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Polen Jahrestag Flugzeuabsturz

10. April 2011

Am 10. April 2010 ist Polens Präsident Lech Kaczynski bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Mit ihm starben seine Frau und 94 Vertreter der polnischen Elite. Bis heute wirkt der Schock auf die polnische Politik.

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Unglückstelle und zerschelltes Flugzeug im russischen Smolensk (Foto: AP)
Ensetzen über das Unglück hält in Polen anBild: AP

Bei dem Flugzeugunglück vor einem Jahr kamen neben dem Präsidenten und seiner Gattin hochrangige Politiker, Generäle und Angehörige polnischer Offiziere um, die während des Zweiten Weltkriegs von der Roten Armee im russischen Katyn ermordet wurden. Die polnische Delegation wollte der Toten am 70. Jahrestag des Massakers gedenken. Das Unglück hatte weltweit ein breites Echo hervorgerufen, weil ein großer Teil der polnischen Elite zu Tode kam.

In Polen beschäftigen sich seitdem Politiker, Publizisten und Bürger damit. Die Katastrophe von Smolensk prägt die polnische Politik bis heute. Zwar kann sich der rechts-liberale Regierungschef Donald Tusk mit seinem Koalitionspartner, der Bauernpartei, weiterhin auf eine stabile Mehrheit im Parlament stützen. Auch unter den Wählern erfreut sich die europa-freundliche Koalition guter Umfragewerte.

Klare Bedingungen

Russlands Premier Wladimir Putin (li.) am Unfallort (Foto: AP)
Russlands Premier Wladimir Putin am UnfallortBild: AP

Nach Ansicht des Warschauer Publizisten Adam Krzeminski hat sich der Tonfall in der politischen Debatte in Polen allerdings spürbar verändert: "Bis heute sind wir über diese traumatische Erfahrung nicht hinaus. Da sind die Schuldzuweisungen: Wer ist verantwortlich für die Vorbereitung dieser Reise?" Der russische Nachbar werde verdächtigt, dass auch er seine Finger im Spiel hätte, sagt Krzeminski und fügt hinzu, dies sei natürlich völlig absurd, "weil die Bedingungen klar waren. Diese Maschine hätte nicht starten dürfen. Das waren die Bedingungen." Dieses Jahr seien Parlamentswahlen und der erste Jahrestag der Katastrophe werde zu einer Inszenierung dieses Leidens führen. Die polnische Politik stehe nach wie vor unter dem Schock von Smolensk, meint Krzeminski.

Instrumentalisierung der Katastrophe

Ein Kreuz vor dem Amtissitz in Warschau (Foto: picture alliance/dpa)
Kaczynski-Anhänger stellten ein Kreuz vor dem Warschauer Amtssitz aufBild: picture-alliance/dpa

Die politische Inszenierung war von Anfang an eine wichtige Begleiterscheinung der Katastrophe von Smolensk. So harrten wochenlang, Tag und Nacht, Anhänger des verunglückten Präsidenten unter dem eigens aufgestellten Kreuz vor seinem Warschauer Amtssitz aus. Versuche der Ordnungskräfte dem Chaos ein Ende zu setzen, wurden als Attacke gegen das Gedenken an das verstorbene Staatsoberhaupt gewertet. Die Gegner wurden beschimpft und zu "Feinden des Kreuzes" abgestempelt.

Ausschlachten einer Tragödie

Staatminister Wladyslaw Bartoszewski im Porträt (Foto: dapd)
Staatsminister Bartoszewski ist empörtBild: dapd

Die Atmosphäre wurde von Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der national-konservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" und dem Zwillingsruder des verunglückten Präsidenten, aufgeheizt und politisch instrumentalisiert. Die Rechnung wäre beinahe aufgegangen: Nur denkbar knapp unterlag er in dem folgenden Präsidentschaftswahlkampf dem liberalen Gegenkandidaten. Sein Tenor bis heute: Die Regierung und Ministerpräsident Tusk tragen die "moralische Schuld" an der Katastrophe. Wladyslaw Bartoszewski, ehemaliger polnischer Außenminister und heute als Staatsminister zuständig für den internationalen Dialog, zeigt sich darüber sichtlich empört: "Ich verabscheue Leute, die Geschäfte machen, die ich Nekrophilie nenne." Sie nutzten das Unglück für eigene politische Geschäfte. "Es geht doch um Tod, es geht um das Unglück vieler Familien. Die Tragödie ist für alle gleich: Für die Familie eines Sozialdemokraten, die eines Bauern, oder die eines Abgeordneten der regierenden Partei oder die des Vertreters der oppositionellen Partei", so Bartoszewski.

Wichtige Themen im Hintertreffen

Diese Meinung teilt auch der parteilose Vorsitzende der zweiten Abgeordnetenkammer, der Senatspräsident Bogdan Borusewicz: "Die Smolensk-Katastrophe hat das politische Leben in Polen vergiftet und zwar wegen dieser einen Partei, die daraus eine politische Waffe geschmiedet hat." Es seien jedoch Vertreter aller politischen Gruppierungen umgekommen, gibt Borusewicz zu bedenken und fügt hinzu: "Die Konsequenzen sind negativ, weil wir uns ständig mit dieser Katastrophe befassen und deshalb keine Zeit für andere wichtige Themen der Gegenwart haben."

Polnisch-russische Beziehungen verbessert

Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin und sein polnischer Kollege Donald Tusk (links) umarmen sich (Foto: dpa)
Warschau und Moskau auf gutem Weg? Tusk und Putin umarmen sichBild: picture alliance/dpa

Innenpolitisch steht die Regierung immer noch wegen der kontrovers diskutierten Ursachen der Katastrophe unter Druck. Außenpolitisch versuchte Ministerpräsident Donald Tusk der Katastrophe etwas Positives abzugewinnen: Er bemühte sich die Welle der Sympathie und des Mitleids, die den Polen aus Russland entgegenschlug, für die Versöhnung beider Völker zu nutzen. Trotz einiger Rückschläge sei ihm das gelungen, findet Senatspräsident Bogdan Borusewicz. Denn es bestand Borusewicz zufolge sogar die Gefahr, dass die bilateralen Beziehungen vollends zusammenbrechen. Sie seien aber heute viel besser geworden. "Mehr noch: Die Smolensk Katastrophe hat zur 'Ent-Stalinisierung' Russlands beigetragen. Man hat im russischen Fernsehen den Film 'Katyn' gezeigt mit den realistischen Szenen der Hinrichtung polnischer Offiziere. Und das hat das Bewusstsein vieler Russen verändert, die die Verbrechen der Stalin-Ära verdrängt haben", meint Borusewicz.

Ob die Katastrophe nicht nur die polnische, sondern auch die russische Politik wirklich nachhaltig ändern wird, bleibt abzuwarten. Ein nächster Schritt zur polnisch-russischen Annährung ist bereits geplant: Zum Jahrestag der Flugzeugabsturzes treffen in Smolensk die Präsidenten Polens und Russlands zusammen, um den Opfern der Katastrophe ihre Ehre zu erweisen.

Autor: Bartosz Dudek
Redaktion: Verica Spasovska / Mirjana Dikic