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Nach Osama: wie weiter mit Pakistan?

5. Mai 2011

Nach der Kommando-Aktion gegen Osama bin Laden fordern in den USA immer mehr Stimmen, alle Finanzhilfen für Pakistan einzufrieren. Südasien-Experte Christian Wagner warnt im Gespräch mit DW-WORLD.DE vor diesem Schritt.

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Christian Wagner (Foto: SWP)
Christian WagnerBild: Stiftung Wissenschaft und Politik

DW-WORLD.DE: Die USA sind mit Abstand der wichtigste Geldgeber Pakistans. Was würde mit dem Land passieren, wenn die US-Milliarden nicht mehr fließen?

Christian Wagner: Das Land wäre de facto pleite. Das hätte verheerende Konsequenzen für die innere Stabilität. Es kann nicht im Interesse der USA sein, zum wirtschaftlichen Niedergang und zum Bankrott Pakistans beizutragen. Das Land befindet sich, auch bedingt durch die Flut und durch die jahrelange innenpolitische Instabilität, in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Pakistan ist dringend auf internationale Zusammenarbeit angewiesen, vor allem auf die Zusammenarbeit mit den USA.

Pakistan hat bis jetzt nach dem 11. September 2001 rund 13 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe und über 6 Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe bekommen, weitere Milliardenbeträge sollen folgen. Wer kontrolliert eigentlich in Pakistan den Fluss des Geldes?

Genau diese Frage ruft immer wieder große Unstimmigkeiten im bilateralen Verhältnis hervor. Natürlich geht der Hauptteil direkt an das Militär. Aber selbst dort sind nicht immer alle Belege über die Ausgaben vorhanden, was auch zu Irritationen führt. Wir wissen also letztendlich nicht immer genau, wie die Mittel in Pakistan verteilt und eingesetzt werden.

Ist Pakistan ein Terrorstaat?

Nein, Pakistan ist sicher kein Terrorstaat, aber es gibt massive Probleme im Kampf gegen den Terrorismus. Pakistan weist zu Recht darauf hin, dass es selber gegen den Terrorismus vorgeht. Pakistan kämpft seit Jahren in den Stammesgebieten entlang der pakistanisch-afghanischen Grenze gegen Al Kaida-Gruppen und gegen die pakistanischen Taliban. Andererseits wissen wir, dass die pakistanischen Streitkräfte die Aktivitäten afghanischer Taliban-Gruppen dulden und ihnen Freiräume gewähren, weil sie sich erhoffen, dass sie damit Einfluss in Afghanistan erhalten. Zudem gibt es in Pakistan eine Reihe terroristischer Gruppen wie Lashkar e-Toiba, die im Kampf gegen Indien unterstützt werden.

Protestierende Anhänger der verbotenen islamistischen Jamaat ud-Dawa trauern um Osama bin Laden (Foto: dpa)
3. Mai 2011 in Karatschi: Anhänger der verbotenen Jamaat ud-Dawa trauern um Osama bin LadenBild: picture-alliance/dpa

Die pakistanische Armee hat seit dem ersten Krieg in Kaschmir 1947 immer auf den Einsatz solcher militanter Gruppen gesetzt. Aber diese Strategie ist gescheitert, weil sich mit den pakistanischen Taliban ab 2003/2004 Teile von den afghanischen Taliban abgespalten haben und gegen die pakistanische Armee kämpfen. Aus dem Umfeld von Lashkar e-Toiba haben sich ebenfalls einige Gruppierungen und Einzelpersonen abgespalten, die heute auch gegen den pakistanischen Staat kämpfen. Außerdem hat auch Al Kaida Pakistan 2007 den Krieg erklärt.

Diese jahrzehntelange Unterstützung für militante Gruppen ist also mittlerweile völlig kontraproduktiv geworden. Auf der anderen Seite gibt es aber vermutlich innerhalb der Sicherheitskräfte noch genug Sympathisanten, die Kontakte zu einzelnen Gruppen aufrechterhalten, weil man natürlich immer noch hofft, dass man sie als strategische Gruppen im Kampf gegen Indien oder zur Mitsprache in Afghanistan einsetzen kann.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich der pakistanische Militärgeheimdienst ISI oder zumindest Teile von ihm so sehr vom eigentlichen Militär abgekoppelt haben, dass sogar Osama bin Laden offenbar unbehelligt in Abbottabad leben konnte?

Der ISI ist nicht eigenständig. Er ist ein Geheimdienst des Militärs. Die Offiziere im ISI sind Armeeoffiziere, für die eine Station im Geheimdienst ein Teil ihrer militärischen Laufbahn ist. Allerdings ist von pakistanischer Seite immer wieder zugegeben worden, dass ehemalige Mitglieder des ISI und ehemalige Armeeangehörige die Seiten gewechselt haben. Es hat ja zum Beispiel eine Reihe von Anschlägen auf den früheren Präsidenten, General Pervez Musharraf, gegeben, bei denen klar war, dass Angehörige des Militärs beteiligt waren.

