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Parlamentswahlen in der Slowakei: Für oder gegen Reformen?

14. Juni 2006

Am Samstag (17.6.) wählen die Slowaken ein neues Parlament. Die gut vier Millionen Wähler entscheiden dabei auch über die Reformen der bisherigen Regierung unter Premier Mikulas Dzurinda.

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Abstimmung über den weiteren Reformkurs im LandBild: Bilderbox

Dzurinda von der Slowakischen Christlichen und Demokratischen Union (SDKU) ist stolz auf seine Reformen, die dem Land das Image eines wirtschaftlich dynamischen "Tatra-Tigers" bescherten. Die Kritiker halten sie für zu radikal. Die Oppositionspartei "Smer" ("Richtung") verspricht daher im Wahlkampf, einen Teil der - für die Bürger harten - Reformen zurückzunehmen.

Dzurinda: Keine neuen Opfer notwendig

Premier Dzurinda hingegen kündigte an, keine neuen Opfer zu verlangen und nimmt damit der Kritik seiner zahlreichen Gegner die Spitze. Auf Wahlkampftour in der Kleinstadt Zvolen sagte er: „Wir müssen den Gürtel nicht mehr enger schnallen. Weil wir schon aus dem Gröbsten raus sind und die schmerzhaften Reformen hinter uns liegen, können wir jetzt das Ziel anpeilen, in den nächsten Jahren die am meisten entwickelten Länder Europas einzuholen."

Ausländische Investoren sind gekommen

Vor allem mit der "flat tax" - einer einheitlichen Steuer von 19 Prozent - hat die Mitte-Rechts-Koalition des Ministerpräsidenten Mikulas Dzurinda von sich reden gemacht: Ausländische Investoren sollten so ins Land gelockt werden. Und tatsächlich - vor allem die Automobilindustrie - ob VW, Peugeot oder Kia - hat das Land zwischen der Donau und dem Tatra-Gebirge für sich entdeckt.

Dass er nun um seine Wiederwahl bangen muss und seine Partei laut Umfragen lediglich bei etwa elf Prozent liegt, ficht den 53-Jährigen nicht an. Dzurinda erklärte: „Es ist wie beim Arzt: Wenn man sehr krank ist und eine Spritze bekommen muss, ist man auch nicht sehr begeistert. Aber der Verstand sagt einem, dass man es aushalten muss und dass es im eigenen Interesse ist."

Linke propagiert „dritten Weg“

Da ist Róbert Fico einer ganz anderen Meinung. Der charismatische Strahlemann ist Vorsitzender und Spitzenkandidat der linken Partei "Smer" ("Richtung"). Er ist der eindeutige Favorit dieser Wahl - etwa 30 Prozent der Wähler sind von dem 41-Jährigen überzeugt. Einen "dritten Weg" propagiert Fico auf den Wahlplakaten und: "Ordnung, Gerechtigkeit und anständiges Leben."

Sowohl die Steuer- und Arbeitsmarktreform als auch die Reformen im Rentensystem und Gesundheitswesen hätten von der Bevölkerung zu viel abverlangt, erklärte Fico im Wahlkampf. Außerdem seien nicht sie entscheidend für das Wirtschaftswachstum von rund sechs Prozent gewesen, sondern gut ausgebildete Arbeitskräfte und ein relativ niedriges Lohnniveau.

Fico verspricht, die Steuerreform zu überprüfen, um sie den Bedürfnissen der sozial Schwachen anzupassen. Im Wahlkampf attackierte er in erster Linie die Partei des Premier Dzurinda, die SDKÚ: "Die SDKÚ lügt und sie verwendet zur Finanzierung ihrer Kampagne illegale Quellen", entrüstete sich der "zornige junge Mann", wie ihn politische Beobachter nennen.

Misstrauen gegenüber Ficos Politik

Doch auch bei ihm ist nicht klar, welche Geldgeber hinter ihm stehen. Viele in der Slowakei trauen Ficos Politik nicht. Der Politologe Miroslav Kusý: "Er versucht, eine wirklich populistische und demagogische Politik durchzusetzen. Und auf Fragen nach der Ausrichtung seiner Partei gibt er nur sehr vage Antworten."

Der Wahlkampf in der Slowakei wird fast ausschließlich mit innenpolitischen Themen geführt. Anders als vor vier Jahren, als es um den EU-Beitritt ging, der dann 2004 mit dem derzeitigen Premier Dzurinda erfolgreich über die Bühne ging. Und wie schon zuvor, 1998, ging es bei der letzten Wahl 2002 auch darum, den autokratisch regierenden Vladimir Meciar zu verhindern. Dieser hatte in den ersten fünf Jahren der Selbstständigkeit der Slowakischen Republik das Land außenpolitisch isoliert. „Heute stellen weder er noch seine Partei eine Gefahr dar", sagt Politologie-Professor Rastislav Tóth. Nur etwa zehn Prozent der Wähler würden ihm seine Stimme geben. Meciars HZDS ("Bewegung für eine demokratische Slowakei") könne sich jedem anderen Programm anpassen - sowohl nach links als auch nach rechts. So wird eine Regierungsbeteiligung der HZDS nicht mehr ausgeschlossen.

Kompromisse sind gefragt

Anpassungsfähigkeit wird nach der Wahl von den meisten Parteien verlangt. Denn auch die künftige slowakische Regierung wird eine Koalition aus zwei, drei oder gar vier Parteien sein. Und: Sie wird bei der Formulierung ihres Programms bedenken müssen, dass die Trennung zwischen Reformbefürwortern und Reformgegnern in der Bevölkerung sehr schwer zu ziehen ist: Die Meinungsforscherin Olga Gyarfasova: „Die slowakische Gesellschaft ist in ihrer Mehrheit nicht gegen die Reformen eingestellt. Im Allgemeinen hat man keine große Lust, neu anzufangen. Als wollte man sagen, das Schlimmste haben wir hinter uns, beschäftigen wir uns jetzt nicht mehr mit den Anfängen."

Selbst Politikberater, die der sozialdemokratischen "Smer"-Partei nahe stehen, sind überzeugt, die bisherigen Reformen seien notwendig gewesen, sie müssten lediglich an einigen Stellen abgemildert oder aber zu Ende geführt werden.

Vladimir Müller

DW-RADIO, 14.6.2006, Fokus Ost-Südost