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Politik direkt Forum vom 18. 03. 2010

25. März 2010

„Staat oder Kirche – Wer soll bei sexuellem Missbrauch ermitteln?"

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Missbrauch auch im Kloster Ettal (apn Photo/Christof Stache)Bild: AP

Informationen zum Thema:

Schwierige Ermittlungen - Der Missbrauch und das Kirchenrecht

Die Mauer des Schweigens bricht zusammen: Fast täglich melden sich Menschen, die an katholischen Schulen, Internaten und Einrichtungen missbraucht wurden. Die katholische Kirche gibt offen zu, dass hohe Würdenträger von solchen Vorgängen gewusst und geschwiegen haben. Sie berufen sich dabei auf das Kirchenrecht. Schon lange wird das von Staatsanwälten kritisiert.

Unsere Frage lautet:

„Staat oder Kirche – Wer soll bei sexuellem Missbrauch ermitteln?"

Antworten unserer Zuschauer:

René Junghans, Brasilien:

"Wenn der sexuelle Missbrauch von einem Kirchenmitglied begangen wird, dann muss natürlich der Staat ermitteln, denn die Kirche wird ihre eigenen Pater doch nicht zur Verantwortung ziehen, wie die Vergangenheit bereits bewiesen hat. Jeder Pater muss von einem der Kirche unabhängigem Gericht abgeurteilt und bei Verurteilung dann auch eingesperrt werden. Was passiert, wenn die Kirche "ermittelt", lernen wir ja tagtäglich aus den Medien. Da wird gelogen, da wird vertuscht (...)."

Gerhard Seeger, Philippinen:

"Das hört sich an, wie mit einem Bein im Mittelalter stehen, dass die Kirche sich anmaßt, selbst zu ermitteln und zu bestimmen, was der Staatsanwaltschaft angezeigt wird. Das lädt zur Vertuschung ein. Der Staat sollte die Kirche gar nicht fragen, sondern einfach ein Gesetz machen, dass das - wahrscheinlich selbst gegebene -'Recht' der Kirche aushebelt und die Kirche verpflichtet, jeden Fall von sexuellem Missbrauch der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Von einer solchen Tat zu wissen und sie nicht anzuzeigen, ist der eigentlichen Missbrauchstat gleichzusetzen und (müsste) ebenso bestraft werden ohne Rücksicht, welchen Rang die Täter in der Hierarchie haben."

Rolf Bockmühl, Philippinen:

„Natürlich alleine die Staatsanwaltschaft. Wie kann es sein, dass (die Kirche, d.Red.) sich eigene Gesetze und Verhaltensregeln "bastelt"? Die Justiz alleine kann und muss neutral ermitteln, auch und besonders bei den Kirchen. Insbesondere die katholische Kirche hat sich in zahllosen Misshandlungsfällen nicht kooperativ gezeigt. Zu viele kriminelle Priester wurden einfach "versetzt" oder anderen Gemeinden untergejubelt. Hier wurde vertuscht, gemauschelt und beschwichtigt, ohne an die geschändeten Opfer zu denken. Wir leben nicht mehr im Mittelalter, wo die Kirche nach eigenem Gutdünken schalten und walten konnte. Wenn von Seiten der katholischen Bischöfe von der sinkenden Moral der Bürger gesprochen wird, dann finde ich dies beschämend. Nicht die Moral des Volkes sinkt, nein - die der Kirchenmänner ist tief gesunken. Wenn ein Chorleiter seine Schützlinge prügelte und er dies in diesem Jahr "verniedlicht", dann stellen sich mir die Haare zu Berge! Welche pädagogischen Grundkenntnisse haben solche Erzieher? Jeder Meister/ Ausbilder muss pädagogische Kenntnisse nachweisen. Tja Kirche, da fehlt in ihren Häusern wohl etwas, so ist meine Meinung. (…) Ich frage die katholische Kirche und die Bischöfe: Wann werden die geschändeten Opfer zumindest finanziell entschädigt? Billige Worte der Entschuldigung unter dem Druck der Öffentlichkeit zählen für mich gar nicht!“

Karl Wolfgang Keymer, Argentinien:

"Die Medien berichten ständig von neuen Sexualvergehen an Kindern. Triebtäter sind sehr oft Priester an renommierten katholischen Lerninstituten. Die Fälle, in denen sich die Opfer heute „outen“, liegen in der Mehrzahl 30, 40, und gar 50 Jahre zurück. Gab es danach keine Kinderbelästigung mehr? Wenn die Missbrauchten - inzwischen meistens ältere Männer – ihr (Leiden, d.Red.) heute vor laufenden Kameras in allen Einzelheiten ventilieren und sich so eines jahrelangen Traumas zu entledigen glauben, riecht das ein bisschen nach Exhibitionismus und Rache an einer Institution oder Religion, der sie, aus welchen Gründen auch immer, vor langer Zeit den Rücken gekehrt haben. Die sexuellen Vergehen sind umso unverzeihlicher, wenn sie von Menschen begangen werden, an die man höchste ethische Ansprüche stellen muss. Allerdings darf sexueller Missbrauch nicht mit körperlicher Züchtigung in einen Topf geworfen werden. (…) Ich habe Etappen meiner Schülerzeit in katholischen Internaten absolviert, und die Nonnen wie die Priester waren im Umgang mit dem Rohrstock und der Anwendung anderer körperlicher Züchtigungen nicht zimperlich. Ohne sexuelle Avancen! Unsere Eltern haben diese Erziehungsmethoden ausdrücklich unterstützt. Im Gegensatz zu heute haben sie nicht für uns, sondern für unsere Erzieher Partei genommen. Als Schüler haben wir die Strafen für unsere Missetaten und Bubenstreiche ohne Murren hingenommen. Wir wussten, was recht und was unrecht war. Wenn wir gegen die Regeln verstießen, nahmen wir das damit verbundene Risiko einer Tracht Prügel in Kauf - das war uns lieber als freizeitraubende Strafarbeiten. Wir hegten deswegen keinen Groll gegen unsere Erzieher und im Nachhinein sind wir – vielleicht unbewusst – dankbar, dass die strenge Erziehung uns außer guten schulischen Kenntnissen auch ein bisschen Disziplin und Eigenverantwortung vermittelt hat. Ich bin kein praktizierender Christ. Trotzdem, die Schuljahre in der Obhut von Ordensleuten haben mich in entscheidenden Lebensabschnitten geformt ohne mir psychischen oder physischen Schaden zuzufügen. Im Gegenteil!"

Hannlore Krause, Deutschland:

"Zweifelsohne der Staat - egal wo sexueller Missbrauch geschieht! Und das dies nun ausgerechnet die Kirche, besonders die katholische Kirche betrifft, spiegelt einmal mehr wider, dass eine Reform dringend erforderlich wäre (u.a. Zölibat). Die Vergehen sind unverzeihlich und schon gar nicht entschuldbar. Da sie jedoch zum Teil viele Jahrzehnte zurückliegen, wird es wohl wegen Verjährung bei verbalen Entschuldigungen bleiben müssen. Für die Opfer dürfte es allerdings eine Genugtuung sein, mit ihren Aussagen und Anschuldigungen zum Thema eine Lawine ins Rollen gebracht zu haben, deren Ende noch nicht abzusehen scheint. Aussagen, die einer seelischen Befreiung gleichkommen müssen, die aber in Bezug auf die Kirche nicht nur äußerst peinlich sind, sondern auch sehr nachdenklich stimmen."

Erwin Scholz, Costa Rica:

„Frisst der Wolf Kreide,

es fehl' im Skandal

halt etwas Moral,

dann sicher beide.“

Victor Chan, USA:

„Ein Verbrechen ist ein Verbrechen – egal, ob es inner- oder außerhalb der Kirche

geschieht. In jedem Fall muss der Staat Priester, die sich an Kindern vergangen haben, anklagen. Deshalb sollte die Verjährungsfrist für sexuelle Übergriffe auf 20 bis 30 Jahre verlängert werden. In jedem Fall aber muss die katholische Kirche jeden Verdacht sofort dem Staatsanwalt melden. Diözesen, die das nicht tun, sollten selbst Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen werden und die Verantwortlichen sollten mit saftigen Geldstrafen oder Freiheitsstrafen rechnen. Nur so kann die Mauer des Schweigens endlich durchbrochen werden. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die interne Prüfung von Missbrauchsfällen durch die Kirche nicht funktioniert.“

Charles Smyth, Großbritannien:

„Beide, die Kirche und der Staat, sollten in Sachen Kindesmissbrauch durch den Klerus ermitteln. Die katholische Kirche sollte die Polizei informieren und gleichzeitig das Kirchenrecht auf den beschuldigten Priester anwenden. Und der Staat muss gegen den Täter ermitteln und untersuchen, ob die Kirche sich der Beihilfe zum Missbrauch schuldig gemacht hat. Beim Kirchenrecht geht es ohnehin nur um Protokollfragen innerhalb der Kirche, vergleichbar mit den internen Regeln eines Vereins.“

Die Redaktion von ‚Politik direkt’ behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen.