1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Schleichender Hungertod

Carolin Weinkopf30. September 2007

Argentinien hat ein Problem mit einer besondern widerlichen Droge: Paco, ein Abfallstoff aus der Kokainproduktion. Die Opfer werden kaum gezählt: Sie verhungern.

https://p.dw.com/p/Bjtx
Grafiti an einer Häuserwand, Quelle: dpa
"Paco tötet" - die meisten Opfer verhungernBild: picture-alliance/dpa

Der "Kick" dauert nur Minuten. Sofort verlangt der Körper nach mehr. Abhängige brauchen 50, 100 Pfeifen oder mehr am Tag und Paco macht sehr schnell abhängig. Vor allem junge Männer aus der Unterschicht verfallen der Droge. In den "Villas Miserias", den Elendsvierteln Argentiniens, wo die Straßen keine Namen haben, bekommt man Paco an jeder Ecke, manchmal sogar beim Gemüsehändler. Einen Peso kostet die Pfeifenfüllung, etwa 25 Cent.

Kokainkonsum, Quelle: dpa
Die Reichen schnupfen Kokain, die Armen rauchen PacoBild: dpa

"Paco tötet", so steht es an unzähligen Häuserwänden. Wer Paco raucht, dessen Hungergefühl setzt dauerhaft aus. Abhängige sehen aus wie Zombies, haben aufgeplatze Lippen, Blasen auf der Haut, leerer Blick. Die Betroffenen magern innerhalb weniger Wochen bis auf die Knochen ab: Die körperlichen und geistigen Schäden sind meist irreparabel, warnen Ärzte. Verhungern ist die häufigste Todesursache. Zuverlässige Opferzahlen gibt es nicht. Wer verhungert, wird von der Drogenstatistik nicht erfasst.

Der Kick mit dem Abfall

Paco ist eigentlich Abfall. Bei der Kokainherstellung bildet sich bei der Destillierung der Koka-Blätter der Bodensatz "Pasta basica de Cocaina" – kurz Paco. Ursprünglich war es ein Abfallprodukt, das in den Drogenlaboren übrig blieb und entsorgt wurde. Als der Peso im Jahr 2002 aufgrund der schweren Wirtschaftskrise abgewertet wurde, begann der Vormarsch der "Droge der Armen" – Kokain und Marihuana können sich nur noch die Reichen leisten. Paco hingegen, das mit Putz- oder Lösungsmitteln und gemahlenen Glassplittern gestreckt wird, ist billig - und wirkt schneller und sehr viel heftiger als Kokain.

Um sich den Konsum zu finanzieren, machen die Abhängigen alles zu Geld oder holen es sich von anderen. In Buenos Aires geht man auffällig dünnen Jugendlichen aus Angst vor Überfällen aus dem Weg. In den letzten fünf Jahren ist die Kriminalität um fast 40 Prozent gestiegen. Experten machen den rasanten Anstieg des Paco-Konsums dafür verantwortlich.

Rauch in Form eines Totenkopfs, Quelle: dpa
Wer Paco raucht, hört auf zu essen - die meisten Abhängigen verhungernBild: picture-alliance/dpa

Um 500 Prozent soll der Drogenkonsum seit der Jahrtausendwende in Argentinien gestiegen sein, mit Paco an der Spitze. Schätzungen zufolge ist die Hälfte der männlichen Jugend in den Armenvierteln abhängig. Die Polizei tut nicht viel - die schlecht bezahlten Beamten sind häufig selbst in die Geschäfte verwickelt. Die Politik hat das Problem lange Zeit ignoriert, doch nun kommt es auch in der Mittelschicht an. Jeder vierte junge Argentinier soll Paco bereits ausprobiert haben.

Die Argentinier werden Opfer eigentlich gut gemeinter Drogenpolitik: Auf Druck der Vereinten Nationen wurde die Ausfuhr von Chemikalien für die Kokain-Produktion in den letzten Jahren durch Gesetze erschwert. Seitdem wird vermehrt Koka zur Weiterverarbeitung in die ehemaligen Transitstaaten geschmuggelt - in Argentinien sind die nötigen Chemikalien zur Herstellung von Kokain leicht zu bekommen.

Aufstand der Mütter

Letztlich haben besorgte Mütter die Missstände auf die Agenda gesetzt. Sie wollen nicht länger zusehen, wie ihre Söhne verhungern. Mit Straßenblockaden und Protestaktionen machten sie auf das Problem aufmerksam, nun muss auch auch die Politik reagieren. Der Bürgermeister von Buenos Aires, Jorge Telerman, versprach Maßnahmen gegen Paco - "dem Phänomen einer düsteren Epoche". Vor allem Suchtkliniken sollen eingerichtet und Aufklärungsarbeit geleistet werden. "Wir werden Paco besiegen", kündigte auch der argentinische Gesundheitsminister Claudio Mate an.

Soziologen und Drogenexperten sind sich jedoch einig: Ohne Jobs ist der Kampf nicht zu gewinnen. Mindestens jeder vierte Argentinier lebt unter der Armutsgrenze. Wer eine Therapie bekommt und anschließend in die Elendsviertel zurückkehren muss - für den ist der Weg zur nächsten Pfeife schließlich nicht weit.