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Gefährliches Doppelspiel

20. Oktober 2009

Mit einer großen Militäroffensive bekämpft die Regierung in Islamabad die aufständischen Extremisten in Südwaziristan. Dabei haben die Pakistanis ihren Feind zuvor selbst stark gemacht.

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Pakistans Armee rückt erneut gegen die Taliban vorBild: picture alliance / landov

Die Taliban in Afghanistan sind ursprünglich eine Kreation des pakistanischen Militärs und seines einflussreichen Geheimdienstes „Inter-Services Intelligence“ oder ISI. Aber auch die demokratische Regierung von Benazir Bhutto in den 1990er Jahren unterstützte die Strategie, militante Islamisten zu fördern, um Pakistans Einfluss im Nachbarland auszudehnen.

Präsident Pervez Musharraf bei einer Fernsehansprache Pakistan
Unter Präsident Musharraf erstarkten die Taliban im Grenzgebiet zu AfghanistanBild: AP/Pakistan Press Information Department

Seit dem 11. September 2001 hat Pakistan unter massivem Druck der USA offiziell jede Unterstützung für die Taliban eingestellt. Aber die Musharraf-Regierung ermöglichte es Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern aus Afghanistan, sich in die autonomen Stammesgebiete an der gemeinsamen Grenze zurückzuziehen. Das hatte vor allem außenpolitische Motive, da Islamabad die neue afghanische Regierung als anti-pakistanisch einschätzte und mit den Taliban eine Trumpfkarte in der Hand zu halten glaubte.

Nur langsames Umdenken

Erst in letzter Zeit setzt sich bei immer mehr Politikern und Sicherheitsexperten in Pakistan die Einsicht durch, dass diese Strategie nicht länger praktikabel ist. Immer mehr setze sich die Erkenntnis durch, dass das Establishment einen katastrophalen Weg eingeschlagen hatte, erklärt etwa Kamran Shafi von der großen liberalen Tageszeitung DAWN. Obwohl die Regierung seit Jahren lautsatark gewarnt worden sei, komme die Erkenntnis erst jetzt, besonders nach der jüngsten amerikanischen Truppenverstärkung in Afghanistan und dem dortigen Kommandowechsel.

Die Kontrolle über das Grenzgebiet verloren

Das Problem ist nur, dass weite Teile der Stammesgebiete, darunter insbesondere Nord- und Südwaziristan, seit Jahren de facto von den Taliban und al-Qaida regiert werden. Die Armee hatte sich weitgehend zurückgezogen. Auf mindestens zehntausend wird die Zahl der Taliban-Kämpfer alleine in Südwaziristan geschätzt, darunter ungefähr tausend Usbeken.

Die pakistanischen Sicherheitskräfte haben längst keine Kontrolle über diesen Landstrich mehr. Im Gegenteil: Die Taliban bekämpfen die Pakistaner umso vehementer, je mehr Islamabad versucht, sie in Schranken zu halten.

Karte, Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan Freies Bildformat
Zu den umkämpften Stammesgebieten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet gehören die Nordwestprovinz sowie Nord- und SüdwaziristanBild: DW

Gute Taliban, böse Taliban?

Trotzdem lässt sich auch bei der aktuellen Offensive in Südwaziristan beobachten, dass die Armee weiterhin versucht, die verschiedenen militanten Gruppen in der Region zu spalten, um leichteres Spiel zu haben. “Einige pakistanische Beobachter unterscheiden inzwischen regelrecht zwischen ‘guten’ und ‘bösen’ Taliban," erklärt Markus Daechsel, Historiker und Pakistan-Spezialist an der Universität London: "Die einen kann man bei Bedarf engagieren, um auf der Seite der Regierung zu kämpfen, während die anderen gegen die Regierung stehen.“

Afghanischer Flüchtling an der Grenze
Afghanische Flüchtlinge in BelutschistanBild: AP

Die Verflechtung der pakistanischen Armee mit Islamisten hat eine längere Geschichte als die Taliban und ist nicht nur aus außenpolitischen Motiven zu erklären. Die Armee hat sich auch im innenpolitischen Machtkampf immer wieder der Islamisten bedient. So schmiedete der Geheimdienst unter Musharraf beispielsweise eine mächtige Islamisten-Allianz, um die demokratischen Oppositionsparteien zu schwächen. Und in Belutschistan gehen Armee und Geheimdienste seit Jahren äußerst brutal gegen die eher linke Autonomie-Bewegung vor, während sie gleichzeitig die Taliban als Gegengewicht tolerieren.

Ohne Taliban keine Hilfsgelder?

Aber die pakistanische Regierung und die Armee haben auch anderweitig davon profitiert, dass die Taliban stark blieben. Historiker Daechsel verweist darauf, dass das Establishment in Islamabad die Bedrohung durch Islamisten inzwischen routiniert als Mittel einsetzt, um internationale Hilfe zu erhalten: “Nur wenn die pakistanische Führung ihre eigene Situation als hoffnungslos und am Rande des Zusammenbruchs hinstellen kann," so die Theorie des Historikers, "tritt die internationale Gemeinschaft auf den Plan und belohnt sie mit Entwicklungshilfe und politischer Anerkennung.”

Der politische Kommentator Kamran Shafi betont wie viele Pakistaner, dass die Islamisierung Pakistans und insbesondere die Förderung von Mujahedin für den Krieg in Afghanistan ursprünglich stark vom Westen gefördert wurden, um die Sowjetunion zu schwächen. Letzten Endes sei es dieses Erbe, an dem Pakistan heute noch leide. Denn dadurch sei das ganze staatliche System so gründlich korrumpiert worden, dass es lange dauern werde, damit aufzuräumen.

Autor: Thomas Bärthlein
Redaktion: Thomas Latschan