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Polen am Pranger

Barbara Wesel 4. Januar 2016

Mehr als ein Warnschuss ist es wahrscheinlich nicht. Das von Brüssel erwogene "Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit" gegen Polen ist ein langwieriger Prozess. Die Erfolgsaussichten sind gering. Von Barbara Wesel, Brüssel.

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Brüssel Polen Demonstration Komitee zur Verteidigung der Demokratie (Foto: picture-alliance/dpa/ O. Hoslet)
Demonstration der Bürgerbewegung "Komitee zur Verteidigung der Demokratie"Bild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Ein schönes "langweiliges neues Jahr" wünschte der Chefsprecher der EU-Kommission bei seinem ersten Auftritt nach dem Jahreswechsel den Brüsseler Journalisten. Aber dazu wird es wohl 2016 nicht kommen: Noch am Sylvestertag musste sich Vizepräsident Frans Timmermans mit der Lage der Pressefreiheit in Polen befassen.

Man habe in Warschau um Informationen gebeten, so erklärt Margaritis Schinas, wie das neue Mediengesetz mit der in der EU gebotenen Rechtsstaatlichkeit zu vereinbaren sei. "Wir werden diese Frage auf politischer Ebene diskutieren müssen", und das gleich Mitte nächster Woche bei der ersten regulären Kommissionssitzung.

Eine Antwort aus Warschau gibt es bislang noch nicht, weder auf die Anfrage zur Pressefreiheit noch auf den früheren Brief aus Brüssel zum Umbau des Verfassungsgerichtes. Beide Maßnahmen sieht Brüssel als mögliche Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit. "Alle zuständigen Kommissare haben ihre Position (hierzu) deutlich gemacht", erläutert Schinas.

Günther Oettinger - digitaler Binnenmarkt EU
Die schärfste Kritik kam bisher von EU-Kommissar Günther OettingerBild: picture-alliance/dpa/O. Hoslet

Das gilt vor allem für Günther Oettinger, der am Wochenende erklärt hatte:"Es spricht viel dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen".

Warschau unter Beobachtung

Das sogenannte " Verfahren zur Rechtsstaatlichkeit" wurde erst 2014 als eine Art Frühwarnmechanismus geschaffen. Hintergrund waren Streitigkeiten mit Ungarn, bei denen es um ähnliche Eingriffe in demokratische Rechte ging wie jetzt in Polen.

Die für den 13. Januar angesetzte Diskussion in der EU Kommission zur politische Lage in Polen soll eine erste "Orientierungsdebatte" sein.Danach müssten drei weitere Stufen folgen: Die Evaluierung durch die EU Kommission, eine Empfehlung an den Ministerrat und schließlich deren Umsetzung durch den Rat.

Bei den regelmäßigen Treffen der europäischen Minister und Regierungschefs soll dann eine verstärkte politische Auseinandersetzung mit dem betreffenden Land stattfinden. Das Ganze ist ein politischer Prozess, ohne direkte rechtliche Folgen.

Konsequenzen gibt es erst, wenn ein Verfahren nach Art. 7 des EU Vertrages eingeleitet wird: Bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung der europäischen Werte" kann einem Land als letzte Konsequenz das Stimmrecht entzogen werden.

Möglich ist auch, im Rahmen eines normalen Vertragsverletzungsverfahrens die Zahlungen aus den EU Kassen auszusetzen. Darüber müsste in letzter Instanz dann der Europäische Gerichtshof entscheiden. Warschau ist mit rund 14 Milliarden größter Netto-Empfänger von EU Zahlungen. Alle diese Verfahren sind langwierig, und der erste Schritt findet in jedem Fall auf politischer Ebene statt.

Polen Warschau Parlament Jaroslaw Kaczynski
PiS Parteichef Jaroslaw Kaczynski gilt als Strippenzieher des politischen Umbaus in PolenBild: picture-alliance/NurPhoto/M. Wlodarczyk

Beispiel Österreich

Die Mitgliedsländer der Europäischen Union hatten im Jahr 2000 auf die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ mit dem Einfrieren der bilateralen Beziehungen zu Österreich reagiert. Ein sogenannter "Bericht der Weisen" kam jedoch später zu dem Ergebnis, dass keine konkreten Hinweise auf Regelverstöße vorlagen, und die Maßnahmen wurden aufgehoben. Seitdem ist die EU mit ihren Reaktionen auf politische Entwicklungen in Mitgliedsländern extrem vorsichtig.

"Es ist ein gutes Zeichen", dass die EU Kommission so schnell auf das neue Mediengesetz in Polen reagiere, sagt Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der Europäischen Journalisten-Föderation. Sie verhalte sich jetzt anders als bei früheren Angriffen auf die Pressefreiheit, etwa in Ungarn: "Das zeigt, dass sie die Entwicklung in Polen ernst nimmt", sagt Gutierrez.

Er hält das neue Mediengesetz dort für nicht vereinbar mit europäischen Standards: Wenn künftig der Finanzminister unmittelbar die Spitzen der öffentlich-rechtlichen Medien austauschen kann, ohne dass dabei eine parlamentarische Kontrolle vorgesehen ist, verstoße dies eindeutig gegen die Verpflichtungen eines EU Mitgliedslandes.

Allerdings ist der Verbandsvertreter "nicht sehr zuversichtlich", was den Erfolg einer EU Intervention angeht. Die neue Regierung in Warschau mache sich nichts aus der Meinung der anderen Europäer. Dennoch müsse man so viel Druck wie möglich aufbauen.

Die EFJ hat deshalb gemeinsam mit drei Schwesterorganisationen den Fall bereits vor den Europarat gebracht. Doch bis es in Europa wegen des neuen Mediengesetzes in Polen zu konkreten Sanktionen kommen könnte, kann viel Zeit vergehen. Gutierrez: "Es ist ein langer Prozess."