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"Poetisch Zuckerbrot zum Fest"

25. Dezember 2003

Kindheitserinnerungen, Arbeit, Gruselgeschichten, Geschenke und Gelegenheitslyrik: Weihnachten gestaltete sich für Johann Wolfgang von Goethe durchaus vielseitig – auch poetisch. Ein literarischer Weihnachtsspaziergang.

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"Diese Zeit des Jahres gar lieb"

Weihnachten 1753. Goethe ist gerade vier Jahre alt, da bekommt er von seiner Großmutter Cornelia ein Puppentheater zu Weihnachten geschenkt. In seiner Autobiographie "Dichtung und Wahrheit" erinnert er sich:

"An einem Weihnachtsabend jedoch setzte sie all ihren Wohltaten die Krone auf, indem sie uns ein Puppenspiel vorstellen ließ, und so in dem alten Haus eine neue Welt erschuf. Dieses unerwartete Schauspiel zog die jungen Gemüter mit Gewalt an sich; insbesondere auf den Knaben machte es einen sehr starken Eindruck, der in einer großen langdauernden Wirkung nachklang. Die kleine Bühne mit ihrem stummen Personal, die man uns anfangs nur vorgezeigt hatte, nachher aber zu eigener Übung und dramatischer Belebung übergab, musste uns Kindern um so viel werter sein, als es das letzte Vermächtnis unserer guten Großmutter war."

Das poetische Urerlebnis

Dieses Weihnachtsfest ist das poetische Urerlebnis Goethes. Und als solches wird es an zentraler Stelle in seinem Werk wieder auftauchen. Seinen berühmten literarischen Nachklang findet das weihnachtliche Puppentheater in Goethes "Wilhelm Meister". Auch da ist es die Großmutter, die ihren Enkelkindern ein Puppenspiel bescheren will. Der Vater überrascht sie, als sie gerade "einen heiligen Christ vor deine Kinder" vorbereitet:

"'Benedikt', sagte die Alte, 'ich habe ihnen Puppen geputzt und habe ihnen eine Komödie zurechte gemacht, Kinder müssen Komödien haben und Puppen. Es war euch auch in eurer Jugend so, ihr habt mich um manchen Batzen gebracht, um den Doktor Faust und das Mohrenballett zu sehen; ich weiß nun nicht, was ihr mit euren Kindern wollt, und warum ihnen nicht so gut werden soll wie euch.'"

In ängstlicher Erwartung

Im Roman folgt dann die Beschreibung des Christabends "in seiner vollen Feierlichkeit". Und man darf durchaus annehmen, dass dieser Szene Goethes Erinnerungen an die Weihnachtsfeiern seiner Kindheit zugrunde liegen:

"Die Kinder liefen den ganzen Tag herum und standen am Fenster, in ängstlicher Erwartung, dass es nicht Nacht werden wollte. Endlich rief man sie, und sie traten in die Stube, wo jedem sein wohlerleuchtetes Anteil zu höchstem Erstaunen angewiesen ward."

Das Puppenspiel, das schließlich den Kindern präsentiert wird, ist genauso aufgebaut wie das in Goethes Elternhaus. Und wie der vierjährige Goethe so erlebt auch der Knabe Wilhelm Meister das Puppenspiel als etwas Wunderbares, den Beginn einer Sendung "voller Hoffnungen, Drang und Ahndung". Das eigene Erleben ist Goethe Dichtung geworden. Eine Schlüsselszene für den Wilhelm Meister, aber Goethe hat das Weihnachtsfest von 1753 in "Dichtung und Wahrheit" auch zu einer Schlüsselszene seines eigenen Lebens gemacht. Dichtung? Oder Wahrheit?

Feiertag, kein freier Tag

Tatsächlich zieht Goethe es auch an den Weihnachtstagen vor, zu arbeiten. Der Heilige Abend ist ihm zwar ein Feiertag - aber kein freier Tag.

„Ich habe mir Coffee machen lassen den Festtag zu ehren und will euch schreiben biss es Tag ist. Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte darüber auf. Gelobet seyst du Jesu Crist. Ich hab diese Zeit des Jahrs gar lieb, die Lieder die man singt; und die Kälte die eingefallen ist macht mich vollends vergnügt",

schreibt Goethe 1772 an seinen Freund (und Nebenbuhler Johann Christian Kestner). Fast fünfzig Jahre später vermerkt er in seinem Tagebuch:

"24. Dezember 1821. Zur Naturwissenschaft. Manuscript arrangirt. Von Stein, der Enkel; verschiedenes übergeben, was der Vater von Breslau gebracht. Mittag zu dreyn. Las weiter in Hans von Schweinichens Leben. Gegen Abend Herr von Stein; Gespräch über den Prieborner Sandstein, ferner über die Masseler Blitzröhren. Abends große Weihnachtsbescherung; ich blieb aber für mich."

Eisenbahn und Zauberkasten

Weihnachten, das ist auch für Goethe aber auch das Fest der Geschenke: Vom Puppenspiel für den Sohn August haben wir schon gehört. Die Enkel bekommen 1829 eine Modelleisenbahn, extra aus England hat der "Apapa", wie sie ihren Großvater nennen, sie schicken lassen. In Deutschland dauert es noch Jahre, bis die erste Bahn fährt. Im Jahr darauf gibt es einen Zauberkasten.

Die eigentlichen Weihnachtsgeschenke Goethes sind jedoch seine Gedichte. Seinen Freunden bereitet er "poetisch Zuckerbrot zum Fest". Häufige Empfängerin ist Charlotte von Stein, Goethes enge Freundin und Vertraute der ersten Weimarer Jahre. Wie Goethes Sohn August feierte Charlotte ihren Geburtstag am 25. Dezember. Für sie beide, August und Charlotte, ist das Gedicht "An ein Weihnachtskind" aus dem Jahre 1815 geschrieben.

„Daß du zugleich mit dem heiligen Christ

An diesem Tag geboren bist,

Und August auch, der werthe schlanke,

Dafür ich Gott im Herzen danke,

Dieß giebt, in tiefer Winters-Zeit,

Erwünschteste Gelegenheit

Mit einigem Zucker dich zu grüßen

Abwesenheit mir zu versüßen,

Der ich, wie sonst, in Sonnenferne

Im Stillen liebe, leide, lerne.

Goethe zum Gruseln

Bei anderer Gelegenheit erfindet Goethe einfach Geschichten zu Weihnachten. So etwa 1806 bei Johanna Schopenhauer in Weimar. Die Weihnachtsgesellschaft im berühmten Salon der Schopenhauer langweilt sich. Der Lesestoff ist ausgegangen. Kurzerhand erfindet Goethe eine Gruselgeschichte. Sie erinnerte sich:

"Er sprach von einem großen Kopf, der alle Nacht oben durchs Dach sieht; alle Züge von dem Kopf sind in Bewegung; man denkt sich Augen zu sehen, und es ist der Mund, und so verschiebt sich's immer, und man muss immer hinsehen, wenn man einmal hingesehen hat. Und dann kommt eine lange Zunge heraus, die wird immer länger und länger, und Ohren, die arbeiten, um der Zunge nachzukommen, aber die können's nicht. Kurz, es war über alle Beschreibung toll, aber von ihm muss man's hören und besonders ihn dazu sehen. So ungefähr muss er aussehen, wenn er dichtet …" (sams)