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Gespräch mit Peter Ruzicka

4. Oktober 2010

Peter Ruzicka ist ehemliger Künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele. Als Musikmanager, Dirigent und Komponist reflektiert er über das moderne Musikleben und über die Neue Musik, auch über sein eigenes Schaffen.

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Komponist Peter Ruzicka (Foto: picture-alliance/dpa)
Komponist Ruzicka: Beim Komponieren müsse der Text "durchlässig" seinBild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Herr Ruzicka, das Beethovenfest 2010 läuft unter dem Motto "Ins Offene". Das ist ein Zitat vom deutschen Dichter Friedrich Hölderlin. Auch Ihre Werke, die in Bonn gespielt werden, speisen sich aus literarischen Quellen, zum Beispiel Hölderlin oder Celan. Ist die Musik nicht mehr selbsterklärend?

Peter Ruzicka: Es war viele Jahrzehnte so, dass die Entwicklung des musikalischen Materials wichtiger war, als die Verbindung der Musik mit der Literatur. Denken Sie an die großen Werke der 50-er und 60-er Jahre: Stockhausen, Ligeti, Nono. Das ist heute anders. Wir fühlen uns freier. Nur muss man aufpassen, wenn man vorformulierte Texte annimmt, dass sie für die Musik "durchlässig" sind, dass sie nicht abgeschlossen, hermetisch sind. Im letzteren Fall kann die Musik nichts mehr bewirken. Deshalb war und bin ich auf der Suche nach einer Verbindung, die für mich logisch und auch lohnend als Komponist ist.

Sie haben mal gesagt, dass ca. 80% der Poesie für die Musik nicht prädestiniert ist. Was macht die Poesie von Hölderlin oder Paul Celan anders? Sie haben ja beiden Poeten jeweils eine Oper gewidmet – "Hölderlin" und "Celan".

Dichter Friedrich Hölderlin (1770-1843) (Foto: o.A.)
Ruzicka lässt sich von Friedrich Hölderlin (1770-1843) inspirieren

Vielleicht zunächst zur Verbindung von Celan und Hölderlin: Ich habe gelesen, dass das letzte Buch, das Celan vor seinem Selbstmord gelesen hatte, eine Biographie von Hölderlin war. Da steht dieser melancholische Satz: "Der Geist, der sich verdunkelt". Das ist ein Moment des Abschiednehmens. Es besteht eine sehr direkte Verbindung zwischen den beiden Dichtern, auch wenn sie mehr als ein Jahrhundert trennt. Es geht um äußerst sensible Spuren, die das Leben reflektieren, es geht darum, dass wir uns auf historische Spuren besinnen. Denken Sie daran, dass Celan in seinen Texten die größte Wunde des 20. Jahrhunderts reflektiert – den Holocaust. Und Hölderlin, der das Verhältnis von Mensch und Natur neu sieht, hat die Vision eines befreiten Lebens. Das sind Aspekte, die für uns heute wichtig, vorwärtsschauend und bedeutend sind. Für mich sind sie prägend.

Sie arbeiten an ihrem nächsten Werk, auch einer Oper. Fließen diese Gedanken da mit ein?

Ich habe eine Vision von einer Oper, die jetzt durch das Cello-Konzert "Über die Grenze" vorbereitet wird. Ich möchte etwas über Grenzzustände des Bewusstseins schreiben. Ich habe mit Menschen gesprochen, die das Jenseits nach einem schweren Unfall erlebt haben: Dieses Entschweben vom Ort des Geschehens und "Sich-zurück-begeben-müssen" – eigentlich gegen den Willen, weil sie etwas Schönes erlebt haben. Dieses Überschreiten von bis dato ehernen Grenzen: Das soll die Thematik sein, mit allen Schwierigkeiten, das auf der Bühne glaubhaft zu visualisieren. Da muss die Musik sehr viel Autonomie haben. Ich hoffe, dass es gelingen wird.

Sie haben als sehr junger Mensch in Paris Paul Celan kennen gelernt, drei Monate vor seinem Freitod. Was war das für eine Erfahrung?

