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Palästina: Selbstbewusst mitreden

Mona Naggar10. November 2015

Der Nahostkonflikt wird auch über die Medien ausgetragen - einseitig und voreingenommen. Hier setzen Projekte an, in denen palästinensische Schüler lernen, eine eigene Meinung zu bilden und diese öffentlich zu äußern.

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Schülerin schaut hinter einer Mauer hervor; Foto: DW Akademie
Bild: Michael Lohse

Mit lauter Stimme und Mikro in der Hand gibt Ahmad Al-Khatib seinen Mitschülern Anweisungen für den Frühsport: "Rechts, links, vorne, hinten!" Vor dem Neuntklässler haben sich rund 250 Schüler auf dem großen Schulhof in Reihen aufgestellt. Es ist Viertel vor acht in Hizma, einem Dorf wenige Kilometer östlich von Jerusalem. Zeit für das sogenannte Morgenradio: eine zehnminütige Live-Show, die vor Unterrichtsbeginn an allen palästinensischen Schulen stattfindet. Nach dem Frühsport moderiert Ahmad selbstbewusst durch die nächsten Programmpunkte: eine kurze Koransure, die Nationalhymne und ein Text über Heimatliebe, den ein Schüler der neu gegründeten Medien-AG geschrieben hat.

Das Morgenradio gab es schon immer, sagt der 14-jährige Ahmad. Aber früher war es nicht üblich, dass Schüler selbst Texte verfassen konnten. Und auch die Medien-AG sei neu: "Wir überlegen uns gemeinsam Themen und arbeiten sie aus." Das wichtigste Thema für ihn: der Schulhof. "Der Asphaltbelag muss dringend durch Rasen ersetzt werden, weil sich Kinder oft beim Fußballspielen verletzen", sagt Ahmad. Darüber habe er bereits mit seinen Freunden im Morgenradio berichtet, erzählt er stolz.

Schüler machen auf dem Schulhof Frühsport Foto: DW Akademie
Moderierter Frühsport: Schüler in HizmaBild: Michael Lohse

Mitreden und mitgestalten

Die redaktionellen Veränderungen im Morgenradio und die Medien-AGs sind erste Ergebnisse des Projektes "Jugend spricht mit! Medienkompetenz für palästinensische Jugendliche". Hier vermitteln die palästinensische Jugendorganisation Pyalara und die DW Akademie Schülern, wie sie Medien besser verstehen, einordnen und auch selbst gestalten können.

"Junge Menschen haben hier kaum Möglichkeiten, sich öffentlich zu artikulieren und in einen Dialog mit der Gesellschaft zu treten", sagt Verena Wendisch, Ländermanagerin für die Palästinensischen Gebiete der DW Akademie. Parteiische Meinungsmache in den Medien erschwere es Jugendlichen zudem, sich ein kritisches Urteil zu bilden. Hier setzt das Projekt zur Medienkompetenz an: Es soll junge Palästinenser darin bestärken, ihre Meinung öffentlich zu äußern und sich an gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen.

Schuler Ahmed steht im Flur und schaut aus dem Fenster; Foto: DW Akademie
Der 14-jährige Ahmad moderiert das tägliche Morgenradio in seiner SchuleBild: Michael Lohse

Themen, die Schüler bewegen

Zugang zu Medien verändert - das hat auch die Schülerin Alaa Ahmad festgestellt. Sie stammt aus Kalandia, 15 Kilometer nördlich von Hizma. Ein gezeichneter Ort: Hier befindet sich sowohl ein Kontrollposten des israelischen Militärs als auch ein Flüchtlingslager. Hier leben die Nachfahren der Palästinenser, die 1948 bei der Staatsgründung Israels aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Alaa besucht in Kalandia eine UN-Schule für Mädchen.

In der Schulbibliothek trifft sich die 14-Jährige in den Pausen und Freistunden mit der neu gegründeten Redaktion - zehn Mädchen zwischen zwölf und 14 Jahren. Stolz zeigt Alaa die erste Wandzeitung, die sie mit ihren Mitschülerinnen in diesem Schuljahr herausgegeben hat: Auf einen großen orangefarbenen Karton haben die jungen Medienmacher mehrere Texte und Fotos geklebt.

Pausenhof-Szene auf einer Mädchenschule, Mädchen stehen zusammen; Foto: DW Akademie
Schülerinnen der UN-Schule in Kalandia lernen, über Probleme wie Mobbing offen zu diskutierenBild: Michael Lohse

Wandzeitung über Mobbing

In den Texten geht es um Mobbing in der Schule. Ältere Schülerinnen würden manchmal jüngeren das Taschengeld abnehmen oder sie zwingen, ihre Schultasche zu tragen, erklärt Alaa. "Uns war es wichtig, die Mädchen auf die Folgen aufmerksam zu machen. Wenn sich eine Schülerin in die Situation eines Mobbing-Opfers hineinversetzt, dann wird ihr vielleicht bewusst, was sie da anrichtet."

Alaa hat viele Themenideen, über die sie gerne berichten möchte: "Wir brauchen dringend Grünflächen in Kalandia. Ich sitze manchmal auf dem Dach unseres Hauses und überlege mir, was ich hier verändern und wo ich beispielsweise einen Garten anlegen könnte." Mit ihrem Engagement bei der Wandzeitung haben Alaa und ihre Mitschülerinnen einen Weg gefunden, das auszudrücken, was sie im Alltag bewegt.

Nicht zu allem Ja sagen

Die Schulen von Alaa und Ahmad gehören zu insgesamt acht Schulen in der Westbank, die an dem Projekt "Jugend spricht mit!" teilnehmen, um Medienkompetenz zu lernen. Alle liegen in dem sogenannten Gebiet C, einem sozial und wirtschaftlich benachteiligten Territorium unter fast vollständiger israelischer Sicherheits- und Zivilverwaltung.

"Unsere Kinder wurden viel zu lange dazu erzogen, zu allem Ja zu sagen", erklärt Hania Bitar, Leiterin der Jugendorganisation Pyalara. "Dinge in Frage zu stellen, wird bis heute nicht gern gesehen. Mit diesem Projekt tragen wir dazu bei, dass eine Generation heranwächst, die lernt, kritisch zu denken, zu recherchieren und zu hinterfragen." Das Projekt, das vom deutschen Entwicklungsministerium finanziert wird, hat im Frühjahr 2014 begonnen und soll bis 2016 andauern.

Schülerin Alaa zeigt sich vor ihrer Schule; Foto: DW Akademie
Alaa: "Ich bin selbstbewusster geworden"Bild: Michael Lohse

Hinterfragen ist für Ahmad längst Realität. Die neu gegründete Medien-AG gibt ihm Zuversicht: "Ich bin optimistisch, dass der Belag des Schulhofes bis Ende des Schuljahres ausgetauscht sein wird", sagt er überzeugt. Auch Alaa kann sich ihren Alltag ohne Medien nicht mehr vorstellen. "Seitdem ich bei der Wandzeitung mitmache, bin ich selbstbewusster geworden. Wenn alle an der Schule lesen und hören, was ich schreibe, gibt mir das Mut."