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Sagrada Familia ist halbwegs fertig

4. November 2010

Nach fast 130 Jahren Bauzeit wird in der Sagrada Familia der erste Gottesdienst gefeiert. Der Papst reist zur Weihe der architektonisch einmaligen Kirche nach Barcelona.

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Die Türme der Kathedrale im Feuerwerk (Foto: AP)
Die Unvollendete: Sagrada Familia in BarcelonaBild: AP

Wenn sie einmal fertig gestellt sein wird, in ungefähr 20 Jahren schätzen Experten, dann wird die Sühnekirche "Heilige Familie" in der spanischen Küstenmetropole Barcelona eine der größten Kirchen der Welt sein. Zumindest soll sie mit 170 Metern dann den höchsten Kirchturm der Welt haben und damit den jetzigen Spitzenreiter, das Ulmer Münster, um acht Meter überragen. Das wird aber noch dauern.

Architekt Antoni Gaudi

Am kommenden Sonntag (07.11.2010) wird Papst Benedikt XVI den Altar im halbwegs fertig gestellten Kirchenschiff weihen. Von den vier Außenfassaden sind aber erst zwei, die Weihnachtsfassade und die Osterfassade, wirklich komplett. Am Hauptportal, dem Dach und dem mächtigen Vierungsturm wird noch gebaut.

Seit 128 Jahren wird in der katalanischen Metropole an dem gewaltigen Sakralbau mit unterschiedlicher Intensität gewerkelt. Bis 1926 leitete der geniale Erfinder der Kirche, der gläubige Architekt Antoni Gaudi, die Bauarbeiten. Dann wurde er von einer Straßenbahn überfahren und starb.

Gaudi, der einen ganz eigenen katalanischen Jugendstil schuf, hat nur einen der raketenförmigen Türme an der Weihnachtsfassade gesehen. Alle anderen wurden nach seinem Tod vollendet. Die Nachfolger Gaudis mussten viel improvisieren und interpretieren, denn der exentrische Meister hatte keine Baupläne, sondern nur Gipsmodelle hinterlassen, die er ständig veränderte. Ein großer Teil dieser Gipsmodelle ist verloren gegangen, als die Bauhütte der Sagrada Familia in den Wirren des spanischen Bürgerkrieges in den 1930er Jahren niederbrannte.

Das Mittelschiff der kathedrale (Foto: Riegert)
Die Natur als Vorbild - Verästelte Gewölbe im MittelschiffBild: DW/B.Riegert

"Architektur dient der Menschheit"

Richtig in Schwung kamen die Bauarbeiten erst wieder in den letzten 20 Jahren unter dem Chefarchitekten Jordi Bonet. Er bemüht sich im Geiste Gaudis weiterzubauen, Figuren und Fassaden wirken heute aber wesentlich moderner als die noch von Gaudi selbst entworfene Weihnachtsfassade mit ihrem üppigen, überreichen Verzierrungen.

Bonet geht es darum, die Kirche zügig zu vollenden, aber auch Gaudis Geist atmen zu lassen: "Ich glaube, das sind zwei Dinge von gleicher Bedeutung. Die Architektur dient der Menschheit. Die Architektur ist nicht nur ein Gebäude, in dem sich Menschen versammeln, sondern sie ist spirituell. Dieses Gebäude kann diese Ruhe vermitteln und zur gleichen Zeit anregen, eine andere Dimension öffnen."

Schon zu Gaudis Lebzeiten entbrannte eine Diskussion, ob die Fassaden aussehen wie "Spritzgebäck" oder die "Sandburg Gottes". Kunst oder Kitsch? 2005 beantwortete die UNESCO diese Frage und erhob Gaudis Kirche zum Weltkulturerbe.

Christine Nather vor einem Mikrofon der Deutschen Welle (Foto: Riegert)
Christine Nather ist von der Baustelle fasziniertBild: DW

Millionen besuchen die Baustelle

Mit den Füßen stimmen jedes Jahr mehr als 2,5 Millionen Touristen über diese Frage ab. Die Großbaustelle in Barcelona ist die am meisten besuchte Sehenswürdigkeit in Spanien.

Eine der Besucherinnen ist Christine Nather aus Ludwigsburg. Sie legt den Kopf in den Nacken, um die aufstrebenden Türme der Osterfassade zu erfassen: "Verrückt, aber auch irgendwie klasse, weil sie nicht dem Bild einer Kirche entspricht, dass man normalerweise hat. Die hat was Modernes, was Abstraktes, eben so, wie der Gaudi auch war. Ich bin jetzt keine Christin, aber ich meine, man muss auch im Christentum mal was Modernes zulassen und darstellen können."

Träger des Baues ist eine Stiftung, die von der katholischen Kirche gegründet wurde. Finanziert wird das Vorhaben seit 128 Jahren ausschließlich aus Spendengeldern und den Eintrittsgeldern der Besucher, die für einen Blick in den fantastischen Innenraum der Kirche zehn Euro zahlen müssen. Das Geld auszugeben lohne sich aber, meinen die Besucher. Denn im Innenraum erleben sie die von Gaudi so genannte Weiterentwicklung der Gotik.

Aus leicht schräg gestellten Säulen sprießen steinere Äste und Blätter, die Kuppeln und Dächer tragen. Dem hochbetagten Chef-Architekten Jordi Bonet ist klar, dass er, ähnlich wie Gaudi, die Kirche nie vollendet sehen wird. Er habe sich bemüht, im Sinne Gaudis zu bauen: "Vielleicht sagt man, dass ich das sehr schlecht gemacht hätte. Das weiß ich nicht. Aber ich habe das Beste gegeben, alles was ich konnte. Tag und Nacht gearbeitet, ununterbrochen. Ich bin zufrieden, was will man mehr?"

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Fabian Schmidt