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Oskar Roehlers Herkunft

14. September 2011

In seinem ersten Roman "Herkunft" verarbeitet der Filmemacher Oskar Roehler seine Kindheit und Jugend. Eine erschütternde Familiengeschichte in der westdeutschen Nachkriegs-Republik .

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Filmemacher und Buchautor Oskar Roehler (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

Oskar Roehler gehört zu den wichtigsten, durchaus auch kontrovers diskutierten, Regisseuren in Deutschland. Seinem Film von 2010 über die Entstehungsgeschichte des Nazi-Propagandastreifens "Jud Süß" etwa warf man zu wenig kritische Distanz vor. Den internationalen Durchbruch schaffte Roehler im Jahr 2000 mit dem Spielfilm "Die Unberührbare". Das war ein Porträt der Schriftstellerin Gisela Elsner, die sich – gescheitert und drogensüchtig – 1992 das Leben nahm. Radikal links mit großbürgerlichem Hintergrund, immer ganz in schwarz gekleidet mit schwarzer Perücke, war sie eine exzentrische Erscheinung in der westdeutschen Nachkriegsliteratur. Und sie war Oskar Roehlers Mutter – eine Rabenmutter. Jetzt hat er zum ersten Mal einen Roman geschrieben – und dort taucht sie als Figur wieder auf.

DW-WORLD.DE: Oskar Roehler, es gibt Künstler, ob Schriftsteller oder Filmemacher, die haben ein Lebensthema, das sie immer wieder in neuen Facetten bearbeiten. Ist "Herkunft", so ja auch der Titel des Romans, Ihr Lebensthema?

Buchcover Oskar Roehler Herkunft
Bild: Ullstein

Oskar Roehler: Der Roman, den ich "Herkunft" genannt habe, den wollte ich eigentlich schon ganz, ganz lange schreiben. Als ich mit Anfang zwanzig es erstmals versuchte und eigentlich Schriftsteller werden wollte, fehlten mir einfach die handwerklichen Mittel dazu. Junge Schriftsteller scheitern oft deswegen, weil der ganze Erfahrungshorizont fehlt, den Du fünfzig Jahre später hast.

Sie haben sich mit Ihrer Herkunft schon in Filmen auseinandergesetzt. "Die Unberührbare" erzählt die Geschichte Ihrer Mutter, der Schriftstellerin Gisela Elsner. Sie haben Ihren Vater als Filmstoff in "Der alte Affe Angst" genommen. Im Roman sprechen Sie über Ihren Großvater. Er war nach dem Krieg so etwas wie ein Stehaufmännchen. Ist er ein typischer Vertreter des Wiederaufbaus gewesen?

Schon. Also ich habe ihm dieses Charakteristikum gegeben. Ich glaube, da sind noch andere Dinge, die mich interessiert haben. Die Beschreibung der Zeit ist im Grunde fast wie Begleitmusik. Ich bin von der Faszination der kindlichen Wahrnehmung ausgegangen. Eine ganz grundlegende Sache, auf die ich gekommen bin, ist meine Großmutter Gertrud, die auch in dem Buch eine wichtige Figur einnimmt. Sie hat ihre Töchter verstoßen, nachdem die nicht die richtigen Männer geheiratet haben. Sie hatte den Anspruch, sie in die besten Familien zu verheiraten. Aber der Hintergedanke, der in den Briefen beispielsweise immer kam, war diese enorme Angst von ihr selber, vor Hunger, Armut und Not. Diese Generation war davon bis ins Mark geprägt. Von dieser sozialen Unsicherheit.

Ihr Großvater war ja auch ganz persönlich wichtig für Sie. Sie haben bei ihm ein paar Jahre gelebt. Ihr Vater hat Sie dann, als Sie sechs waren, nach Berlin geholt. In was für ein Milieu?

