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Piraten fordern Minister-Rücktritt

Heiner Kiesel26. Juli 2013

Der Skandal um die Ausspähaktivitäten des US-Geheimdienstes NSA ist eine Steilvorlage für die netzorientierte Piratenpartei. Trotzdem hat ihre Führung lange gebraucht, darauf zu reagieren.

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Lauschen bei Freunden: die USA haben sich offenbar an Kommunikationsdaten aus aller Welt bedientBild: imago/Christian Ohde

Anfang Juni, so lange ist das schon her, wurde durch einen Insider bekannt, dass die USA über ein Spionageprogramm mit dem Namen "Prism" weitreichenden Zugriff auf Kommunikationsdaten auch aus Deutschland hat. Die Piratenpartei, die sich als Partei mit einem dezidierten Schwerpunkt beim Schutz von Daten und Kommunikation über die modernen Netze versteht, hat trotzdem bis jetzt gebraucht, angemessen und bemerkbar zu dem Abhörskandal Stellung zu nehmen. "Es ist der größte Skandal der letzten zehn Jahre", sagt Parteichef Bernd Schlömer nun in der Wahlkampfzentrale seiner Partei in Berlin. Er dringt darauf, die Geheimdienste neu zu organisieren und stärker zu kontrollieren.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich fordert er zum Rücktritt auf, weil dieser als Chef seines Ministeriums politisch verantwortlich für den massiven Datenmissbrauch sei. "Es ist auch nicht schlimm, zurückzutreten", meint Schlömer, aber man könne in der Debatte nicht so tun, als würde man von nichts wissen, denn das treffe letztendlich nicht den Sachverhalt.

Schlömer stellt die Sinnhaftigkeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in Frage. "Der MAD macht dasselbe wie der Bundesnachrichtendienst und man muss auch Dienste auflösen." Für die bessere Überwachung der Geheimdienste regt Schlömer einen neuen Bundestagsausschuss nach dem Modell des Verteidigungsausschusses an. "Ein solches Gremium kann sich dann auch selbst als Untersuchungsausschuss konstituieren."

Bernd Schlömer, Parteivorsitzender der Piratenpartei (Foto: DW)
Piratenchef Bernd Schlömer kämpft für abhörsichere KommunikationBild: DW/H.Kiesel

Die Verantwortung für die heimlichen Ermittler müsse vom Kanzleramt hin zum Parlament verlagert werden. "Der Einsatz von vertraulichen Informanten sollte von den Abgeordneten gebilligt und zeitlich begrenzt werden", sagt Schlömer in Reaktion auf das V-Leute-Debakel im Umfeld der rechtsradikalen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Darüber hinaus wolle sich die Piratenpartei dafür einsetzen, dass es einen Geheimdienstbeauftragten gebe, der ein Recht auf Akteneinsicht habe und Zeugen befragen dürfe. Für Geheimnisverräter wie den NSA-"Whistleblower" Edward Snowden fordern die Piraten gesetzlichen Schutz, wenn sie Missstände bei staatlichen Institutionen aufdecken.

Allgemeine Empörungswelle

Der Chef-Pirat wehrt sich gegen den Eindruck, seine Partei habe den Abhörskandal als Thema zu spät aufgegriffen. "Wir haben das Thema nicht verschlafen", betont Schlömer. Partei-Geschäftsführerin Katharina Nocun verweist auf die zahlreichen "Krypto-Partys", die von den Piraten veranstaltet würden und auf denen interessierte Computernutzer lernen könnten, wie man "digitale Selbstverteidigung" praktiziere. Nocun spricht den im Bundestag vertretenen Oppositionsparteien SPD und Grünen ab, sich glaubwürdig gegen die Schnüffeleien der USA zu empören. "Die Urheber der Überwachungsstruktur, die es in Deutschland gibt, kommen aus dem rot-grünen Lager", sagt Nocun.

Katharina Nocun, Geschäftsführerin der Piratenpartei (Foto: DW)
Piraten-Geschäftsführerin Katharina Nocun: Glaubwürdigkeit bei SPD und GrünenBild: DW/H.Kiesel

Die Piraten können vom Datenskandal kaum profitieren

Tatsächlich aber gehen die Forderungen der Piraten nahezu unter in einer allgemeinen Protestwelle, auf der inzwischen sogar Bundespräsident Joachim Gauck reitet. "Die Angst, unsere Telefonate oder Mails würden von ausländischen Nachrichtendiensten erfasst und gespeichert, schränkt das Freiheitsgefühl ein - und damit besteht die Gefahr, dass die Freiheit an sich beschädigt wird", sagte Gauck der Passauer Neuen Presse.

Nach einer Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) am Donnerstag äußerten sich erneut Oppositionpolitiker bestürzt über Umfang und Verlauf des Abhörskandals. Der Grünen-Politiker Christian Ströbele sieht kein Ende der Ausspähungen: "Es wird weiter spioniert, während wir hier reden." PKGr- Vorsitzender Thomas Oppermann (SPD) kündigte weitere Sitzungen an. "Auf die wichtigen Fragen haben wir auch heute keine Antworten bekommen", beklagte er. Aus Sicht der Bundesregierung würden sich jedoch die deutschen Geheimdienste "hundertprozentig" an die Gesetze halten, so beteuert der Geheimdienstkoordinator und Kanzleramtschef von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ronald Pofalla.

Piraten weiter unter fünf Prozent

Die Piraten scheinen mit ihren Forderungen nach mehr Datensicherheit, mehr Kontrolle und einer Strukturveränderung kein besonderes Gehör zu finden. Nach den letzten Wahlumfragen ist es ihnen offenbar nicht gelungen, dieses Thema, das zum Markenkern der Piraten gehört, in Zuspruch umzumünzen. 70 Prozent der Befragten des Deutschlandtrends der ARD äußerten sich zwar unzufrieden mit der bisherigen Aufklärung durch die der Bundesregierung – aber die Piraten wollen weiterhin nur zwei Prozent der Befragten wählen. Zu sehr stehen die Personalquerelen der neuen Politformation in den letzten Wochen im Vordergrund. Parteichef Schlömer gibt sich dennoch kämpferisch und wünscht sich "Mut" an der Wahlurne: "Die Partei ist gereift und hat gute Angebote."

Wahlkampfzentrale der Piratenpartei in Berlin (Foto: DW)
Interviews zwischen Klappstühlen und Plakatstapeln: Wahlkampfzentrale der Piraten in BerlinBild: DW/H.Kiesel