Vermutlich haben diese Ehemaligen immer noch ihre Sympathisanten und Netzwerke innerhalb der Streitkräfte, so dass es eine große Grauzone gibt. Bei so einer Grauzone ist es dann schwer zu sagen, ob es die Streitkräfte unmittelbar waren oder ob es nur Teile der Streitkräfte und des Geheimdienstes waren. Vielleicht waren es auch nur ehemalige Mitglieder der Sicherheitsorgane, die ihre guten Kontakte in die Streitkräfte ausgenutzt haben.

Gibt es Hinweise dafür, dass islamistische Tendenzen im pakistanischen Militär zunehmen?

Wenn wir unterstellen, dass das Militär der Spiegel der Gesellschaft ist, dann werden die Islamisten etwa 10 bis 15 Prozent innerhalb der Streitkräfte ausmachen. Am Ende ist das aber Spekulation. Aber man darf nicht vergessen, dass die beiden wichtigsten Konfliktherde in den 90er Jahren, nämlich der Kampf um Kaschmir und der Kampf um Afghanistan, von pakistanischer Seite explizit unter islamistischen Vorzeichen vorangetrieben wurden. Wir haben es also eventuell heute mit einer Generation von Offizieren zu tun, die sehr viel stärker mit islamistischen Ideen sympathisiert als das in früheren Jahren in Pakistan der Fall gewesen ist.

Das mächtige Militär gilt in Pakistan als Staat im Staate. Welche Rolle spielen Präsident Asif Ali Zardari und seine Regierung?

Die Regierung befindet sich in einer sehr schwierigen Situation. Wir haben es in Pakistan nicht mit einem Primat der Politik zu tun, wie wir es verstehen. Außen- und sicherheitspolitische Fragen werden in einem sehr hohen Maß von der Armeeführung bestimmt. Das gilt gerade dann, wenn es um zentrale Themen wie den Antiterrorkampf und um das Verhältnis zu Indien und Afghanistan geht. Hier hat die zivile Regierung vergleichsweise wenig Spielraum.

Es existiert eine permanente Auseinandersetzung zwischen der Armeeführung, der Regierung und den konservativen Kreisen im Land, in wieweit es eine Annäherung an Indien geben kann und in wieweit man durch einen Ausbau der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen dann auch einen Konfliktherd wie Kaschmir langfristig befrieden kann.

Test der atomwaffenfähigen Shaheen II-Rakete in Pakistan (Foto: AP)
April 2008: Test der atomwaffenfähigen Shaheen II-Rakete in PakistanBild: AP

Wie nah ist Pakistan dran, ein gescheiterter Staat zu sein?

Ich würde nicht davon ausgehen, dass Pakistan ein gescheiterter Staat ist. Pakistan ist nicht der Gaza-Streifen, und Pakistan ist nicht Somalia. Es ist nicht der Gaza-Streifen in dem Sinne, dass es dort zu einer Mehrheit der Islamisten bei demokratischen Wahlen kommen kann. Es ist auch kein Land wie Somalia, in dem staatliche Strukturen völlig implodieren. Pakistan hat aber massive Probleme in der Regierbarkeit.

Allerdings muss man sich gleichzeitig vergegenwärtigen, dass dieses System den pakistanischen Eliten sehr entgegenkommt. Wir haben ja in den beiden wichtigsten Provinzen Punjab und Sindh immer noch eine sehr große Dominanz der Großgrundbesitzer, die sogar eigene gerichtliche Funktionen einnehmen und die ein eigenes Gewaltmonopol gegenüber ihren Leibeigenen haben. Diese Herrschaftsform hat große Vorteile für die Eliten. Ich gehe also davon aus, dass es weder zu einer Verbesserung noch zu einer Implosion kommt. Pakistan bleibt noch für geraume Zeit ein Land, dass nach unserem Verständnis schlecht regiert wird.

Warum braucht der Westen Pakistan?

Pakistan ist für uns ein ganz wichtiges Land. Es ist mit rund 180 Millionen Menschen schon heute eins der bevölkerungsreichsten Länder der Welt und das Wachstum der Bevölkerung wird weiter zunehmen. Außerdem kontrolliert Pakistan praktisch den ganzen Nachschub für die NATO-Truppen in Afghanistan. Und nicht zuletzt ist Pakistan eine Atommacht. Das pakistanische Militär kontrolliert die Nuklearwaffen. Die Sicherheit dieser Waffen ist für die USA und für den Westen vermutlich das größte strategische Gut.

Christian Wagner leitet die Forschungsgruppe Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führte Sandra Petersmann
Redaktion: Marko Langer