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Pakistans gespaltene Gesellschaft

25. Mai 2009

Die Kämpfe in Pakistan zwischen Regierungstruppen und den Taliban gehen weiter. Und der Konflikt droht das Land zu spalten: Denn zumindest Teile der Bevölkerung sympathisieren immer offener mit den Taliban.

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Verhaftete Taliban-Kämpfer in Pakistan (Foto:ap)
Verhaftete Taliban-Kämpfer in PakistanBild: AP

"Hilf uns, wenn du kannst," fleht der 18-jährige Adjmal, der mit seiner Großfamilie aus der umkämpften Distrikthauptstadt Mingora im Swat-Tal geflohen ist. Der Student lebt mit seiner Großfamilie im Klassenzimmer einer kleinen Grundschule in Mardan. 73 Menschen zusammengepfercht auf engstem Raum. Ein paar Matten auf dem nackten Zementfußboden und die Kleidung am Körper. Mehr ist nicht geblieben. Die Flüchtlings-Familie aus der umkämpften Distrikthauptstadt Mingora im Swat-Tal hatte keine Zeit zum Packen. Und der Rückweg bleibt ihnen verwehrt, solange die Großoffensive des pakistanischen Militärs anhält. Erst am Wochenende drangen pakistanische Soldaten in die wichtigste Stadt des umkämpften Swat-Tals vor. Armeeangaben zu Folge starben dabei mindestens 17 Taliban-Rebellen. "Die Taliban sind schreckliche Menschen," erzählt Adjmal: "Sie haben uns bedroht und mir gesagt, dass sie mich umbringen." Adjmal trägt Jeans, hört westliche Musik, geht gerne ins Kino und mag keine Bärte. Er passt nicht ins Weltbild der Taliban.

Pakistanische Flüchtlinge (Foto: ap)
Pakistanische Flüchtlinge aus dem Swat-Tal warten vor einer Lebensmittel-AusgabeBild: AP

Auf der Flucht vor den Regierungstruppen

Militante Extremisten vor einer besetzten Polizeistation (Foto:ap)
Militante Extremisten vor einer besetzten PolizeistationBild: AP

Nur einen Steinwurf von der Grundschule entfernt liegt das Camp Sheikh Shazad. Eins von dreien in Mardan. Die Stadt ist die erste Anlaufstation für die Flüchtlinge aus der Kampfzone im Nordwesten Pakistans und hat ihre Einwohnerzahl in den letzten drei Wochen mehr als verdoppelt. Die Camps sehen alle gleich aus. Endlos lange, enge Reihen von kleinen, weißen Plastikzelten. Auf offenem Feld, ohne Schatten, bei fast 45 Grad. In jedem Lager leben zwischen 10.000 und 15.000 Menschen, Tendenz steigend. Aber die meisten Flüchtlinge sind in Gastfamilien untergekommen. "Das ist alles die Schuld der Regierung. Die Armee soll verschwinden", fordert Abdul Aziz aus dem umkämpften Distrikt Buner, der an das Swat-Tal grenzt. „Wir wollen Eure Almosen nicht“, fügt er an. „Wir wollen in Ruhe gelassen werden.“ Für den Mullah mit dem langen Bart und dem schwarzen Turban war die Welt in Ordnung, bis die Armee kam. Jetzt ist auch er einer von insgesamt rund zwei Millionen Inlandsflüchtlingen. "Die Taliban sind keine Gefahr für Pakistan", sagt der geflohene Mullah, "sondern nur eine religiöse Bewegung, die Menschen davon überzeugen will, nach Gottes Regeln zu leben." Vor jeder Bestrafung gebe es erst eine Warnung, versichert er wortreich.

Zwei Lager auch in Islamabad

Die Rote Moschee in Islamabad (Foto:ap)
Die Rote Moschee in IslamabadBild: AP

Der Imam der berühmten Roten Moschee in der Hauptstadt Islamabad ruft zum Gebet. Von allen Seiten eilen Männer herbei. Nur die wenigsten sind so westlich gekleidet wie der 22-jährige Shafqat. Auch er ist gegen die Taliban, die er für die Probleme Pakistans verantwortlich macht. Es sei richtig, dass die Armee für die Souveränität Pakistans kämpfe. Doch ein älterer Geschäftsmann widerspricht vehement: "Das sind keine Terroristen. Das sind Religionsschüler!" Der Mann ist ein wohlhabender Teppich- und Schmuckhändler. Er macht Regierung und Armee für die Krise verantwortlich und verdächtigt die USA, im Hintergrund die Strippen zu ziehen.

Musterlösungen gibt es nicht

Pakistan Armee in den Bergen
Die pakistanische Armee geht weiter gegen die Taliban vorBild: Abdul Sabooh

"Wir kämpfen zum ersten Mal gegen die Taliban", sagt Professor Noman Sattar. Der Professor lehrt Friedens- und Konfliktforschung an der Nationalen Universität für Verteidigung in Islamabad. Er spricht von "einer gewaltigen und schnell wachsenden extremistischen Bedrohung" in Pakistan, die weite Teile der Gesellschaft immer noch ausblenden, weil der Staat sie viel zu lange ausgeblendet habe. Fehler würden lieber im Ausland gesucht als im eigenen Land. Pakistan ist seiner Meinung nach an einem Punkt angekommen, wo die Armee keine andere Wahl hatte, als zu den Waffen zu greifen. Aber der Friedens- und Konfliktforscher aus Islamabad weiß auch, dass die Bilderflut von Toten und Verletzten und vielen hunderttausend Inlands-Flüchtlingen eher den Taliban in die Hände spielt als den Regierungstruppen. Am Ende, so sagt der Professor, „wird es doch Gespräche mit den Taliban geben müssen, weil sie Realität sind“. Die Menschen machten lieber Kompromisse als das eigene Blut zu vergießen. Professor Noman Sattar glaubt, dass Stammesälteste und lokale Würdenträger Verhandlungen suchen sollten, sobald die Taliban bereit seien, ihre Waffen niederlegen.

Der Kampf gegen die Taliban ist für das religiös geprägte Pakistan genauso eine Zerreißprobe wie für das Nachbarland Afghanistan. Und solange es der Staat nicht schafft, das Leben der überwiegend armen Landbevölkerung zu verbessern, solange werden sich die Taliban weiter als Alternative präsentieren und eine gesellschaftliche Realität bleiben.

Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Thomas Latschan