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"Phase der Renationalisierung"

Daniel Heinrich2. Oktober 2015

Katalonien, Schottland, Südtirol. Separatistische Bewegungen haben in der EU Konjunktur. In Brüssel hält man sich mit öffentlichen Äußerungen zurück. Die Folgen wären nicht absehbar.

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Flaggen EU Spanien Katalonien, Foto : pa
Bild: picture-alliance/Robert Harding

Die Katalanen haben sich entschieden, die Separatisten haben die regionalen Wahlen klar gewonnen. Schon im vergangenen Jahr waren die Schotten in einem Referendum aufgerufen worden über ihre Unabhängigkeit zu entscheiden.

Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sieht in einigen Regionen Europas einen wiedererwachten Drang zur Selbsbestimmung: "In manchen Fällen äußern sich die Unabhängikeitsbestrebungen dahingehend, dass man Autonomie will, in anderen Fällen möchte man regelrecht Staatlichkeit, Souveränität und die komplette Loslösung vom Mutterstaat."

Der zahnlose Tiger: Der Ausschuss der Regionen

Im Zentrum separatistischer Bewegungen steht häufig der Wunsch einer durch sprachliche und kulturelle Wurzeln verbundenen Region einen politisch-institutionellen Überbau zu geben.

Um diesen Gebietseinheiten innerhalb der EU eine Stimme zu verleihen gibt es in Brüssel seit 1994 den "Ausschuss der Regionen" (AdR). 350 Regionen, 21 aus Deutschland, sind dort vertreten. Das Ziel: Den Vertretern der regionalen und lokalen Ebene ein Mitspracherecht zu geben.

Kai-Olaf Lang sieht im AdR inzwischen einen zahnlosen Tiger, wichtige Entscheidungen würden an anderer Stelle gefällt: "Wir sind in einer Phase der Renationalisierung, die Hauptstädte werden immer wichtiger, die Mitgliedsländer treten immer mehr in den Vordergrund".

AP Photo/Emilio Morenatti
Sieg der Separatisten. In Katalonien haben die Befürworter einer Unabhängigkeit die absolute Mehrheit errungenBild: picture-alliance/AP Photo/E. Morenatti

Damit einhergehend gäbe es eine Schwächung der Gemeinschaftsorgane wie der EU-Kommission. Um die derzeitigen Mitspracherechte der einzelnen Kommunen zu umschreiben zitiert der Experte einen katalanischen Kollegen. "Aus meiner Sicht ist die EU der Regionen tot. Wenn man in der EU etwas erreichen will, braucht man seinen eigenen Staat".

"Speedy boarding" als Notlösung ?

Einen solchen Staat neu in die europäische Staatengemeinschaft einzugliedern würde allerdings einen ganzen Rattenschwanz von Problemen hinter sich herziehen. Würde eine Region tatsächlich zu einem unabhängigen Staat, wäre der dann nicht mehr Teil der Europäischen Union. Sprich: Wie alle anderen Staaten müsste nach Artikel 49 des Lissabon-Vertrages ein Antrag auf Neumitgliedschaft gestellt werden.

Frei nach George Orwell wären diese Staaten laut Kai-Olaf Lang jedoch etwas "gleicher": "Es wäre ein anderes Verfahren als jetzt zum Beispiel mit Serbien, oder Montenegro. Denn diese neuen Staaten wenden ja schon jetzt 100 Prozent des EU-Rechtes an." In der Konsequenz, so der Experte, könnte man eine Art "Speedy boarding" in Betracht ziehen: "Wenn man da guten Willen zeigt, könnte man sehr schnell eine pragmatische Lösung finden".

Hören Sie rein: Kai Olaf Lang spricht über die Re-Nationalisierung in Europa

Dennoch würde ein solches Szenario die EU-Bürokraten vor riesige Hindernisse stellen. Vor allem das Prinzip der Einstimmigkeit stünde einer Neumitgliedschaft im Wege.

Selbst im Falle Schottlands, dessen Unabhängigkeit - im Falle einer dementsprechenden Entscheidung im Referendum - von London abgesegnet worden wäre, hätte die spanische Regierung aus Angst vor einem Dominoeffekt mit "Nein" gestimmt. Damit wäre ein Eintritt eines souveränen Schottlands in die EU von vorneherein ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Angst vor dem Dominoeffekt

Damit nicht genug. Keine Antwort gibt es in Brüssel bisher auf die Frage, wie man einen solchen Staat in das Euro-System, in die Rettungsmechanismen eingliedern könnte.

In den europäischen Hauptstädten geht die Sorge um, Präzedenzfälle zu schaffen und damit den Unabhängigkeitsbestrebungen in anderen Teilen Europas Auftrieb zu verleihen. Ein unabhängiges Galizien, das Baskenland, Katalonien: Gerade in Spanien käme das der Auflösung des Staates gleich.

Für Kai-Olaf Lang ist die EU dennoch weltweit der Ort, an dem man mit separatistischen Bewegungen am pragmatischsten umgehen kann: "Wenn dieses neue Land eingebunden wird, Bestandteil des Binnenmarktes wird, Bestandteil des Schengenraumes und der Euro-Zone wird, dann sind die nationalen Grenzen gar nicht mehr von Bestand. "

Foto: DW
Im September 2014 stimmten die Schotten über die Unabhängigkeit von Großbritannien ab.Bild: DW/B. Riegert

In Katalonien hat der Ministerpräsident Artur Mas unterdessen erklärt, dass er das Wahlergebnis als Auftrag ansieht in Verhandlungen mit Madrid einzusteigen. In spätestens 18 Monaten will er die katalanische Unabhängigkeitserklärung unterzeichnen.