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Polen zwischen Überfluss und Existenzangst

Justyna Bronska22. September 2008

In Polen sind die Preise für Lebensmittel um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Doch die Folgen sind nicht für alle gleich. Während die einen sparen müssen, können sich andere heute dennoch mehr leisten.

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Ein Passant trägt Einkaufstüten (22.12.2003 )
Lebensmittel sind in Polen acht Prozent teurer als im VorjahrBild: picture-alliance/ dpa

Ein Lebensmittelladen in der Fußgängerzone in der kleinen nordwestpolnischen Stadt Pyrzyce. Vor dem Süßwarenregal steht eine korpulente Frau. Sie rückt ihre Gucci-Sonnenbrille zurecht, schaut die Schokowaffeln an und greift dann nach der edlen Packung vom oberen Regal. Diese sind feiner verpackt, als die im unteren Regal und fast doppelt so teuer. Teresa Gluchwoska ist bereit mehr zu zahlen. "Die Qualität ist doch besser. Ich spare nicht! Wenn ich auf etwas Lust habe, dann kaufe ich es eben", sagt die Polin.

Sie gehe nur nicht mehr so oft einkaufen wie noch im vergangenen Jahr, weil doch vieles teuerer geworden ist. "Der Preisanstieg ist schon spürbar", stellt Gluchwoska fest. Gestiegen seien die Preise vor allem für Obst. Ein Kilo Pflaumen beispielsweise kostet heute 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch Milch, Käse und Brot ist teurer. Vor einem Jahr habe Teresa Gluchwoska für drei Euro Brot, Brötchen und noch Aufschnitt bekommen. Heute zahle sie dafür vier Euro.

Reiche Polen: Trotz Preisanstiegs keine Sorgen

Obst: Trauben, Äpfel, Pflaumen
Besonders beim Obst bemerken die Polen den PreisanstiegBild: Bilderbox

Doch für Gluchwoska ist die Situation besser als für viele andere Polen: Ihren Einkauf packt sie in ihr neues Auto - einen blauen VW Passat. Das Auto habe sie Anfang des Jahres gekauft – ohne zu zögern. Der Grund: Ihr Mann arbeitet seit drei Jahren in Norwegen. Dort verdient er mindestens dreimal so viel wie in Polen.

"Erst vor zwei Jahren konnten wir zum ersten Mal in den Urlaub fahren. Wenn ich etwas brauche, dann kann ich mir das leisten", betont Teresa Gluchwoska. Sie wollte beispielsweise einen neuen Kühlschrank haben und den habe sie sich dann auch einfach gekauft.

Die Verlierer der europäischen Integration

Lidl in Kostrzyn, Polen (29.06.2004)
Eine Möglichkeit ist, Waren aus den Discountern zu kaufenBild: dpa

Gleich neben dem Supermarkt steht Waldemar Malkowski und versucht gerade die Tür seines verrosteten Renaults abzuschließen. Die Tür ist verbeult. Der 60-Jährige steckt den Autoschlüssel in die Hosentasche und schüttelt mit dem Kopf. "Mein Auto fällt bald auseinander. Es ist nun 22 Jahre alt, aber leider kann ich mir kein neues leisten", erklärt der Pole. Er verdiene 400 Euro im Monat und befürchtet, die langen Strecken bald mit dem Fahrrad fahren zu müssen.

Und das wären täglich 30 Kilometer, denn als Landwirtberater fährt Malkowski von Bauernhof zu Bauernhof. Ohne Auto gehe das nicht. Sogar bei seinem Hobby müsse Malkowski Abstriche machen. "Ich angle gerne, aber um Sprit zu sparen, gehe ich jetzt viel seltener – und wenn, dann auch irgendwo hier in der Nähe, obwohl es hier im Wasser nicht so viele Fische gibt", erklärt Malkowski. Vieles sei unerschwinglich, das meiste Geld gehe für Essen weg. In Polen, meint Malkowksi, gebe es Reiche und Arme, aber keine Mittelsicht mehr.

Des einen Freud, ist des anderen Leid

Lebensmittel im Einkaufswagen
Manche können ihren Einkaufswagen vollladen, andere müssen sparenBild: BilderBox

Ein Teil der Polen kann sich heute immer mehr leisten, wie Teresa Gluchowska, weil sie im westeuropäischen Ausland arbeiten, oder weil sie von dem konjunkturellen Aufschwung des Landes profitieren. Die anderen - die so genannten Wendeverlierer - kommen kaum über die Runden, wie Malkowski.

Diese Unterschiede treten überall zum Vorschein, besonders deutlich werde die Kluft zwischen Arm und Reich beim Thema Freizeit und Ausgehen, sagt eine junge Kellnerin. Sie erzählt, wie die einen überhaupt nicht aufs Geld achten beim Restaurantbesuch: "Sie bestellen teure Menüs und ich muss sagen, ich bekomm jetzt auch mehr Trinkgeld. Auf der anderen Seite kommen auch Gäste zu uns, sie schauen sich die Menükarte, die Preise an und dann gehen sie einfach raus ohne etwas zu bestellen."

Gluchwoska, deren Mann in Norwegen arbeitet, wird heute Abend ins beste Restaurant der Stadt essen gehen. Malkowski dagegen kann bei seinem Hungerlohn nur davon träumen. Er kocht sich das Mittagessen selbst, mit Lebensmitteln aus dem Billig-Discounter.