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Pfingsten

27. Mai 2012

Von Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland.

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Präses Nikolaus Schneider
Präses Nikolaus SchneiderBild: AP

„Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ So lesen wir die Pfingstgeschichte in der Bibel.

Aus Zögern wurde Begeisterung, aus Angst wurde Mut, aus Rückzug wurde Aufbruch. Gottes Geist machte neue Wege und Verständigung möglich – über innere und äußere Grenzen hinweg. Gottes Geist sprach zu den Menschen in ihrer Muttersprache. Menschen aus ganz verschiedenen Sprach- und Kulturkreisen hörten von den „großen Taten Gottes in ihren Sprachen“. Pfingsten war ein Hör- und Verstehenswunder, jede und jeder wurde ganz unmittelbar von der frohen Botschaft des Evangeliums angesprochen.

Den Menschen in Jerusalem erschloss sich die Geschichte des Sterbens Jesu Christi am Kreuz ganz neu als eine Heilsgeschichte: Die ultimative Grenze aller Grenzen, die Grenze des Todes ist durch das Sterben Christi überwunden. Er war tot und ist auferstanden. Das hatten seine Weggefährtinnen und Weggefährten in direkten Begegnungen mit dem Auferstandenen erfahren. Dann hatte Jesus Christus sich von seiner direkten Gegenwart auf dieser Erde verabschiedet. Aber er hatte seine geistige Gegenwart für alle Tage und an allen Orten dieser Welt versprochen. Dieses Versprechen erfüllte sich jetzt, an dem ersten Pfingstfest in Jerusalem.

Jesus Christus, der auferstandene Herr, ist durch den Heiligen Geist bei seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern gegenwärtig. Das ist die Botschaft von Pfingsten seit diesem Hör- und Verstehenswunder in Jerusalem. So schlug am ersten Pfingstfest die Geburtsstunde für die große und bunte, vielfältige und vielstimmige Kirche Jesu Christi. Sie lebt bis heute in sehr verschiedenen Formen und Gestalten auf der ganzen Welt. Deshalb erinnern und feiern alle christlichen Kirchen zu Pfingsten das Geschenk dieses einen, vielfältigen, sprachkräftigen, tröstenden und ermutigenden Heiligen Geistes als Geburtstag der Kirche.

Im Ratzeburger Dom werden wir an diesem Pfingstsonntag den Geburtstag der Kirche in ganz besonderer Weise feiern. Die Evangelische Kirche in Deutschland freut sich über die Gründung der neuen "Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland " und feiert das in einem großen Gottesdienst. Der Aufbruch in die neue "Nordkirche" ist ein mutiger Schritt. Zuständigkeiten wurden neu sortiert und Kräfte werden konzentriert, um die Zukunft zu bestehen. Nicht alle werden die Prozesse der Neubildung mit freudigen Herzen begrüßen. Gewohnte Traditionen und Strukturen aufzugeben, fällt Menschen schwer. Und jeder Neuanfang bedeutet auch Verzicht und Abschied von Vertrautem und Liebgewordenem.

Dass dieser Aufbruch trotzdem gelungen ist - als Beschluss von drei Synoden – das ist wahrhaftig ein Pfingstereignis! Aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche und der Pommerschen Evangelischen Kirche wird die erste große Landeskirche in Deutschland, die lutherische und unierte, ost- und westdeutsche Traditionen verbindet. Eine deutsch-deutsche Vereinigungsgeschichte der ganz besonderen Art!

Pfingsten, dieses Fest des Heiligen Geistes, verdeutlicht uns wie kein anderer Feiertag im Kirchenjahr, was unsere Kirche im Kern ausmacht: das Wirken des lebendigen Christus im gegenwärtigen Geist Gottes. Dieser Heilige Geist ermutigt Christinnen und Christen, Ängste und Zweifel zu überwinden, Althergebrachtes hinter sich zu lassen und zu neuen Ufern aufzubrechen. So wirkt dieser Geist seit 2000 Jahren.

Diese Ermutigung zu neuen Aufbrüchen ist im Wortsinn „not-wendig“ auch für Menschen und Organisationen außerhalb unserer christlichen Kirchen. Gerade in unserer Zeit, die wir vielfach als eine Zeit einschneidender Veränderungen und als eine Zeit des Wandels erleben. Auch Deutschland und Europa stehen in diesen Wochen vor vielen neuen Herausforderungen. Fast täglich werden unsere Politiker und Politikerinnen mit neuen Problemen und Aufgaben konfrontiert, ohne dass die alten schon gelöst wären.

Jeder Wandel braucht Mut. Und jede sinnvolle Veränderung braucht die Orientierung an einem Ziel. Gottes Geist kann und will Menschen Ermutigung, Orientierung und Weggeleit geben. Gottes Geist zeigt uns dabei Wege, alle notwendigen Veränderungen und Neuanfänge auf friedliche Weise zu bewältigen. Kriege hatte Europa im Übermaß. Und immer wieder neu suchen Menschen ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Krawalle, Schlägereien, brennende Autos und Verwüstungen geben davon auch in unserem Land ein beredtes Zeugnis.

Gottes Geist aber will Menschen dazu stärken und ermutigen, mit Güte und Barmherzigkeit neue Aufbrüche zu wagen. So wie es der Prophet Sacharja uns ans Herz legt: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sacharja 4,6) Eine Kirche, die sich dem Wirken dieses Geistes anvertraut, ist ein Segen für die Gesellschaft, in der sie lebt. Möge Gottes Geist uns ein Pfingstfest schenken, an allen Orten und an allen Tagen des Lebens.

Frohe Pfingsten!