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Ortstermin mit Howie

Daniel Scheschkewitz, Washington15. Dezember 2003

Was treibt einen dazu über den halben Kontinent zu fliegen, nur um die gleiche Rede an einem Tag vier Mal hintereinander anzuhören? Es ist die Chance, den vielleicht nächsten US-Präsidenten einmal hautnah zu erleben.

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Howard Dean hatte mich eingeladen, ihn im Vorwahlkampf im US-Bundesstaat Iowa zu begleiten, wo am 19. Januar der Startschuss zu einer Serie von Vorwahlen fällt, an deren Ende einer von neun Kandidaten zum Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei gekürt wird. Nun sehen vielen ihn schon jetzt den eigentlichen Herausforderer George W. Bushs, denn der Arzt und langjährige Gouverneuer aus Vermont hat seit einigen Tagen nicht nur den ehemaligen Vizepräsidenten Al Gore hinter sich, er liegt auch in den Meinungsumfragen in Iowa und in New Hampshire, wo als nächstes gewählt wird, vorn.

Außerdem hat Dean von allen demokratischen Kandidaten das meiste Geld gesammelt; vor allem im Internet, was es ihm erlaubt, Wahlkampf zu betreiben, während andere Kandidaten eifrig damit beschäftigt sind, die für einen Wahlkmapf in Amerika so bitter notwendigen Dollars zu erbetteln.

Eiskaltes Kaff

Unsere Tour startet in einem kleinen Kaff an der Grenze zu Nebraska und obwohl es so kalt ist, dass die Eisschollen auf dem Missouri-Fluss treiben, haben sich jede Menge Teenager und Collegestudenten früh aus den Betten geschält, um die örtliche High School für Howies Auftritt zu präparieren. Das Publikum, das sich hier zum morgendlichen Polittalk eingefunden hat, könnte bunter nicht sein: vom einfachen Arbeiter in Gewerkschaftsuniform bis zum Schulpunk mit lila gefärbtem Haar. Sie sitzen brav Seite an Seite mit der Vorsitzenden des örtlichen Schoolboards und dem Chef des Veteranenvereins und warten auf Howard Dean .

Doch wer aus der schillernden Vielfalt des Publikums Rückschlüsse auf den Kandidaten geschlossen hat, sieht sich, zumindest mir ging es so, getäuscht. Dean kommt bieder und farblos daher, die brav frisierten Haare ebenso grau wie der Anzug. Noch nicht einmal die ordentlich gebundene Krawatte deutet etwas von dem Rebellen gegen das Politestablishment an, zu dem ihn die amerikanischen Medien ernannt haben. Und die Veranstaltung erinnert in ihrer biederen Art eher an den Weihnachtstreff der Caritas als an die Vorstellungsrede eines künftigen Präsidenten.

Fehlendes Charisma

Dean brennt kein rhetorisches Feuerwerk ab, strahlt keinerlei Charme aus, macht noch nicht mal einen guten Witz, was in den USA eigentlich zum guten Ton jeder noch so kleinen Ansprache gehört. Ohne nennenswertes Charisma zu zeigen, erhält er trotzdem jede Menge Beifall. Ja, die Leute sind sogar begeistert und stehen nach der Veranstaltung Schlange, um dem eher unscheinbaren Mann die Hände zu schütteln.

Die Erklärung ist ebenso einfach verblüffend. Howard Dean hat gewagt, was im Bush-Land Amerika lange Zeit als sicheres Rezept für politischen Selbstmord galt: Er hat den Präsidenten kritisiert, ständig und an allen Fronten. Von der Außen-, über die Umwelt- bis zur Sozialpolitik. Und nicht nur dass, er wagt es gar den patriotischen Sündenfall par excellence zu begehen und Bush für den Krieg im Irak zu kritisieren, für den es keinen Grund gegeben habe. Dean hat dies immer gesagt, vor, während und auch nach dem Krieg, was seine Glaubwürigkeit bei seinen Anhängern erklärt und ihn abhebt von den anderen Kandidaten, die den Krieg fast ausnahmslos mitgetragen hätten. Er empört sich über das rüde Umgehen dieser US-Regierung mit all jenen Staaten, die der Weltmacht USA nicht unbedingten Gehorsam leisten.

Kein linker Spinner

Dean tut dies auf eine einfache, ungeschminkte Art, er nennt die Dinge ohne rhetorische Umschweife beim Namen, fast wie in einer ärztlichen Diagnose. Und das Rezept für die Genesung des Patienten liefert er gleich mit. Die 87 Milliarden für den Krieg im Irak, mit denen man alle Amerikaner für ein Jahr hätte krankenversichern können: die 1,3 Billionen an Steuergeschenken, mit denen die Kreditkarten der Schüler von heute und Erwachsenen von morgen belastet würden, die 25 Milliarden an Subventionen für die großen Energiekonzerne, mit denen man in Iowa Windräder und in Kalifornien Solarkraftwerke hätte bauen können.

Aber Dean ist kein linker Spinner. Er weiss, dass er die Mittelklase für sich gewinnen muss, wenn er jemals eine Chance haben will, Bush zu schlagen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind mit ihm nicht zu haben und mit einer Verschärfung der Waffengesetze hätte er auch sein Problem. Dean ist aber auch kein Kompromissler, der es, wie viele seiner Mitkandidaten allen und jedem Recht machen will auch auf die Gefahr hin, dass ihr politisches Profil bis zur Unkenntlichkeit verschwimmt: ein paar Steuersenkungen hier, ein paar mehr Soldaten dort - mit Bush "light" lässt sich nach Ansicht Deans das Weiße Haus nicht zurückerobern.

Spannender Wahlkampf?

Aber genau darum geht es ihm. Er will die vielen Millionen Amerikaner wachrütteln, die in den USA schon lange nicht mehr wählen gehen, weil sie zwischen den Republikaner und den Demokraten ohehin keinen Unterscheid mehr sehen. Ob dieses Konzept aufgehen kann, bezweifeln viele. Und manche sagen, dass im Weißen Haus die Champagnerkorken knallen, wenn fest steht, dass Bushs Gegner im kommenden Jahr tatsächlich Dean heißt. Howard Dean stört das nicht. Er hat sich wie ein Kampfterrier in sein Projekt verbissen. Und wenn Amerika, so wie viele der Besucher seiner Veranstaltungen in Iowa, auch nur ein Bruchteil von Deans Wut auf George W. teilt, dann könnte dieser Präsidentschaftswahlkampf doch noch spannend werden.