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Politik

Polen holzt sich ab 

Paul Flückiger Warschau
11. Mai 2017

Umweltschützer protestieren gegen massive Abholzaktionen in Polen. Auch die EU-Kommission droht Warschau nach einem Holzeinschlag im Naturschutzgebiet mit Konsequenzen. Paul Flückiger aus Warschau.

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Polen Wald von Bialowieza Abholzung
Bild: picture-alliance/NurPhoto/M. Fludra

Eine der schönsten Alleen Warschaus zierte die Frascati-Straße, nicht weit vom polnischen Parlament. Viele der Bäume waren mehr als 100 Jahre alt - inzwischen sind fast alle gefällt worden. Auch eine bekannte rund 200-jährige Eiche an der Mydlarska-Straße fiel den Motorsägen zum Opfer. 

Das wurde durch eine Gesetzesnovelle möglich, die Anfang 2017 in Kraft trat: Privateigentümer brauchen keine Bewilligung mehr, um Bäume zu fällen. Das Gesetz stärke das Privateigentum und bekämpfe die Bürokratie, argumentierte Umweltminister Jan Szyszko von der national-konservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Da die Regierungspartei PiS im Parlament über die absolute Mehrheit verfügt, wurde das neue Gesetz - auch bekannt als "lex Szyszko" - Ende 2016 im Eiltempo durchgewunken. 

EU-Kommission droht mit einer Klage 

Als die Bäume im Frühling zu sprießen begannen, lärmten überall in Polen die Motorsägen. Inzwischen ist es ruhiger geworden, denn in der Brutzeit der Vögel (von März bis Oktober) dürfen nur in Ausnahmesituationen Bäume gefällt werden. Zuvor aber wurde abgeholzt, soviel nur ging. Allein im Warschauer Bezirk Wawer verschwanden im ersten Quartal mindestens 1350 Bäume. Wenn die Motorsägen in diesem Tempo weiterlaufen, könnte Polen bald doppelt so viele Bäume verlieren wie in den Vorjahren. Umweltschützer schlagen Alarm: Ausgerechnet das von Smog geplagte Polen entledige sich wichtiger innerstädtischer Regenerationsflächen. Allein in der Zwei-Millionen-Stadt Warschau stehen 500.000 Bäume auf Privatgrundstücken.

Doch nicht nur auf Privatgrundstücken wurde abgeholzt. Für noch mehr Aufregung - vor allem im Ausland - sorgten die Sägen in dem als UNESCO-Weltnaturerbe anerkannten Bialowieza-Urwald. Dort erlaubte Umweltminister Szyszko wegen einer angeblichen Borkenkäferplage, gleich dreimal mehr Bäume zu fällen. Dies verstößt gegen europäische Naturschutz-Bestimmungen, weshalb sich jetzt auch die EU-Kommission einschaltete. Sollte die Abholzung nicht gestoppt werden, droht Polen eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wegen der Verletzung von EU-Verträgen. Es ist nicht das erste Mal, dass Brüssel Polens Umgang mit den eigenen Naturschutzgebieten nicht gefällt.  

Polen Wald von Bialowieza
Europas letzter Urwald: Bialowieza in PolenBild: Getty Images/AFP/J. Skarzysnki

Umweltminister auf der Jagd  

Bisher scheint sich der polnische Umweltminister wenig daraus zu machen. Jan Szyszko lieferte schon öfter einen Grund zur Aufregung. Schon nach wenigen Tagen im Amt ließ er das Wort "Schutz" aus dem Namen seines Ressorts entfernen: Jetzt heißt es abgekürzt das "Umweltministerium".  

Szyszko stand auch in der Kritik, weil er ein paar Wisente zum Abschuss freigegeben hatte. Es seien "nur kranke oder aggressive" Tiere gewesen, versuchte er anschließend zu beschwichtigen. Manchenorts hat man sich auf lokaler Ebene den Entscheidungen des Ministers widersetzt, wie kürzlich in Ermland (Masuren). Dort lehnte eine Umweltschutzkommission den ministerialen Wunsch nach einer Extra-Hirschjagd in einem Reservat ab. Die Hirsche, so Szyszko unbeirrt, würden zu viele Sprösslinge von den Bäumen abfressen und müssten deshalb erschossen werden. 

Racheakt im Garten? 

Die Entrüstung über den Umweltminister war im Winter besonders groß, als regierungskritische Medien über seine Teilnahme an einer Fasanenjagd berichteten. Rund 500 Vögel, die unter Artenschutz stehen, wurden lange Zeit gezüchtet, um dann in die freie Wildbahn entlassen zu werden. Als sie aus den Käfigen freigelassen wurden, war auch Szyszko vor Ort - allerdings mit seiner Flinte.

Das ärgerte schließlich auch den erklärten Jagd-Gegner Jarosław Kaczyński. Der PiS-Parteichef forderte Nachbesserungen bei dem Gesetz, das die uneingeschränkte Massenabholzung auf Privatgrundstücken erlaubte. Doch den Umweltminister loszuwerden, gelingt bisher nicht. Als Vertreter der ultra-katholischen Fraktion in der Regierung steht Szyszko auch für Kaczyński politisch "unter Schutz".

In den nächsten Tagen soll zumindest das "Abholzgesetz" neu im Parlament diskutiert werden. Es wird erwartet, dass eine Gesetzesnovelle dazu vom Sejm verabschiedet wird, durch die es künftig doch Auflagen zur Abholzung von Bäumen auf Privatgrundstücken geben könnte. Umso wichtiger ist der politische Druck von außen - auch aus Brüssel.  

Im Inland agieren Umweltaktivisten inzwischen immer radikaler: Sie drehten den Spieß um und trafen den Umweltminister persönlich. Vor Kurzem sah er im Garten seines Landsitzes in Westpommern "ein Bild der Zerstörung", wie er später empört in den Medien berichtete. Unbekannte waren auf sein Grundstück eingedrungen und hatten dort etwa 30 Weißtannen angeschnitten. Im ultra-katholischen Sender "Radio Maryja" bezeichnete er das Ganze als "schlimmsten Vandalismus".
Die Polizei sprach dagegen von einer Protestaktion.