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Hindemith erobert Washington

Gero Schließ31. Januar 2014

Der Komponist nannte es sein "Amerikanisches Requiem". Für Christoph Eschenbach ist es "eines seiner schönsten und tiefsten" Werke. Nach mehr als 60 Jahren wurde es im Kennedy-Center der US-Hauptstadt aufgeführt.

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Portrait Paul Hindemith im Jahr 1928 (Foto: CC BY-SA 3.0/Axel Hindemith)
Bild: CC BY-SA 3.0/Axel Hindemith

Was für eine Woche für Paul Hindemith und Christoph Eschenbach! Erst erhielt eine Aufnahme Eschenbachs mit konzertanten Werken Hindemiths den begehrten Grammy. Und wenige Tage später führte der deutsche Dirigent mit amerikanischer Karriere dessen selten gespieltes Requiem auf, das "er eigentlich für Washington geschrieben hat", so Eschenbach im Gespräch mit der DW.

Neuland für Dirigent und Musiker

Und was für ein Wagnis! Für alle Mitwirkenden war die Aufführung eine absolute Premiere. Keiner der beteiligten Künstler hatte das Requiem je aufgeführt. Der Dirigent Christoph Eschenbach, die Gesangssolisten Michelle De Young und Matthias Goerne, das National Symphony Orchestra und die Sänger der Choral Arts Society of Washington wagten sich auf Neuland vor – und gewannen.

Lang anhaltender Beifall des Publikums folgte einem ungeheuer konzentrierten Zuhören. Die Menschen ließen sich in Bann ziehen von einer machtvollen Musik und einem historischen Sujet, dass sie emotional berührte.

Requiem für zwei Präsidenten

Genau genommen ist das Requiem auf den Tod gleich zweier amerikanischer Präsidenten komponiert: Hindemith schuf es im Jahre 1946 unter dem Eindruck des Todes von Franklin D. Roosevelt. Walt Whitman wiederum verfasste den von Hindemith zugrunde gelegten Text "When Lilacs Last in the Dooryard Bloom'd" - Wenn Flieder im Garten wieder blüht - auf den Tod von Abraham Lincoln.

Flieder, Drossel und Venusstern

Eschenbach erinnert daran, dass Lincoln zur Zeit der Fliederblüte gestorben ist, die auch heute noch ganz Washington in ein atemberaubendes Blütenmeer verwandelt. "Und so gibt es drei Symbole in dem Stück: den Flieder, die Drossel, die ein Klagelied singt und den Venusstern, der also sozusagen gefallen ist mit dem Tod von Lincoln", analysiert Eschenbach.

Abraham Lincoln (Foto: ddp images/AP Photo/W.A. Thomson)
Abraham LincolnBild: AP
Christoph Eschenbach dirigiert das National Symphony Orchestra Washington (Foto: Margot Ingoldsby Schulman)
Christoph Eschenbach und das National Symphony Orchestra WashingtonBild: Margot Ingoldsby Schulman

Walt Whitman, glühender Anhänger und Zeitgenosse Lincolns, ist in den USA ein populärer Dichter. Der Text mag denn auch dem Publikum den Zugang zur Musik Hindemiths erleichtert haben.

Er beschreibt den Trauerzug, in dem Lincoln von Washington nach Illinois gebracht wurde und dabei in langsamem Tempo eine Reihe von Bundesstaaten durchquerte. "Und das wird wunderbar in Hindemiths Musik gezeigt", schwärmt Eschenbach. "Es beginnt mit einem Trauermarsch und endet in einer großen Fuge, die die Schönheiten des Landes beschreibt".

Man sieht förmlich den Weizen sprießen und hört die Vögel singen. Einer der Höhepunkte ist schließlich die Fuge, in der Hindemith die europäische Tradition des Kontrapunktes mit dem amerikanischen Text verschränkt.

Hindemith und Amerika

Der Komponist hatte Nazi-Deutschland enttäuscht den Rücken zugewandt und sich danach gesehnt, sich mit jenem Land zu identifizieren, das ihm Zuflucht bot. Als Professor in Yale und der Sommerakademie Tanglewood fand er rasch Anerkennung. Der Kompositionsauftrag für das Requiem verschuf ihm große Befriedigung. Kurz vorher bekam er die amerikanische Staatsbürgerschaft, die er bis zu seinem Lebensende behielt.

Das Requiem ist jenen gewidmet, "die wir lieben", wie es in der Unterzeile heißt. Damit geht Hindemith weit über die beiden Präsidenten und auch über die Toten von Bürger- und Weltkrieg hinaus, die sich mit der Amtszeit von Lincoln und Roosevelt verbinden. Es gibt immer wieder lyrische Stellen, aus denen diese Liebe förmlich herausklingt. Und im Kontrast dazu Passagen, die den Tod als großen Herrscher beschreiben, an dem niemand vorbeikommt.

Auch wenn der Tod zweier Präsidenten der Anlass für Hindemiths Requiem war, so hat es letztlich wenig mit Politik zu tun. "Aber sie waren eben zwei großartige Präsidenten, die mehr waren als nur Präsident. Die mehr für die Welt getan haben, als das ein normaler Präsident tut", sagt Eschenbach. "Lincoln war der ganze Held des Bürgerkriegs, der ihn in die Hand genommen hat und gedrosselt hat (…) und Roosevelt (…) hat mit den Alliierten zusammen die Nazis bekämpft und das mit Erfolg. Das ist mehr als politisch, das hat viel weitere Dimensionen".

Große Musik

Die Uraufführung des Requiems in New York im Jahre 1946 verbuchte Paul Hindemith in Briefen an seine Frau Gertrud auf der Habenseite. Auch jetzt in Washington hatte man den Eindruck, dass die Dimensionen seines Werkes das Publikum erreichte.

Und Christoph Eschenbach, der sich in den USA und Deutschland schon viele Jahre für das weithin unterschätzte Werk von Hindemiths einsetzt, nimmt den Doppel-Erfolg dieser Woche als Ansporn: " Ich bin sehr, sehr froh dass der Grammy gerade auf eine Hindemith-Platte fällt. Das hilft sehr, weil jeder davon spricht. Und jeder wird neugierig sein, wie klingt denn dieses "Zeug", und jeder wird erstaunt sein, dass es große Musik ist."

Dirigent Paul Hindemith (Foto: picture-alliance/Robert Lebeck)
Komponist und DirigentBild: picture-alliance/Robert Lebeck
Paul Hindemith (Foto: Erich Auerbach/Getty Images)
Erfolgreich in den USABild: Getty Images