Es war bizarr, weil wir in Friedenau in so einer riesigen Belletage- Wohnung gewohnt haben, die ein bisschen runtergekommen war. Friedenau war damals noch ein Bezirk von Kleinbürgern und Arbeitern. Und da haben ein paar Intellektuelle und ein paar Lehrer gewohnt. Es ist nicht wie heute. Und während er sich dann mit den großen künstlerischen, schriftstellerischen Problemen auseinandergesetzt hat - diese Debattierclubs zwischen den Linken und (Hans Magnus)Enzensberger - bin ich immer mehr in so ein halbkriminelles Milieu abgerutscht. Einfach weil da ein völliges Desinteresse gegenüber meiner Person war.

Der einzige Spaziergang in der Woche, den er seinem Sohn gegönnt hat, war von diesem ratlosen Schweigen geprägt. Weil er dann immer mehr versunken ist, weil er sich wahrscheinlich gefragt hat, was aus seinem eigenen Leben werden soll.

Der Schauspieler David Bennent als Oskar in dem Film "Die Blechtrommel"
David Bennent als Oskar im Film "Die Blechtrommel"Bild: ullstein bild - Tele-Winkler

Ihr Vater war Lektor von Günter Grass. Sie sind 1959 geboren, gerade als „Die Blechtrommel“ erschienen ist. Heißen Sie deswegen Oskar?

Ja, genau. Das hatten die sich als kleinen Gag erlaubt. Aber das war auch wieder so ein merkwürdiges, diffuses Ding, weil keiner von beiden eigentlich den Grass wirklich mochte. Da war der Respekt und die Ehrfurcht vor diesem großen Erfolg plötzlich so im Vordergrund. Mein Vater ist in der gleichen Sitzung bei der Gruppe 47 gescheitert und hat eigentlich seine Karriere (als Schriftsteller, die Red.) aufgegeben, wo Grass so groß gefeiert wurde. Da steckt auch eine gehörige Portion unreflektierter Masochismus irgendwo dahinter.

Was hatten Sie für ein Verhältnis zu Ihrer Mutter?

Gar keins. Ich bin von ihr von Anfang an eigentlich abgelehnt worden. Sie hat sich dann noch mehr exponiert und ihre Rolle noch viel krasser gespielt, zum Teil Dinge zurecht gelegt, die nicht so waren. Um dieses makabere Menschenbild, was sie so hatte - eben die Verachtung von Kindern - noch zu zelebrieren. Sie hat vielleicht auch Dinge erfunden. Sie hat sich darüber ausgelassen, dass sie versucht habe, mit Alkohol und Zigaretten schon den Fötus im Mutterleib abzustoßen, bis dahin, dass sie in das eiskalte Wasser eines Sees gestiegen ist. Und das hätte alles nichts genutzt. Sie glaubte, mein Vater hinters Licht führen zu müssen, was die Schwangerschaft angeht und den Urheber der Schwangerschaft. Dass diese Sachen nicht geklärt sind. Das hat sie mir in einem Zustand erzählt, als sie eigentlich in ihrer Paranoia versunken ist und, glaube ich, nicht mehr genau unterscheiden konnte, was Erfindung und was Wirklichkeit war. Und um mich später zu verunsichern. Sie hat gerne Leute verunsichert.

Sie stellen sich selbst im Roman auch nicht gerade als Sympathieträger vor. Wie haben Sie sich gesehen, als Sie als Erwachsener dann in Berlin gelebt haben?

Das war so eine Selbstfindungsphase. Ich war da noch das Opfer der ganzen Verstrickungen. Ich habe eine ganz tolle Erfahrung gemacht. Ich war auf den Dreharbeiten zum Schlingensief-Film, als plötzlich ein Anruf kam.

Welcher Schliengensief-Film?

Ich glaube, das war "Terror 2000". Christoph war ja ein Freund von mir, der mich immer sehr unterstützt hat. Und dann kam ein Anruf. Und mein Mitbewohner meinte dann: "Übrigens, ich habe Dir etwas ganz Schreckliches zu berichten. Deine Mutter ist gestorben. Sie hat sich umgebracht". Und ich habe erst mal tief ausgeatmet und gemerkt, wie um mich herum alles leichter wurde. Wie ich viel leichter wurde. Und ab dem Moment fing bei mir eigentlich auch an, dass sich meine schon immer vorhandenen kreativen Kräfte, die ich vorher immer so destruktiv benutzt hatte, ins Positive gewendet haben. Das ist dem Tod meiner Mutter geschuldet. Die Tatsache, dass sie nicht mehr hier auf diesem Planeten weilte, war für mich der größte Befreiungsschlag meines Lebens.

Schauspielerin Hannelore Elsner im Film "Die Unberührbare"
Im Film "Die Unberührbare" zeigt Oskar Roehler das Alter Ego seiner Mutter - Gisela ElsnerBild: picture alliance/dpa

Gibt es auch etwas an Ihrer Mutter, das Sie schätzen können? Vielleicht als Schriftstellerin?

Ja. Ein gewisser makaberer, übersteigerter Sinn, auch die Wahrnehmung.

Davon haben Sie auch etwas, oder?

Das entdecke ich jetzt mittlerweile so. Ich benutze und sehe es als kleine Gabe, die sie mir vielleicht mitgegeben hat. Ich habe immer gedacht, dass ich ihre Art Talent gar nicht geerbt habe, aber es stimmt nicht. Ich mag eigentlich auch zum Teil die Überzeichnung und Überhöhung. Ich kann meine Mutter auch verstehen, weil sie so ein extrem verlorener Mensch war. Das sieht man in den Augenblicken, wo sie mit sich allein ist und eine unglaubliche Traurigkeit in ihrem Blick hat, und ganz verträumt ist. Ganz angreifbar, ganz empfindlich. Dass sie sich dann panzern und wappnen musste mit Wort und Schwert und Denken. Und dem Körper nichts geschenkt hat. Und nur den Geist fanatisch hochgehalten hat. Das macht sie mir trotzdem nicht sympathisch.

Regisseur Oskar Roehler (Foto: Concorde Film)
Oskar RoehlerBild: Concorde Film 2010

Wann sind Sie erwachsen geworden?

Eigentlich im Grunde, als ich meine Frau kennenlernte. Vor zwölf oder dreizehn Jahren. Die hat mir das zurück gegeben, was ich über ganz lange Jahre und immer wieder vermisst habe. Einfach an zwischenmenschlichem Verständnis und wie man miteinander umgeht. Trotz aller Mängel, die der Andere vielleicht hat. In dem Fall ich. Dass sie nicht immer alles gleich auf die Waagschale legt, aufzählt und aufwiegt.

Ihre Eltern haben Sie etwas boshaft "Bourgeois" genannt.

Ja gut, es gehörte auch dazu. Das gehörte genauso dazu, wie jemanden, der dreieinhalb ist, auf den Schrank zu setzen, weil er schreit. Und dann wegzugehen. Das waren Empfehlungen, die andere Schriftsteller meinen Eltern gegeben haben.

Was ist für Sie Zuhause?

(Pause– Red.) Ich habe eigentlich keins.

Schwer, da jetzt noch etwas hinzuzufügen...

(Lächeln - Red.) Der Tod. Was danach kommt. Ich lebe nicht in der Gegenwart. Und ich lebe mit meiner Frau zusammen, die komischerweise so eine Seelenverwandtschaft mit mir hat. Und der es ähnlich geht und immer schon ging. Meine Frau ist mein einziges Zuhause. Aber wir haben eigentlich keins.

Das Gespräch führte Gabriela Schaaf
Redaktion: Mariya Ruettinger

Das Buch:
Oskar Roehler: Herkunft. Roman. Ullstein Verlag September 2011. 592 S. 19,99 €. ISBN 9783550088445