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Politik direkt Forum vom 04. 12. 2008

10. Dezember 2008

"Soll man die Vergangenheit irgendwann ruhen lassen?"

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Bundesbehörde für Stasi-Unterlagen. (Foto: Wolfgang Kumm dpa/lbn)Bild: dpa - Bildfunk

Informationen zum Thema:

Recht auf Vergessen? - wie ehemalige Stasitäter ihre Opfer erneut drangsalieren

Fast zwei Jahrzehnte ist nun her, dass der Spitzelstaat DDR zusammenbrach. Und viele der damaligen Stasi-Schnüffler wollen, dass die Vergangenheit nun auch wirklich zu den Akten gelegt wird. Sie klagen gegen Einzelpersonen, Zeitungen, Ausstellungsmacher und sogar gegen die Stasi-Unterlagenbehörde, wenn die Klarnamen veröffentlichen. Die Stasi-Mitarbeiter fordern, dass endlich ein Schlussstrich unter die DDR-Vergangenheit gezogen wird, fühlen sich in ihren Persönlichkeitsrechten beschnitten und kriegen manchmal sogar vor deutschen Gerichten Recht. Wir zeigen Beispiele dieser Einschüchterungskampagnen, sprechen mit Medienrechtlern und der Stasi-Unterlagenbehörde.

Unsere Frage lautet:

"Soll man die Vergangenheit irgendwann ruhen lassen?"

Antworten unserer Zuschauer:

René Junghans, Brasilien:

"Meine Eltern sind aus dem Osten geflüchtet, mein Vater aus Sachsen, meine Mutter aus Stettin (jetzt Polen). Viele unserer Familienmitglieder wurden durch die Grenze zur DDR getrennt. Trotzdem meine ich, man sollte die Vergangenheit endlich begraben. Das gehört mit dazu, West- und Ostdeutschland zusammenzubringen, ohne immer wieder auf vergangene Missgeschicke, Verfolgungen durch den Staat und Spitzelei durch die Stasi zurückzukommen. Das deutsche Volk soll in Frieden miteinander leben. Man darf auch nicht vergessen, dass die Stasi damals auf Anordnung der legitimen Regierung eines unabhängigen Landes, der DDR, gehandelt hat, also den dortigen Gesetzen unterstellt war. Man kann nicht einfach westdeutsche Gesetze anwenden um Menschen anzuklagen, die ja effektiv keinen westdeutschen Gesetzen unterstellt waren, also keine westdeutschen Gesetze übertreten haben. Nach dem Krieg waren es andere Zeiten, heute haben wir (Gott sei Dank) ein wiedervereinigtes Deutschland, wo sowohl die Wessis als die Ossis ein Anrecht haben, in Frieden zu leben. Und das kann eben nur möglich sein, wenn man einen dicken Schlussstrich unter die Vergangenheit zieht."

Heinz Niesel, Singapur:

"Über 40 Jahre Unterdrückung und Diskriminierung. Warum soll man das nach 20 Jahren vergessen? Die Verräter der Menschenwürde gehören bestraft; auch nach 40 Jahren!"

R. Buchwald, Deutschland:

"Warum sollte damit aufgehört werden, wenn die Täter immer noch die Opfer verhöhnen und sogar den 'Sozialis-Muss' wieder aufbauen wollen. Was ist mit den Opfern, die heute noch nachts in den Betten stehen und denken, dass die Zellentüren aufgerissen werden? Habt ihr diese Leute mal danach gefragt? Menschen, die zur DDR-Zeit in Knästen saßen, hat doch niemand geglaubt!"

Klaus Uhle, Kanada:

"Ich bin absolut gegen dieses Urteil und dessen Begründung! Die SED-Bonzen und Stasi-Spitzel, durch die das Zwangsregime - dieser sogenannte Staat - erst so lange ermöglicht wurde, sollen, ja müssen beim Namen genannt werden solange sie leben! Dies ist man den Millionen verfolgten, ermordeten, erschossenen, in Bautzen und anderswo gequälten und erniedrigten Menschen der Ostzone schuldig! Ich weiß, wovon ich rede. Ich war selbst bis zu meiner Flucht 1953 Verfolgter im Arbeiter- und Bauernstaat. Über die Nostalgie dieses Terrorregimes, über die Linkslastigkeit der gesamten deutschen Gesellschaft, bin ich schwer enttäuscht. Leider ist die konsequente Unterwanderung durch 68er, Anhänger der RAF, Linke aller Richtungen und Autonomen weiter fortgeschritten, als sich so mancher naive Bürger das vorstellt."

