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Gesellschaft

Pflegebedürftige Muslime

18. August 2011

Die Zahl pflegebedürftiger Muslime in Deutschland wächst stetig. Doch bislang holen die Angehörigen kaum Hilfe von außen. In Bielefeld gibt es nun einen ambulanten Pflegedienst von Muslimen für Muslime.

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Multikulturelles Altenheim Heimleiter unterhält sich mit der 91-jährigen Türkin. Foto: Federico Gambarini dpa/lnw
Bild: dpa

 

Das Ideal einer intakten Großfamilie ist bei in Deutschland lebenden Muslimen noch immer tief verankert. Wenn die Eltern zum Pflegefall werden, regelt das die Familie zumeist noch selbst. Doch die Lebenswirklichkeit und das Idealbild klaffen zunehmend auseinander: Die Kinder sind berufstätig, ziehen weg oder Ehen brechen auseinander. Hinzu kommt der demographische Wandel. Nach einer Prognose des Deutschen Zentrums für Altersfragen, wird die Zahl der über sechzigjährigen Zuwanderer in Deutschland im Jahr 2020 auf rund 2 Millionen ansteigen. Die „Gastarbeiter“ von einst sind älter geworden und zunehmend auf die Pflege anderer angewiesen.

Bei Fatma Polat war das schon immer so. Die 50-Jährige Frau aus Bielefeld ist von Geburt an behindert und wurde bislang von ihren Eltern gepflegt. „Früher habe ich noch viel selbst gemacht und meine Eltern konnten mir helfen. Jetzt aber sind sie im Rentenalter und schaffen das körperlich einfach nicht mehr“, sagt Fatma Polat. Sie wohnt zwar noch immer zuhause, wird aber inzwischen von einem ambulanten Pflege- und Sozialdienst betreut, der sich auf die Bedürfnisse von Muslimen spezialisiert hat. Zuvor hatte die türkischstämmige Frau einen deutschen Pflegedienst. Als Fatma's Eltern von dem neuen Pflegedienst für Muslime gehört haben, haben sie sich für einen Wechsel entschieden – vor allem wegen des türkischsprachigen Personals.

Muslimische Pflegestandards einhalten

Die deutsche Altenpflege ist bislang kaum auf diese Menschen eingestellt. Im Raum Bielefeld ist Fatma Owda's ambulanter Pflege- und Sozialdienst der erste von Muslimen für Muslime angebotene Dienst. Mit „Herz und Händen“ – so der Slogan – will die 37-jährige Inhaberin kultursensibel pflegen. „Wenn ich die Wohnung von Frau Polat betrete, ziehe ich erst einmal meine Schuhe aus. Männer begrüße ich nicht mit dem Handschlag, es sei denn, sie wollen das“, sagt Fatma Owda.

Besonders wichtig sei die Sprache. Russisch-, kroatisch- und vor allem türkischsprachige Mitarbeiter betreuen Pflegefälle mit Migrationshintergrund. In Fatma Owda's Team arbeiten Frauen und Männer. Denn im Islam sollten weibliche Patientinnen möglichst von Frauen, und männliche Pflegebedürftige möglichst von Männern betreut werden, erklärt die 37-Jährige. Auch sind bei der Körperpflege und beim Umgang mit Ausscheidungen bestimmte Regeln zu beachten. So werden von Muslimen oft Vollbäder abgelehnt und bei einer Inkontinenz ist häufiges Waschen, Umziehen und Wechseln der Bettwäsche unbedingt erforderlich. Nur so ist der Patient in der Lage seine religiösen Pflichten zu erfüllen.

Scham und Schuldgefühle

Der Umgang mit Pflegefällen innerhalb muslimischer Familien ist ein sensibles Thema. Betroffene, die in ein Pflegeheim müssen, fühlen sich von ihren Kindern oft abgeschoben und schämen sich vor Nachbarn und Freunden. Ihre Kinder haben oft mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Fatma Owda kennt das Problem vor allem aus Sicht der Angehörigen. „Mein Rat, eine andere Versorgung in Betracht zu ziehen, stellt die Kinder vor große innere Konflikte. Sie fühlten sich verpflichtet, ihren Vater selbst zu versorgen und ihn keinesfalls in ein Heim zu geben – auch wenn das im Alltag kaum noch machbar ist", erzählt Fatma Owda.

Spezialisierte Häuser für Muslime

Die Hemmschwelle, einen ambulanten Pflegedienst in Anspruch zu nehmen, sei bei muslimischen Familien offenbar geringer, als Angehörige in einem Heim unter zu bringen. Bundesweit gibt es noch wenige Pflegeheime, die auf die Bedürfnisse von Muslimen eingestellt sind. Berlin bietet einige internationale Pflegeeinrichtungen, die sich auf Zuwanderer spezialisiert haben – die Mehrsprachigkeit des Personals, ein Gebetsraum sowie besondere Speisepläne machen dies deutlich. Doch das derzeitige Angebot an kultursensibler Pflege ist offenbar noch dürftig.

„Türkischsprachiges Personal gibt es zu wenig. Das wiederum hängt mit einem Mangel an Angeboten spezialisierter ambulanter Pflegedienste zusammen“, erklärt Issam Owda. Er hat Pflegewissenschaften studiert und beschäftigt sich seit Jahren mit der Pflege für Muslime. Es sei wichtig, ein Gefühl für die Kultur und den Glauben der Pflegebedürftigen zu haben, um sie optimal versorgen zu können.

Im Duisburger „Haus am Sandberg“, einem multikulturellen Pflegeheim für Deutsche und Einwanderer, hat man schon viele Jahre Erfahrung. Ein Mehr an Angeboten spezialisierter Häuser würde die Pflegelandschaft in Deutschland durchaus bereichern, meint Ralf Krause, der das Heim leitet. „Es muss eine Vielfalt an Angeboten geben, also auch rein muslimische Heime. Das sorgt natürlich für politische Diskussionen und erzeugt Angstgefühle. Aber unsere Gesellschaft wird lernen, dass nicht jede Art von Separierung eine Bedrohung ist, sondern im Grunde auch eine Chance.“

Autorin: Ulrike Hummel

Redaktion: Christina Beyert