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"Pakistan in Erklärungsnot"

4. Mai 2011

Wie ist es möglich, dass Osama Bin Laden jahrelang unbehelligt in Pakistan leben konnte? Wer hat ihm geholfen? Welche Rolle spielte Islamabad? Diese Fragen beschäftigen die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen.

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Titelseiten deutscher Tageszeitungen (Foto: AP)
In den deutschen Tageszeitungen ist der Tod Osama Bin Ladens auch am Mittwoch Top-ThemaBild: dapd

Die Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung aus Essen hält es für ausgeschlossen, dass die pakistanische Regierung nichts davon wusste, dass Amerikas Staatsfeind Nummer 1 in ihrem Land Unterschlupf fand. Der Kommentator meint:

"Peinlich für Pakistan. Unvorstellbar, dass die Regierung des islamischen Staates keine Kenntnis vom Domizil ihres prominenten Gast hatte. Im malerischen Urlaubsort Abbottabad konnte es sich der selbst ernannte Scheich samt Gefolge bequem machen und sein tödliches Terrornetz spinnen. Für seine Sicherheit sorgten wohl Gesinnungsfreunde in pakistanischen Regierungskreisen, vor allem im Geheimdienst. Ein unglaublicher Affront gegen Amerika, das diesen maroden Staat mit vielen Milliarden Dollar Militärhilfe überhaupt am Leben erhalten hat. Auch ein Armutszeugnis für die so hochgelobte CIA. Wie konnte den Agenten der komfortable Aufenthaltsort des Staatsfeindes Nr.1 jahrelang verborgen bleiben? Pakistan ist längst kein Verbündeter im Kampf gegen Terror mehr, sondern hält sich seine Position nach allen Seiten offen. Eine von Korruption zutiefst verdorbene politische Elite hat das Land den Islamisten ausgeliefert. Nun kann der gewaltsame Tod des El-Kaida-Führers den Staat endgültig ins Chaos stürzen."

Ähnlich argumentiert auch die in Heidelberg erscheinende Rhein-Neckar-Zeitung:

Schon seit langem stehen die Sicherheitskräfte in Pakistan unter dem Verdacht, mit den Terroristen, die sie angeblich bekämpfen, gemeinsame Sache zu machen. Die Tatsache, dass Osama bin Laden offenbar jahrelang in einer Garnisonsstadt leben konnte, bestätigt diese Vermutung. Denn es erscheint kaum vorstellbar, dass an einem solchen Ort ein schwer gesichertes Anwesen errichtet wird, ohne dass die Geheimdienste wissen, wer sich da in ihre Nachbarschaft begibt. In der Tat hat Pakistan bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 am Aufbau diverser Terrornetzwerke mitgewirkt. Die Beziehungen der Sicherheitskräfte dorthin dürften vielfach noch bestehen - ebenso wie die Sympathien für deren Ziele. Zumal der Richtungswechsel Pakistans zum Anti-Terror-Kampf durch Drohungen der USA erzwungen wurde und nicht aus Überzeugung heraus erfolgte. Dies ist umso bedrohlicher, als das Land über Atomwaffen verfügt. Daher wandeln die westlichen Staaten gegenüber Pakistan auf einem schmalen Grat: Sie müssen die zivile Führung unterstützen, gleichzeitig aber verhindern, dass diese ein doppeltes Spiel betreibt. Der Krieg gegen den Terror wird in Pakistan entschieden. Das hat die Tötung Bin Ladens erneut gezeigt.

Etwas süffisant formuliert die Mittelbayerische Zeitung aus Regensburg:

"Stellen Sie sich vor, in Ihrer Nachbarschaft baut jemand ein Haus im Wert von einer Million Dollar. Wie lange denken Sie, dass der Bauherr geheim bleibt? Und dann stellen Sie sich vor, das Ganze geschieht nicht irgendwo in der Prärie, sondern in einer respektablen Gegend, in der sich Militärs im Ruhestand niederlassen und wo eine Garnison stationiert ist. Und niemand soll bemerkt haben, dass hier Osama bin Laden gelebt hat? Pakistan ist in Erklärungsnot. War es bislang ein Verdacht, dass mächtige Kräfte im Land dem Terror Unterschlupf bieten, so ist der Fall Bin Laden der Beleg dafür - und Beweis für die Aussage vieler Experten, dass mit dem Krieg in Afghanistan der Kampf gegen den internationalen Terror niemals gewonnen werden kann. Wer noch weitere Belege braucht, sollte sich überlegen, warum die USA seit Monaten mit Drohnen auch über pakistanischem Gebiet operieren.“

Der Kölner Stadt-Anzeiger gibt in Bezug auf die Tötung von El-Kaida-Chef Osama bin Laden durch die US-Eliteeinheit Navy Seals zu bedenken:

"Dass amerikanische Navy Seals die territoriale Integrität Pakistans ignorierten, als sie den Terrorfürsten Bin Laden liquidierten, kippt Öl ins Feuer. Während es aus Sicht der US-Militärs nachvollziehbar erscheint, die pakistanischen Kollegen vorher nicht einzuweihen, könnte sich diese Entscheidung als schwerer politischer Fehler erweisen. Der jüngste Höhepunkt des fast zehn Jahre währenden Anti-Terror-Kampfs, dem auch Pakistan sich verschrieben hat, hätte auch ein Triumph der zivilen Führung sein können (...). Es wäre ein wichtiges Signal an die Zivilgesellschaft gewesen, dass die gewählte Regierung nicht gewillt ist, sich dem Druck der Dschihadisten und ihrer Sympathisanten in Uniform zu beugen."

Der Berliner Tagesspiegel schließlich meint zun Zeitpunkt der Tötung Osama Bin Ladens:

"Amerika und die Nato wollten so oder so im Juli mit der Truppenreduzierung beginnen und bis 2014 die Verantwortung für die Provinzen nach und nach abgeben. Bin Ladens Tod macht das leichter. Obama kann sagen: "Mission accomplished!" An der Sicherheitslage hat sich wenig geändert. Vielmehr wirkt Pakistans Doppelspiel jetzt noch perfider, als man im Westen ohnehin annahm. Wer mag glauben, Regierung und Geheimdienst hätten keine Ahnung von bin Ladens Versteck gehabt? Die Region bleibt explosiv, nur der Abzug wird einfacher."

zusammengestellt von Esther Felden
Redaktion: Stephan Stickelmann