Helge Weyland, Argentinien:

"Was soll das, wer nicht zu seinen Taten steht, kann nicht eine ehrliche Zukunft beanspruchen. Die Zukunft kann nur bewältigt werden, wenn aus der Vergangenheit gelernt wurde."

Ingobert Niewöhner, Brasilien:

"Ich halte es mit dem Apostel Paulus , der seine Vergangenheit nicht verschwieg, vielmehr öffentlich bekannte und andere daran erinnerte."

Silvio Berndt, USA:

"Nein, man soll sie nicht ruhen lassen, denn es ist ein bitterer Hohn für die Opfer. Auch ich zähle zu denen, auch ich wurde bespitzelt und saß in Haft. Da kann man doch erwarten, das man erfährt, wem man das zu verdanken hat. Es kann doch nicht zuviel sein, diese Leute zur Rede zu stellen und sie zu fragen, warum sie das gemacht haben. So wie man die Zeit des Nationalsozialismus nicht vergessen sollte, sollte man auch nicht die Zeit der Sozialismus vergessen."

Dorothea Well, Ghana:

"Ja, man soll die Vergangenheit irgendwann ruhen lassen! Nämlich dann, wenn sie richtig aufgearbeitet wurde. Wenn für Opfer und Täter eine zufriedenstellende Lösung und die richtige Wiedergutmachung gefunden wurde."

Gerhard Seeger, Philippinen:

"Natürlich könnte man die Vergangenheit auch mal ruhen lassen. ABER: Es kommt wohl auch etwas auf die Taten an und wie die Täter der Sache zugetan waren. Die meisten waren gewiss harte Stasi- Mitarbeiter, andere hatten vielleicht keine Wahl. Aber wie will man das genau feststellen? Lässt man es ruhen, profitieren jene, die es nicht verdient haben, wahrscheinlich sind es auch die, die ihre ehemaligen Opfer jetzt unter Druck setzen. Ich meine, man sollte es den Opfern überlassen. Sie können am besten beurteilen, wie stark sie betroffen waren und ob sie es ruhen lassen könnten."

Erwin Scholz, Costa Rica:

"Der Staat als Übeltäter

gar selbst jetzt ein "Gequälter",

zeigt ein Opfer wie gemein

Abart im System kann sein?

Na hoffentlich."

Dirk Marotzke, Brasilien:

"Vergessen und Vergeben? Wer kommt dann als nächster: Die Täter und Helfer der Shoa . Ein Unding - meines Erachtens - dass die deutschen Gerichte den Stasi Handlangern auch noch zu Geld verhelfen und die Opfer somit doppelt bestrafen."

Adalbert Goertz, USA:

"Die Vergangenheit sollte man nicht ruhen lassen."

Andy Medina, Großbritannien:

"Als großer Bewunderer Deutschlands war es ein Schock für mich zu erfahren, dass frühere Stasi-Agenten ihre Opfer in dieser Weise belästigen. Das beschädigt das Bild Deutschlands in der Welt. Man ist fast versucht zu sagen: Was sollte man anderes von Deutschland erwarten? Das ist zwar unfair, aber die Leute denken wirklich so. Es wäre besser, die Stasiopfer zu schützen und den Tätern nicht zu gestatten, in dieser Art und Weise das Gesetz zu missbrauchen. Wenn ein mutmaßlicher Ex-Stasiagent sich wirklich unschuldig fühlt, dann kann er das auf normalem Gerichtsweg klären lassen. Selbst wenn das im deutschen Recht nicht vorgesehen ist, im europäischen Recht ist es das."

Heidi Gail Dadulah, Philippinen:

"Ich lebe in einem Land, in dem die Menschenschinder des früheren Marcos-Regimes mittlerweile Industriekapitäne sind. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Opfer von politischer Unterdrückung - so lange sie das Glück haben zu leben - das Recht haben sollten, ihre früheren Unterdrücker beim Namen zu nennen. Einseitiges Vergeben und Vergessen ist selten gerecht!"

Charles Smyth, Großbritannien:

"Deutsche Gerichte täten gut daran, die Rufe nach dem Schutz der ehemaligen Täter abzuwehren. Das würde ein gutes Zeichen setzen für all diejenigen, die gerne den Mantel des Vergessens über ihre früheren Sünden breiten würden. Die aktuellen Gerichtsurteile in Deutschland erweisen den Menschenrechten und dem Recht auf freie Meinungsäußerung ein Bärendienst. Sie tun das, was einst Stasi getan hat – nur mit anderen Mitteln."

Die Redaktion von "Politik direkt‘ behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen.