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Politik

Polen: Kaum Bewegung in der Krise

Gerhard Gnauck Warschau
19. Dezember 2016

Regierung und Opposition in Polen sind sich am Montag keinen Meter entgegengekommen. Doch der Druck auf die nationalkonservative Partei PiS wächst - auch von innen. Ein Stimmungsbild aus Warschau von Gerhard Gnauck.

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Polen Protesten gegen eine Einschränkung der Pressefreiheit in Warschau
Bild: picture alliance/PAP/R. Pietruszka

Aus dieser Perspektive habe Marcin Święcicki seine Stadt noch nicht erlebt: "Wir sitzen hier im Plenarsaal im Dämmerlicht", schildert der frühere Oberbürgermeister von Warschau die Lage per Telefon. "Es ist etwas kühl, manche sitzen hier in ihren Mänteln, aber Schlafsäcke sehe ich bisher nicht."

Święcicki ist einer von den Abgeordneten der zwei liberalen Oppositionsparteien, die seit der Nacht zum Samstag im Parlament eine Art Sitzstreik durchführen. Die Aktion ist die Antwort auf die Versuche der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, den Zugang von Journalisten zum Parlament zu beschränken. Hinzu kam, dass die PiS-Abgeordneten nach einem Streit am Freitag den Plenarsaal verlassen und den Staatshaushalt 2017 in einem Nebensaal "verabschiedet" hatten. Seit noch dazu oppositionelle Demonstranten für mehrere Stunden die Zufahrten zum Parlament blockiert hatten, ist die Stimmung in Polen angespannt wie noch nie in diesem Jahr.

Als Święcicki den Anruf der DW entgegennimmt, beginnt er gerade seine sechs Stunden dauernde "Schicht" im Plenarsaal. "Wir haben über Smartphones und Internet Kontakt zur Außenwelt", sagt er. Medien, die der Regierungspartei zugetan sind, warnen seit Wochen davor, die Opposition könne einen "Maidan" wie vor zwei Jahren in Kiew inszenieren. "Sie behaupten, wir würden Autoreifen für brennende Barrikaden vorbereiten", sagt Święcicki. "Das ist völliger Unsinn. Wir sitzen hier, gut 20 Abgeordnete der Opposition, es geht friedlich zu, im Gebäude herrscht völlige Stille. Die Parlamentswache lässt uns herein und heraus, aber sie hat uns zugleich mitgeteilt: Sich außerhalb der Sitzungszeit im Plenarsaal aufzuhalten sei illegal."

Vermittlung schwierig

Klarheit darüber, wie es in der Krise weitergehen soll, herrscht weder im Innern des Parlaments, noch draußen. Offensichtlich will das Regierungslager jedoch eher gegenüber den Medien nachgeben, als der Opposition Zugeständnisse zu machen.

Polen Jaroslaw Kaczynski
Jarosław Kaczyński nach seiner Unterredung mit Präsident Andrzej DudaBild: picture alliance/AP Photo/C. Sokolowski

Am Montag sagte Senatspräsident Stanisław Karczewski in einer zweiten Gesprächsrunde mit Journalisten, die bisherigen Zugangsregeln würden für das Oberhaus zunächst weiter gelten. Er legte sich jedoch nicht fest, ob das tatsächlich auch für das Unterhaus zutreffen werde. Er selbst wolle bis zum 6. Januar neue Vorschläge erarbeiten und diese mit den Medien besprechen.

Die Fronten zwischen Regierung einerseits und der inner- und außerparlamentarischen Opposition andererseits blieben am Montag dagegen verhärtet. Selbst nachdem sich Staatspräsident Andrzej Duda als Vermittler mit Oppositionsführern, PiS-Chef Kaczyński und Ministerpräsidentin Beata Szydło getroffen hatte, blieb bis zum Abend unklar, wie es weitergehen soll.

Regierungspatei wehrt sich

Demonstration, Blockade und Sitzstreik im Parlament wurden im Staatsfernsehen TVP als "Versuch der Destabilisierung des Staates", ja geradezu als Umsturzversuch gebranntmarkt. Dass der Konflikt ausgerechnet während der Haushaltsdebatte ausgebrochen sei, deutete der Fraktionsführer der PiS als Versuch, die Bewilligung der Mittel für das neue Kindergeld zu torpedieren, das in der Bevölkerung sehr beliebt ist.

Unterstützung hat die Regierung von der größten Gewerkschaft des Landes "Solidarność" erhalten, die überwiegend PiS-freundlich ist. Der für seine direkte Sprache bekannte Vorsitzender Piotr Duda warnte im Fernsehen die Opposition: "Wenn die andere Seite auf den Straßen die Kräfte messen will, dann werden wir die Kräfte messen." Man bereite sich darauf vor, "auf die Straße zu gehen".

Polen Protesten gegen polische Regierung in Warschau
Dank an Andrzej Rzepliński, den scheidenden Präsidenten des polnischen Verfassungsgericht, das vielen Plänen der Regierung Einhalt geboten hatBild: REUTERS/Agencja Gazeta

Die Katholische Kirche Polens hält sich in dem Streit bisher zurück. Nur der scheidende Erzbischof von Krakau, Stanisław Kardinal Dziwisz, sagte am Montag: "Die Lage ist erschütternd. Nach 25 Jahren kehren wir zum Kampf zurück." Das sei besonders vor dem Weihnachtsfest sehr betrüblich. Jetzt müsse man Weihnachtswünsche aussprechen: "Friede den Menschen guten Willens. Wenn alle Seiten guten Willen zeigen, wird Frieden kommen. Darum beten wir."

Parlamentsmehrheit auf der Kippe

Inzwischen wird jedoch deutlich, dass die Unzufriedenheit auch innerhalb der PiS wächst. Der PiS-Europaabgeordnete Kazimierz Ujazdowski sieht die Verantwortung für die Krise "bei der Koalition, genauer gesagt, bei Jarosław Kaczyński und der Führung der PiS". Selbst einen Austritt aus der Partei schließt er nicht aus: "Ich sehe mich nicht in dieser Partei, wenn der Kurs der Eskalation des Konflikts fortgesetzt wird, der unseren Versprechen an die Wähler widerspricht", sagte Ujazdowski am Montag im privaten Programm TVN24.

Die PiS hat in früheren Jahren viele ihrer prominenten Politiker vergrault; sein Austritt wäre jedoch der erste seit dem Wahlsieg vor einem Jahr. Wie die Boulevardzeitung "Fakt" berichtet, wächst der Unmut auch unter PiS-Abgeordneten im Warschauer Parlament. Bei zwei weniger bedeutenden Abstimmungen hätten bis zu 30 der 234 PiS-Abgeordneten gegen die Fraktionslinie gestimmt. Schon ein Seitenwechsel von vier Abgeordneten würde bedeuten, dass die PiS-Fraktion die Mehrheit im Parlament kosten.