jedoch die Konzerte des "West Eastern Divan"-Projektes. "Nicht einmal die genauen Herkunftsländer unserer arabischen Teilnehmer möchte ich Ihnen nennen, einzelne Regierungen könnten sonst gezielt nach unseren jungen Leuten suchen", erläutert Tabare Perlas vom Organisationsteam auf Nachfrage von DW-WORLD die strengen Vorsichtsmaßnahmen. Schon die friedliche Zusammenarbeit mit Menschen aus dem "feindlichen" Israel sei in manchen Staaten ein Vergehen. Die arabischen Musiker des Orchesters müssten ihre Teilnahme vor den offiziellen Stellen ihrer Heimatländer verheimlichen.

Von Weimar nach Sevilla

Vor vier Jahren entwickelte der argentinisch-israelische Pianist und Dirigent Daniel Barenboim zusammen mit dem in New York lebenden palästinensischen Intellektuellen Edward Said die Idee eines arabisch-israelischen Orchester-Workshops. Nachwuchsmusiker aus dem Nahen Osten wurden eingeladen vorzuspielen oder Bänder mit eigenen Aufnahmen einzusenden. Der erste Workshop fand 1999 in Weimar statt. Im darauf folgenden Jahr traf man sich dort wieder, dann in Chicago und diesen Sommer in Sevilla.

Daniel Barenboim, der sich selbst immer wieder als Weltbürger bezeichnet, ist die treibende Kraft hinter diesem kleinen Leuchtturm der Verständigung. Er bringt nicht nur gute Kontakte, sondern auch seinen prominenten Namen in das Projekt ein. Die Arbeit mit und an der Musik soll die Hauptsache sein, die Verständigung ergibt sich regelmäßig von alleine, sie ist für ein Orchester die selbstverständliche und notwendige Basis für den Erfolg.

Als Chef sowohl der Staatskapelle Berlin als auch des legendären Chicago-Symphonie-Orchestras bringt er die jungen Instrumentalisten mit einigen der besten und erfahrensten Orchester-Musikern der Welt zusammen. Nach dem diesjährigen Sommer-Workshop gab es erstmals eine kleine Europa-Tournee: Sevilla, Lübeck, Berlin und Straßburg in einer Woche.

Musik statt Politik

"Am Anfang ist das schon seltsam. Du denkst, die Leute müssten also deine Feinde sein. Aber du isst mit ihnen, spielst mit ihnen, und du schläfst mit ihnen unter einem Dach. Nach zwei Tagen sind das ganz normale Menschen wie ich, woher die kommen ist dann völlig egal", erzählt Genrich Gopin. Seine Eltern kamen mit ihm vor elf Jahren aus Minsk in Weißrussland nach Israel. Er war schon beim ersten Workshop in Weimar dabei und hat dort Freundschaft mit einem Syrer geschlossen.

"Er ist Araber mit russischer Mutter, deswegen verstehen wir uns besonders gut." Aber anfänglich war es nicht einmal möglich, e-mails auszutauschen; die konnten zu leicht kontrolliert werden. Jetzt studiert sein Freund in Italien, was die Sache wesentlich einfacher macht. "Im Orchester reden wir aber nicht so viel über Politik. Wir reden lieber über uns. Über unsere Musik."