1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Poker um die russische Pressefreiheit

Petra Tabeling 4. April 2002

Immer wieder geraten russische Journalisten ins Visier der Regierung. Die Pressefreiheit in Russland ist in Gefahr - das zeigt auch das Tauziehen um den TV-Sender TW6.

https://p.dw.com/p/23Ln
Wird TW6 wieder mit Jewgeni Kisseljow (rechts) auf Sendung gehen?Bild: AP

Auch eine Woche nach der Lizenz-Entscheidung der russischen Regierung ist noch immer nicht klar, wer bei TW6 redaktionell das Sagen haben wird. Dreizehn Gruppen und Verbände, darunter auch der ehemalige Präsident Gorbatschow, hatten sich um die Sendelizenz für den letzten kritischen russischen Sender beworben. Zugesprochen bekam sie die Gruppe Media-Sotsium um den früheren Ministerpräsidenten und Außenminister Jewgeni Primakow und den Chef des russischen Unternehmerverbandes, Arkadi Wolski. Sie versicherten, dass der frühere TW6-Generaldirektor Jewgeni Kisseljow auch beim neuen TW6 diese Position übernehmen sollte.

Kisseljow gilt als kritische Stimme, doch es ist unklar, wer im Hintergrund die Fäden in der Hand hält. Nach Einschätzung der englischsprachigen Zeitung "Moscow Times" will der Kreml mit einer komplizierten Konstruktion das
Journalistenteam um Kisseljow einbinden. Zudem haben die bisherigen Aktionäre des Senders gegen die Lizenzvergabe protestiert. Sie wollen offenbar nicht, dass Kisseljow auf die Bildschirme zurückkehrt. Ende offen.


TW6 und die staatliche Kontrolle

Der Fernsehsender TW6 wurde im Januar 2002 geschlossen. Rund zehn Monate zuvor waren erst viele Journalisten vom populären Sender NTW zu TW6 gewechselt, nachdem der kritische Sender NTW vom Energieriesen Gasprom übernommen worden war. Gasprom ist eng mit dem russischen Staat verbunden. Seit Putins Amtsantritt sind somit die letzten als unabhängig geltenden, landesweit zu empfangenden Sender in Russland geschlossen worden.

Pressefreiheit in Russland - ein schmaler Grat

In den vergangenen Tagen wurden immer mehr Übergriffe auf russische Journalisten bekannt. So wurde der Chefredakteur einer Moskauer Nachrichtenagentur zusammen mit seinem Bruder in Polen tot aufgefunden. Noch ist unklar, ob es sich um verdeckte Morde oder um Raubüberfälle handelt. Die Arbeitsbedingungen für Journalisten hätten sich in den letzten Jahren seit dem Amtsantritt Putins deutlich verschlechtert, so die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG). Immer wieder komme es zu Einschüchterungen von Journalisten, die Pressefreiheit sei bedroht. Kritische Journalisten müssen mit Haft oder schlimmeren rechnen.

So auch der Journalist Grigory Pasko. Im Dezember 2001 wurde der Offizier und Journalist der Zeitschrift der russischen Pazifikflotte "Bojewaja Wachta" von einem Militärgericht in Wladiwostok wegen Landesverrats zu vier Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt. Er hatte angeblich ausländische Korrespondenten mit Informationen über unsachgemäße Atommüllverklappung versorgt. Der engagierte Journalist hatte gefilmt, wie Angehörige der russischen Pazifikflotte Atommüll in das japanische Meer entsorgten.

Tödliche Recherche

Für andere Journalistenkollegen enden investigative Recherchen tödlich: So wurde am 8. März 2002 die russische Zeitungs-Journalistin Natalja Skryl aus Rostow erschossen. Sie hatte über Korruption in Firmen der umliegenden Region recherchiert.

Die Hintergründe der Repressalien gegen Journalisten sind undurchsichtig und selten direkt auf politische Motive zurückzuführen. Mit Absicht, so Nancy Isenson, ROG-Mitarbeiterin in Berlin in einem Gespräch mit DW-WORLD. Eine "beliebte Methode" seien beispielsweise Redaktionsdurchsuchungen der russischen Steuerpolizei. Ein Vorwand um unliebsame Informationen zu beschlagnahmen, so Isenson.

Sicher ist, dass die Gewalt gegenüber Journalisten stark zugenommen habe. Vor allem in der Provinz, so die Expertin. Ein anderes Druckmittel sind Anklagen mit hohen Schadensersatzforderungen, die kein Medium zahlen kann. So wurde die Zeitung "Nowaja Gaseta" wegen Verleumdung zur Zahlung von über einer Million Euro Schadensersatz verurteilt. Sie hatte kürzlich einen Artikel veröffentlicht, in dem der Präsident eines Gerichts der Korruption beschuldigt wurde. Die Zeitung legte gegen das Urteil Berufung ein. Wird das Urteil bestätigt, muss die Zeitung schließen.

Ungewisse Zukunft von TW6 und Medienfreiheit

Victor Agaev, Journalist bei der Deutschen Welle, bringt die Situation auf den Punkt: Eine offizielle Kontrolle der Medien benötige Putin gar nicht, die finanzielle Kontrolle habe den selben Effekt.

Der russische Medienexperte schätzt die Auseinandersetzung um die Lizenzvergabe über TW6 als eine Gratwanderung zwischen Pressefreiheit und Putin konformer Berichterstattung ein. Auch wenn Kisseljow als regierungskritischer Journalist gelte, sei es denkbar, dass er durch die finanziellen Sachzwänge zum politischen Wendehals werden könne.