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Kampf um Recht und Sühne - viel Zeit bleibt nicht mehr

Vera Möller-Holtkamp27. März 2007

Die Zeitzeugen der Stroessner-Diktatur in Paraguay werden immer älter. Aber sie werden nicht müde, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Eine ehemalige Folterzelle in der Hauptstadt Asunción erinnert an grausame Szenen.

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Exponat im Museum der Erinnerungen in AsunciónBild: DW
Paraguay, Asunción Museo de las Memorias Museum der Erinnerungen Exponat
Museumsgründer Martín Almada und Museumsdirektorin María Stella CaceresBild: DW

María Stella Caceres und Martín Almada stehen vor dem schmalen Eingang des weiß gestrichenen Bürgerhauses. "Kommen Sie herein", rufen sie den Ankömmlingen freundlich zu. Nur eine kleine Plakette verrät, dass der erste Eindruck trügt. Hier lädt keine paraguayische Familie zum Tee. Es sind zwei Menschenrechtsaktivisten, die vor einem ehemaligen Folterzentrum auf ausländische Journalisten warten. "Museo de las Memorias", "Museum der Erinnerungen", steht auf dem Schild neben der Tür geschrieben. Es will auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, die während der Stroessner-Diktatur begangen wurden.

Das unscheinbare Haus in der Strasse Chile im Zentrum der paraguayischen Hauptstadt Asunción ist ein ehemaliges Folterzentrum der "Operation Condor". Sie organisierte in den 1970er und 1980er Jahren den grenzüberschreitenden organisierten Staatsterrorismus der Militärdiktaturen Chiles, Boliviens, Brasiliens, Uruguays und Argentiniens. Hier war eine Außenstelle dieses Netzwerkes beherbergt, das systematisch Oppositionelle foltern und ermorden ließ. "La Técnica" nannte der Volksmund diesen Ort, eine Art Gestapo-Hauptquartier in Paraguay. Offiziell trug es die harmlose Bezeichnung: "Nationales Büro für technische Angelegenheiten".

Was sich hier zugetragen hat, kann man sich in etwa vorstellen, sagt Almada, während er durch den langen Flur in den Innenhof läuft. Die Folterwerkzeuge sind noch da, die Schreibtische der Terror-Bürokraten wirken so, als ob die Folterer nur kurz in die Mittagspause verschwunden seien. Das Hinterhaus ist stark vergittert, hier wurden die Gefangenen festgehalten.

Ein Folteropfer erinnert sich

Paraguay, Asunción Museo de las Memorias Museum der Erinnerungen Exponat
Heute ein Museum - das Büro der FoltererBild: DW

Der Gründer des Museums Martín Almada ist selbst Folteropfer des Terrorregimes. Der Pädagoge und Rechtsanwalt wurde 1974 von der "Operation Condor" verschleppt und dreieinhalb Jahre gefangen gehalten. Davon war er drei Monate lang in diesen Räumen gefangen.

"Es ist für mich eine große Qual, überhaupt dieses Haus zu betreten. Die Erinnerungen werden wieder wach. Ich werde diese Menschen einfach nicht los." Er hatte gehofft, dass mit der Zeit die Albträume abnehmen würden. "Aber das ist nicht so. Im Gegenteil - es ist viel schlimmer geworden. Früher haben sie mich nur nachts heimgesucht, aber jetzt bin ich alt und mache jeden Tag Siesta. Ich hasse das Bett."

Paraguay, Asunción Museo de las Memorias Museum der Erinnerungen Exponat Horst Köhler
Martín Almada und ZeitzeuginnenBild: DW

Nach dem Ende der Diktatur hat er sich dafür eingesetzt, dass dieses Zentrum entsteht. Aber nach der Stroessner-Ära blieb auch die Stroessner-Partei Colorado an der Macht. "Die hatten doch alle kein Interesse an so einem Museum", sagte Almada. Erst 17 Jahre, nachdem sich der Diktator ins Ausland absetzte, konnte das Dokumentationszentrum eröffnen - am 16. August 2006. Ironischerweise am selben Tag, als Ex-Diktator Alfredo Stroessner straffrei im brasilianischen Exil starb.

"Die Regierung hat hier viel weggeräumt. Sie will alles ganz sauber haben. Aber wir arbeiten daran, diesen Ort zu rekonstruieren", so der hagere 70-Jährige, der 2002 mit dem alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er ist heute noch in psychiatrischer Behandlung, hat physische und psychische Schäden davon getragen. Seine Stimme klingt ruhig aber gepresst, wenn er von damals erzählt: "Bevor ich hierher gebracht wurde, war ich [in einem anderen Gefängnis] 30 Tage im Hungerstreik. Ich habe am Ende nur 40 Kilo gewogen und war sehr schwach. Sie haben mir eine Woche lang nur Fäkalien zu essen gegeben, und sie haben mir mit Elektroschocks meine Augen verbrannt." Er hält kurz inne, als wolle er sich nicht weiter erinnern. Nach einer kurzen Pause fährt er fort: "Als ich hier heraus kam, hat mein Kopf alles gelöscht. Ich habe alles verdrängt. Erst Jahre später, als wir hier zu arbeiten begannen, haben sich die grausigen Erinnerungen zurückgemeldet."

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Horst Köhler hat ein Zeichen gesetzt

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Horst Köhler bei der Führung durch das MuseumBild: DW

Am 6. März 2007 war der deutsche Bundespräsident Horst Köhler im Museo de las Memorias, das mit deutschem Geld unterstützt wird, zu Besuch. Martín Almada hat ihn hier herumgeführt, und nach einem Gespräch mit Zeitzeugen und weiteren Opfern den Staatsgast aufgefordert, bei der Wahrheitsfindung zu helfen. "Ich habe den Präsidenten gebeten, die Archive in Nürnberg zu öffnen und alle vorhandenen Informationen zu liefern. Und er hat zugesagt. Das ist ein großer Erfolg", sagt Almada. Es geht darum, den Weg der gewaltsam Verschleppten nachzuzeichnen, um herauszufinden, wer für welche Verbrechen verantwortlich ist. Als Opfer der "Operation Condor" wurden bislang nur einige hundert nachgewiesen. Doch die Bilanz der lateinamerikanischen Repressionspolitik ist nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen erheblich höher: Etwa 50.000 Ermorderte, 400.000 Gefangene und 35.000 Verschwundene (desaparecidos).

Zwei Wochen nach Köhlers Besuch hat Almada bei der spanischen Regierung vorgesprochen und gefordert, auch die spanischen Archive für Ermittlungen zu öffnen. Die spanische Regierung hat daraufhin ihre Unterstützung angeboten. "Bald fliege ich nach Paris. Ich will erreichen, dass auch die Franzosen Informationen preisgeben", sagt Almada.

Paraguay gilt als korruptestes Land Südamerikas

Menschenrechtler kritisieren, dass ein Großteil der Verbrechen der Diktatur bis heute noch nicht geahndet wurde. Die Regierung hat zwar auf Drängen von Aktivisten wie Martín Almada im August 2004 eine Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit eingerichtet, aber ihr fehlen die finanziellen Mittel, um effektiv arbeiten zu können. Beispielsweise entbehrt die Comisión de Verdad y Justicia das Geld, um Zeitzeugen für eine Aussage die Anreise zu bezahlen. "Die paraguayische Regierung interessiert sich zu wenig für dieses Thema", sagt der Präsident der Wahrheitsfindungskommission Bischof Mario Melanio Medina. Als Gründe nennt er die verkrusteten Machstrukturen in Paraguay, wo die Coloradopartei seit 60 Jahren ununterbrochen an der Macht ist. "Es sind noch immer Viele in Amt und Würden, die für die Verbrechen verantwortlich sind", führt der Kirchenmann aus. Die paraguayische Gesellschaft sei außerdem sehr konservativ und ängstlich. Sie fördere diesen Prozess kaum.

Das Museum der Erinnerung ist daher noch nicht allzu viel besucht. Erst in diesem Jahr sollen Schülern der Sekundarstufe die Möglichkeit gegeben werden, sich in einem Wahlfach über die Verbrechen der Stroessner-Diktatur zu informieren. Vielleicht kommt irgendwann mehr Unruhe auf.