Das war das erste Mal, dass ich unmittelbar dem Tod begegnet bin. Obwohl ich nicht vor Ort war, habe ich es sehr gegenwärtig erlebt. Es war eine sehr verstörende Begegnung. Ich muss sagen, ich war damals sehr jung – ein "Parzifal", sozusagen. Aber das war einer der wichtigsten Momente in mein Leben. Ich habe beschlossen, viele Dinge anders zu sehen. Ich wollte wissen, was die Ursache dieses Todes war. Das hat auch mein historisches Bewusstsein geschärft. Ich würde sagen, bei der Beschäftigung mit Celan habe ich sehr viel mehr gelernt, als durch das, was man üblicherweise "Geschichtsunterricht" in der Schule nennt. Da wird sehr vieles verdrängt und nicht ausgesprochen. Es waren ja die 50-er und 60-er Jahre.

Sie sind zum Beethovenfest 2010 als "Komponist in Residenz" nach Bonn eingeladen. Was bringt diese Art der Präsentation – oder Repräsentation? Was sagen Sie dazu als Musiker – aber auch als erfahrener Musikmanager?

Dieses Festival ist vorzüglich geführt. Es setzt, neben der Begegnung mit Beethoven, jedes Jahr andere Schwerpunkte. Es macht Werkzyklen möglich, und als Komponist durfte ich auch einige Wünsche äußern und habe eine Auswahl getroffen zwischen den Werken, die ich neu geschrieben habe, und solchen, die ich interpretieren darf.

Beethovenfest Intendantin Ilona Schmiel (Foto: Barbara Frommann)
Lob für Beethovenfest und Intendantin Ilona SchmielBild: Barbara Frommann

Sie haben ihr Leben lang zwischen dem Leben als Impressario und Festivalleiter auf der einen und als Komponist und Musiker auf der anderen Seite "gependelt". Kann man sich heute nicht mehr erlauben, ein "Vollzeitkomponist" zu sein?


Ich glaube, das ist nach wie vor für unsere Gesellschaft ein großes Problem. Ich habe gerade im Sommer an der Musikhochschule Rostock einen Kurs gegeben. Ich hatte dort zehn junge Komponistinnen und Komponisten. Es ging um das Komponieren von Streichquartetten. Und ich habe alle am Anfang gefragt: Wollt ihr, könnt ihr, sollt ihr als freischaffende Komponisten in unserer Gesellschaft leben? Und die Antwort war überraschend eindeutig: "Ja! Wir riskieren das mal". Das war umso verwunderlicher, als am Anfang kaum Erträgnisse zu erwarten sind. Es wird geraume Zeit dauern, bis man vom eigenen Schaffen leben kann. Ich freue mich darüber, dass dieser Optimismus da ist. Es ist bei uns ja anders, als in skandinavischen Ländern, wo es Staatsstipendien gibt. Es ist mutig, sich in unserer Gesellschaft darauf einzulassen. Die meisten versuchen es über einen Umweg: Sie lehren und komponieren in der Freizeit.

Aber die moderne Musik spricht eine Sprache, die nur von einem Bruchteil der Bevölkerung überhaupt verstanden wird…

Eine mögliche Lösung kann in einer besseren Vermittlung gesehen werden. Ich habe mir immer wieder da, wo ich Verantwortung getragen habe – in Hamburg an der Oper, in Salzburg bei den Festspielen – sehr viel Mühe auf dem Feld der Musikvermittlung gegeben. Das heißt Einführungen und Hilfestellungen zu geben, vorzugsweise die Komponisten zu bitten, dort präsent zu sein. Und ich habe mir Mühe gegeben Programme zu bauen, die eine logische Verbindung schaffen zwischen Musik der Tradition und neuer Musik – "komponierte Programme" sozusagen. Und wenn das gelingt, dann ist überhaupt keine Barriere mehr sichtbar, und der Erfolg stellt sich ein. Ich glaube, da gibt es noch viele Vorurteile, und die Intendanten sind gefragt, durch richtige Gesten der Vermittlung diese möglicherweise noch bestehende Zögerlichkeiten zu überwinden.

Das Interview führte Anastassia Boutsko
Redaktion: Jürgen Brendel