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Poetische Erwartungen

Jörg Matheis26. Juni 2002

Der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ist das wichtigste Literaturfestival für junge deutsche Autoren. Jörg Matheis ist einer von den auserkorenen Literaten und beschreibt DW-WORLD seine Erwartungen - aus dem Zug.

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Liest auf dem Bachmann-Wettbewerb: Jörg MatheisBild: Werner Schmitt

Ende Juni, alle Textarbeit hat längst ein Ende. Jetzt geht es nur noch ums Lesen. Und es ist Zeit dafür. Einmal Mainz - Klagenfurt also. Zuerst im City Night Line bis Salzburg, ein Sechserabteil. Allein darauf habe ich mich schon kindisch gefreut; eine Reminiszenz an frühere unendlich lange Fahrten nach Griechenland. Damals noch ohne Kissen und Decke der Deutschen Bahn. Neben und über mir auf den Pritschen zwei Engländerinnen mit dem Kochgeschirr am Trekkingrucksack; außerdem zwei Wiener auf dem Heimweg, die fünfte schweigt. Natürlich ist das nicht mehr das Abenteuer wie früher: Wenn du abends um halb elf erst zusteigst, wird nicht mehr viel erzählt.

Aber ich genieße das Dämmern im Zuggeräusch, auf der Pritsche in Kurven zu schlingern. Gegen vier dann der übliche wirre Trunkenbold, der doch noch zum Ambiente beiträgt und vom Flur her den ganzen Waggon mit seinen Stoßseufzern füllt. Von Salzburg aus dann bei Licht durch die Berge, die ich einfach nur hinter mir haben möchte. So oft ich bereits in den Alpen war ... dieses mal sprechen sie mich nicht an. Hinter Lenbach trottet ein einsamer Hund über die Landstraße, Frauen mit Kopftüchern arbeiten in Salatbeeten; hinter Lenbach steht ein Reh nah am Bahndamm, gänzlich unbekümmert. Sonst Alpenpanorama.

Mir ist das alles zu idyllisch. Zuletzt werden die Bergzüge kleiner, ich nähere mich dem Ort, zu dem ich am liebsten weiterfahren möchte; es wäre nicht mehr weit: Ljubljana. Es ist kein landschaftliches Interesse, es ist nur, dass ich diesem und den anderen immer noch von der Balkan-Kriegsberichterstattung geprägten Namen, dass ich jener Stadt und diesem Land Slowenien als Begriffen endlich gerne eine eigene Form und einen eigenen Inhalt gäbe.

Klagenfurt selbst sehe ich zum ersten mal. Ein großes Dorf mit Häusern stellte ich mir vor, ähnlich wie Mainz, aber es hat südlichen Flair, mehr als ich erwartete. Es hat gerade genug Bausünden ins Stadtbild integriert, um nicht zu niedlich zu wirken, und doch genug heraus gestellte Tradition, um keinesfalls zu modern zu erscheinen. Es gefällt mir, wie mir kleine Städte ohnehin oft sofort sympathisch sind. Ich beschließe, es wird sich gut machen als meine persönliche Kulisse für diesen Wettbewerb. Am Nachmittag treffe ich im Musilhaus die ersten Kollegen. man muss nur der Kommentatorenstimme aus dem Fernseher folgen, Ronaldo schießt sein Tor. Alles wie zu Hause? Heute noch; abends wird die Reihenfolge ausgelost, in der wir die kommenden Tage um den Bachmann-Preis lesen werden.

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Jörg Matheis, geb. 1970 in der Pfalz, lebt in Ingelheim. Er veröffentlichte bereits mehrere Kurzgeschichten, Erzählungen und Gedichte und ist Träger mehrerer Förderpreise. Auf den Tagen der Deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt wird er zusammen mit 16 anderen Autoren aus seinen Texten lesen. Und seine Eindrücke in einer Fortsetzung für DW-WORLD beschreiben...