1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pillen-Piraterie

Michael Brückner12. Februar 2003

In Europa redet man ungern über gefälschte Medikamente. Die Industrie hat kein Interesse an verunsicherten Kunden. Weltweit stellen gefälschte oder schlecht nachgemachte Arzneimittel aber eine ernsthafte Gefahr dar.

https://p.dw.com/p/3G3u
Alle so schön sauber?Bild: Bilderbox

Wer sich eine goldene Cartier-Uhr kauft, die sich später als Fälschung herausstellt, ist zwar betrogen worden, wird dadurch aber sicher keinen bleibenden Schaden erleiden. Manch einer besorgt sich ja auch ganz bewußt im Urlaub eine "echte" Levis für wenig Geld. Und so viele Ledertaschen, wie es auf den Straßenmärkten der Welt zu kaufen gibt, konnte Louis-Vuitton noch nie herstellen.

Ganz andere Folgen kann es aber haben, wenn ein Medikament nicht das enthält, was auf dem Beipackzettel angegeben ist. Besonders in afrikanischen Ländern ist das ein geradezu lebensgefährliches Problem. Teilweise enthalten die verkauften Produkte keine medizinisch wirksamen Substanzen oder sind mit giftigen Inhaltsstoffen gestreckt worden.

Am Wirkstoff gespart

In Nigeria sollen 40 bis 60 Prozent der verkauften Medikamente gefälscht sein. Ein erfahrener Hamburger Tropenmediziner sagte gegenüber DW-WORLD, man müsse sogar davon ausgehen, dass in Afrika 70 Prozent der gehandelten Medikamente Fälschungen seien. Reisende in Länder mit hohem Malaria-Risiko werden dringend davor gewarnt, die zur Prophylaxe notwendigen Mittel vor Ort zu kaufen. Alle Medikamente solle man sicherheitshalber von zu Hause mitzubringen. Regionale Untersuchungen am Beispiel von Malaria-Medikamenten ergaben, dass zum Beispiel in Kambodscha, Thailand und Vietnam 38 Prozent der dort gekauften Tabletten keinen Wirkstoff enthielten.

Manchmal sind nur der Beipackzettel und die Verpackung gefälscht, das Präparat entspricht aber dem Original. Oft ist aber zu wenig Wirkstoff enthalten oder es wurde sogar mit giftigen Lösungsmitteln verlängert. "Man hat schon Fälle gesehen, wo mit Sägemehl oder mit Kreide gestreckt wurde. Es gibt zum Teil aber auch Präparate, in denen der falsche Wirkstoff drin ist", sagt Rolf Hömke vom deutschen Verband forschender Arzneimittelhersteller.

Geschäft mit tödlichem Risiko

Der internationale Verband der Arzneimittelhersteller IFPMA in Genf schätzt den weltweiten Marktanteil der in Verkehr gebrachten gefälschten Medikamente auf fünf Prozent mit steigender Tendenz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht sogar schon von zehn Prozent aus. Damit beliefe sich der wirtschaftliche Schaden auf mehr als 35 Milliarden Euro.

1990 starben in Nigeria mehr als 100 Kinder an einem Hustensaft, der mit einem giftigen Lösungsmittel gestreckt war. In Kambodscha starben vor einigen Jahren 30 Malaria-Patienten wegen fehlender Wirkstoffe in ihren Tabletten. Die US-Zeitung "Washington Post" berichtete kürzlich von einer Schätzung, nach der in China 2001 etwa 192.000 Menschen wegen gefälschter Arzneimittel starben.

"In Deutschland sind uns bislang nur vier oder fünf Fälle bekannt geworden, die zum Glück keine schlimmen Folgen für die betroffenen Patienten hatten", sagt Christiane Eckert-Lill von der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände. Wichtig sei eine strenge Kontrolle der Vertriebswege von Arzneimitteln. Zunehmender Versandhandel und Internationalisierung machten das allerdings immer schwieriger.