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Abkürzungshauptstadt

Alexander Kudascheff24. Januar 2007

Brüssel ist ja nicht nur ein bürokratischer Moloch, es ist auch ein Synonym für Abkürzungen aller Art. Nur wer sie versteht, findet sich im Labyrinth der Brüsseler Verordnungen und Richtlinien zurecht.

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Dabei versteckt sich nicht immer hinter einer Abkürzung eine neue bürokratische Folter für den europäischen Bürger. Das eine oder andere - sagen wir ehrlich: das meiste - ist ganz vernünftig, auch wenn Günter Verheugen zu Recht für einen strikten Bürokratieabbau eintritt. Mehr als 80.000 Verordnungen - das ist ein gewaltiger Happen, und Kenner meinen, es reichten die Hälfte. Die Frage bleibt nur, welche Hälfte?

Jedenfalls ist die Flut der Verordnungen längst bestimmend - für den innenpolitischen Alltag der Mitgliedsstaaten - und wie Roman Herzog meint, gefährdet sie sogar die parlamentarische Demokratie, da rund 85 Prozent aller Gesetze, die im Bundestag verabschiedet werden - aus Brüssel stammen. Wobei es egal ist, ob die Gesetze in Brüssel erdacht wurden oder - häufiger der Fall - in den nationalen Hauptstädten erfunden wurden, und dann über Brüssel zurück in die nationale Innenpolitik gespeist werden.

Was verbirgt sich hinter g.g.A.?

Aber: Brüssel hält sich inzwischen zurück und erfindet nicht jeden Tag das europäische Harmonisierungsrad neu. Gott sei Dank - wobei das Parlament klagt, es hätte nicht genug zu tun. Und die listigen Liberalen fordern deswegen bereits, man müsse die Sitzungswochen zurückfahren, dann hätte man auch wieder Zeit für das Gespräch mit dem Bürger - um unter anderem für Europa zu werben. Was ja alle wollen.

Man könnte etwa - eine positive europäische Nachricht - den Bürger erklären, was sich hinter g.g.A. verbirgt. Das heißt: "geographisch geschützte Angabe". Nicht mehr, aber es ist wichtig. Denn damit sind - wenn ein Produkt diese begehrte Auszeichnung erhält, Produkte aus einer Region geschützt, die nur dort verarbeitet werden dürfen: Champagner in der Champagne, Parmaschinken und Parmesan in Parma - als ganz berühmte Beispiele.

Lust am Essen und Trinken

Die Italiener mit ihrer Lust am Wein und Essen und die Franzosen mit ihrer Lust am Wein und Essen - sie haben sich die meisten Produkte schützen lassen. Wen wundert's. Aber auch die Deutschen haben längst begriffen, dass g.g.A. sich rechnet, weil es die kulturell-kulinarische Vielfalt schützt. Einige deutsche Beispiele g.g.A.: Aachener Printen, Odenwalder Frühstückskäse, Thüringer Rostbratwurst, Lüneburger Heidschnucke, Spreewälder Gurken, Greußener Salami, Schwarzwaldforelle, Lübecker Marzipan, Meissner Fummel, Diepholzer Moorschnucke, Nürnberger Lebkuchen, Lausitzer Leinöl, Schwäbisch-Hallisches Schweinefleisch, der Schwarzwälder Schinken. Alles Leckereien, die zum Teil seit Jahrhunderten in deutschen Regionen hergestellt oder veredelt werden - wie auch der Dresdner Stollen oder auch die Kieler Sprotten.

Insgesamt 700 Lebensmittel sind in Europa regional geschützt - ein Blick aufs Etikett reicht. Ein vernünftiger Beitrag, um die Essenskultur in Europa zu bewahren. Aber - man muss es einräumen - eine Vorschrift war nötig. Brüsseler Credo: "g.g.A." darf nicht dem Bürokratieabbau geopfert werden.