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"Pakistan muss entschlossener handeln"

13. Mai 2011

In Pakistan fehlt der politische Wille, entschlossen gegen Extremisten vorzugehen, sagt Pakistan-Experte Jochen Hippler. Diese Politik habe fatalen Folgen für die ganze Region, erklärt er im Interview mit DW-WORLD.DE

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Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler (Foto: Jochen Hippler)
Der Politikwissenschaftler Jochen HipplerBild: Jochen Hippler

DW-WORLD.DE: Die Taliban haben ihre Drohung, Rache für Bin Laden zu nehmen, wahr gemacht und weitere Anschläge angekündigt. War Bin Laden für die Taliban doch deutlich wichtiger als viele dachten?

Jochen Hippler: Anschläge an sich sind nichts Neues. Dieser war nur besonders blutig. Es gab ja seit 2002 immer wieder solche Anschläge. Auffällig ist hier aber, dass sich der Anschlag nicht gegen amerikanische Ziele, sondern gegen pakistanische Sicherheitskräfte gerichtet hat - obwohl Osama Bin Laden von amerikanischen Spezialeinheiten getötet wurde. Das zeigt, dass der Tod Bin Ladens die Politik der Taliban nicht wirklich beeinflusst hat, so wie sie es auch direkt danach erklärt hatten. Die Begründung des Anschlags ist also eine andere, nicht aber die Tat selbst.

Wie immer nach solchen Anschlägen taucht die Frage auf: Wird sich Pakistan noch weiter radikalisieren?

Ich sehe im Moment in Pakistan zwei gegenläufige Tendenzen, die sich, aus der Ferne betrachtet, sehr stark zu widersprechen scheinen. Einerseits beobachten wir in Teilen der pakistanischen Gesellschaft eine ideologische Radikalisierung. Dabei möchten die meisten radikalen Kräfte mit den gewalttätigen Aufständischen - also den pakistanischen Taliban - nicht viel tun haben, obwohl sie teilweise durchaus deren Ideologie teilen.

Auf der anderen Seite wächst und erstarkt in Pakistan in den vergangenen 10 bis 20 Jahren eine neue Mittelschicht, dazu gehören Beschäftigte im Bankensystem oder in den Versicherungen, also besser gebildete Leute. Das Bildungssystem ist seit der Jahrtausendwende, zumindest auf dem universitären Level, sehr deutlich gestiegen. Und es gibt starke Tendenzen, die auch an das Prinzip der Rechtstaatlichkeit anknüpfen, zum Beispiel haben in den Jahren 2007 und 2008 über eine Million Menschen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert

Meinen Sie damit den Aufstand der Anwälte und ihren Ruf nach Rechtstaatlichkeit?

Richtig, aber es waren nicht nur Anwälte. So viele Anwälte gibt es in Pakistan ja gar nicht. Da haben auch Bettler oder Unternehmer mitgemacht. Das war eine sehr breite Bewegung, die stark vorweggenommen hat, was dann später in Tunesien und Ägypten passiert ist. Und das ist natürlich eine völlig andere Tendenz als diese Radikalisierung bestimmter Kreise. Beide Tendenzen laufen nebeneinander, und beide sind von Europa aus sehr schwer zu verstehen.

Islamabad wird seit einiger Zeit ein Doppelspiel im Kampf gegen den Terrorismus vorgeworfen. Es heißt, Pakistan unterstütze die radikalen islamistischen Kräfte, um zum Beispiel in Afghanistan an Einfluss zu gewinnen. Muss Pakistan jetzt nicht viel entschlossener gegen radikale Kräfte im eigenen Land vorgehen?

Das ist eigentlich lange überfällig. In Pakistan gibt es seit den 70-er Jahren die Tendenz, extremistische Gruppen zu unterstützen und als außenpolitische Waffe in Kaschmir oder Afghanistan einzusetzen. Doch es gab auch Versuche, gegen diese Gruppierungen im eigenen Land hart vorzugehen.

Aber es heißt, dass Islamabad nur gegen Gruppierungen vorgeht, die nicht im Sinne Pakistans handeln.

Das ist richtig. Die pakistanische Regierung ist sehr nachsichtig vorgegangen gegen extremistische Gruppen, die in Kaschmir oder Afghanistan agieren. Es hat sich schon seit einigen Jahren erwiesen, dass die extremistischen Gruppen nicht immer kontrollierbar sind. Islamabad hätte viel früher merken müssen, dass die Instrumentalisierung von solchen extremistischen Kräften auf Dauer nicht gut geht. Wir haben mehrfach erlebt, dass Gruppen, die außenpolitisch nützlich waren und früher unterstützt wurden, jetzt in Pakistan Gewalt und Unruhe verbreiten.

Es heißt, dass es in Pakistan mehrere Regierungen gibt: Zum einen wird die Armee genannt, zum anderen der Geheimdienst des Landes, der sogenannte ISI. Ist die zivile Regierung in Pakistan in der Lage, eine neue Politik zu wagen, um Pakistan national wie international auf einen guten Weg zu bringen?

Das ist eine interessante und komplizierte Frage. Es ist richtig, dass es in Pakistan unterschiedliche Machtorgane oder Regierungen gibt. Doch die Situation heute ist eine andere als vor 20 Jahren. Sowohl Mitte der 90-er Jahre als auch nach dem 11. September gab es Anweisungen, bestimmte Personen aus dem ISI zu entlassen oder zu versetzen. Das heißt, das Eigenleben des Geheimdienstes ist heute weit mehr unter Kontrolle als früher. Wenn die zivile Regierung entschlossen und klug wäre, hätte sie viele Möglichkeiten zu handeln. Doch in Pakistan fehlt der Wille, entschlossen für das eigene Land Politik zu machen. Es wird viel mehr opportunistisch und für die Bereicherung der eigenen Familien gehandelt.

Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und zur Zeit Privatdozent am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen.

Das Interview führte Ratbil Shamel

Redaktion: Ana Lehmann