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Die Prager Quadriennale 2015

Ricarda Otte27. Juni 2015

Es knarzt, kratzt, knurrt und tanzt in Prag: Das alles ist Teil der Prager Weltausstellung für Szenografie. Alle vier Jahre zeigt diese, wozu Regisseure, Performer, Bühnenbildner und Sounddesigner fähig sind.

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Blaue Stühle mit roter Aufschrift "PQ 2015 18.-28.6." (Foto: PQ, Viktor Tuček)
Bild: PQ, Viktor Tuček

Blaue Stühle mit der roten Aufschrift "PQ 2015 18.-28.6.": Sie hängen in wilden Konstruktionen im Stadtbild und sind das Erkennungsmerkmal der mehr als 60 Orte, die gerade in Prag vorübergehend ein Eigenleben bekommen. Jedes Mal sind die Stühle anders verschraubt, jedes Mal ein Hingucker. In Sachen Guerilla-Marketing kann man der PQ nichts vormachen. Doch Orientierung bietet das Gestühl nur räumlich - das glückliche Händchen, aus dem üppigen Programm wirklich auch die interessanten Events und Konzepte herauszufiltern, muss der Besucher schon selbst mitbringen.

Außenansicht Geburtshaus Franz Kafkas, einer der Ausstellungsorte der Prager Quadriennale 2015, Foto: PQ, Viktor Tuček
Einer der Ausstellungsorte mitten in der Stadt: das Geburtshaus des Schriftstellers Franz KafkaBild: PQ, Viktor Tuček

Zu Gast bei Franz Kafka

Erste Station: das Geburtshaus des Schriftstellers Franz Kafka am heute nach ihm benannten Platz Náměstí Franze Kafky. Es stand leer und hat sich nun in einen der lebendigsten Ausstellungsorte der PQ verwandelt. Auf vier Stockwerken drängen sich fast 50 Einzelausstellungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Künstlerische Leiterin der PQ, Sodja Lotker, ließ es sich deshalb wohl auch nicht nehmen, die Schau im Kafka-Haus persönlich zu eröffnen und dann zuzuschauen, wie sich ein Fluss an Menschen in das Treppenhaus und die Flure ergoss. Für sie ist das der Trumpf dieser Ausgabe der Prager Weltausstellung, die seit 1967 alle vier Jahre stattfindet: "Das historische Zentrum von Prag haben längst die Touristen übernommen und wir erobern es jetzt zurück!"

Geschichte in Szene gesetzt

Spätestens im hintersten Raum im dritten Stock des Kafka-Hauses wird dann endgültig klar: Szenografie ist so viel mehr als das Erstellen eines Bühnenbildes in den Werkstätten eines Theaters. Szenografie ist die Kunst, Bilder, Ton und Objekte zu etwas Neuem verschmelzen zu lassen. Der armenische Fotograf Vahan Stepanyan und seine drei Mitstreiter haben in einer Kirchenruine 50.000 Fotos von Schulmädchen mit Puppen gemacht und 10.000 davon zu einem kunstvoll-schaurigen Film verwoben, den sie nun in Prag als Teil der Rauminstallation "Red Hail… because it Never Ends" zeigen. Ihr zugrunde liegen Aufnahmen der norwegischen Missionarin Bodil Katharine Biørn, die ab 1905 in Armenien in einem Waisenhaus arbeitete. Nachdem sie einmal zu Weihnachten jedem der Mädchen eine Puppe schenkte, für die sie in Norwegen hatte Geld sammeln lassen, fotografierte sie die glücklichen Kinder mit ihren neuen Spielgefährtinnen im Arm. 1915, nach den Massakern am armenischen Volk, versuchte Mutter Katharine - so wurde sie genannt - vergeblich, auch nur eines dieser Mädchen wiederzufinden. Sie wurden alle ermordet. Insgesamt waren rund 500.000 Kinder unter den Opfern der Massaker.

Schwarz-Weiß-Foto mit einer Gruppe von Mädchen, die auf die Kamera zulaufen, Foto: PAN Photo
Der Fotograf Vahan Stepanyan machte 50.000 solcher Aufnahmen für die Installation "Red Hail"Bild: PAN Photo

"Wir planten schon lange, mit diesen Fotos zu arbeiten. Bodil Katharine Biørns Enkelsohn verschaffte uns dann Zugang zu ihren etwa 60 noch erhaltenen Fotos in einem norwegischen Archiv", schildert Stepanyan das Ausgangsszenario. Der Schwarz-Weiß-Film ist mit einem eigens dafür komponierten sakralen Musikstück des armenischen Komponisten Tigran Hamasyan unterlegt. Er versucht mit den neu inszenierten Fotos, an die Atmosphäre der früheren Bilder anzuknüpfen. So, als wäre die Zeit nur stehengeblieben und das Kinderlachen noch in der Luft. Das ergibt ein sehr ästhetisches und bewegendes Gesamtkunstwerk.

Viel gewollt, aber nicht alles funktioniert

Wieder an der frischen Luft: ein Blick auf den PQ-Stadtplan. Sowohl die finnische als auch die Schweizer Länderausstellung hat einen Teil raus in den öffentlichen Raum verlagert. Wie sich ein Klavier anhört, das ein Jahr lang am Strand unter freiem Himmel stand, das beantwortet der finnische Beitrag "The Sound of Music (in a box)". Nicht nur das Äußere des Klaviers ist ramponiert, vor allem der Klang ist nun völlig verändert, es kratzt und knurrt, setzt man die dazugehörigen Kopfhörer auf. Ein sehr anschaulicher Umgang mit dem diesjährigen Motto "SharedSpace: Music Weather Politics", das sich, so erklärt es Sodja Lotker, zum einen darauf beziehe, dass Theater ein sozialer Ort sei, der auf das reagiere, was um ihn herum passiert. "Zum anderen verknüpft es Szenografie mit Ästhetik, Ethik und Natur, all diesen Dingen, die größer sind als das Theater."

Besucher mit Kopfhörern vor einem Ausstellungs-Container, Foto: DW
Wie hört sich ein Klavier an, dass ein Jahr lang unter freiem Himmel am Strand stand?Bild: DW/R. Otte

Nicht jeder Beitrag der PQ nimmt all dies gleich intensiv und überzeugend auf. Die Schweizer etwa haben auf dem Wenzelsplatz im Herzen Prags eine eiserne Brücke aufgebaut. Sie soll, so heißt es im Programmheft, "Fußgängern eine Vogelperspektive auf einen Platz ermöglichen, der Ort für viele historische Momente war". Leider fehlt an der Brücke jeglicher Hinweis darauf: Die rote Tafel am blauen Stuhl ist leer und von Vogelperspektive kann bei kaum einem Meter Höhe kaum die Rede sein. Ein Eingriff in den öffentlichen Raum, der sich höchstens PQ-Insidern erschließt und damit verschenkt ist. In diesen Momenten fällt die PQ zurück in das frühere Muster, ein Ort nur für die Fachwelt zu sein. In anderen funktioniert das Konzept sehr wohl, sich dem großen Publikum zu öffnen. Und dann gelingt auch das Experiment, ein interessantes Nebeneinander zu bieten von aufwändigen Produktionen für die große Bühne - etwa mit "Deep Dish", einem atemberaubenden "choreographischen Live-Film" aus Wien - und flüchtigen Studenten-Performances im Prager Stadtbild.

Fußgängerbrücke am Wenzelsplatz, Foto: DW
Eine Installation, die mehr als rätselhaft bleibt: eine Fußgängerbrücke auf dem WenzelsplatzBild: DW/R. Otte