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Politik direkt Forum vom 25. 02. 2010

3. März 2010

„Soll staatliche Hilfe zeitlich begrenzt werden?"

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Mitarbeiterinnen der Trierer Tafel verteilen Lebensmittel an BedürftigeBild: picture-alliance/ dpa

Informationen zum Thema:

Debatte um den Sozialstaat - Was dürfen Arme vom Staat erwarten

Der Bremer Soziologieprofessor und Wirtschaftexperte Gunnar Heinsohn kritisiert das deutsche Sozialsystem: Die Leistungen sorgen dafür, dass die Menschen Versorgungsempfänger bleiben, anstatt sie aus den Verhältnissen zu holen. Wohlfahrtsverbände kritisieren solche Thesen scharf: Bedürftige haben ein Recht auf staatliche Unterstützung.

Unsere Frage lautet:

„Soll staatliche Hilfe zeitlich begrenzt werden?"

Christopher Kowalczyk, Polen:

„Meiner Meinung nach steht jetzt ganz Europa und insbesondere Deutschland mit seinem sehr breiten Netz der Sozialleistungen vor einer großen Herausforderung, nämlich der Alterung der Gesellschaft. Das bedeutet gewiss weniger Steuerzahler, mehr Empfänger der Beiträge, höhere Ausgaben für Gesundheit, größeres Haushaltsdefizit. Zugleich steigen noch die Erwartungen der Gesellschaft, die Sozialleistungen mehren sich, die (Umverteilung, d. Red.) des Bruttoinlandsprodukts wächst. Das führt langfristig zu einer Katastrophe. Deshalb soll staatliche Hilfe nicht nur zeitlich, sondern (generell, d. Red.) begrenzt werden. Das soll aber allmählich eingeführt werden, um den Leuten die Chance zu geben, sich daran anzupassen. Aber welche politische Partei hat genug Mut und Charakter, um etwas so Unpopuläres (…) durchzusetzen? Zur Zeit keine.“

Peter Weber, Deutschland:

"Alle positiven Vorschläge der Förderung müssen davon ausgehen, dass der „zu verteilende Kuchen" begrenzt ist und wir uns an der Grenze zur Staatsschuldenkrise befinden. Deshalb kann man bei zunehmender Zahl der Sozialhilfeempfänger nicht mehr fördern, sondern muss reduzieren! Armut gehört zum System - weil, dass Reiche abgeben, eine Illusion ist. Staatliche Hilfe muss zeitlich begrenzt werden und danach nur noch ein Minimum umfassen. Auch lässt sich nicht verhindern, dass sich Armut vererben wird. Bestimmt nicht durch noch mehr Förderung der Armen."

Robert Daum, Deutschland:

"Die zeitlich unbegrenzte staatliche Unterstützung muss selbstverständlich erhalten bleiben, sonst verhungern die Ärmsten auf der Straße. Aber es sollte Richtung Zuteilung von Sachleistungen reformiert werden. Die Würde wird dadurch durchaus gewahrt. Mehr: z. B. Geld gibt es nur für Leistung für die Allgemeinheit, auch wenn dies Schneeschippen ist. Unbedingt muss derjenige, der arbeitet, mehr haben als der, der dies nicht tut. Wir haben, zumindest in Rheinland-Pfalz, auch das Recht auf Arbeit - und tatsächlich kann nur die Aufteilung der vorhandenen Arbeit helfen, das Problem der steigenden Zahl der Sozialhilfeempfänger langfristig zu lösen. Ziel: Die 25-Stunden-Woche für alle."

Helge Weyland, Argentinien:

"Das ist nicht die richtige Frage. Anspruch sollten diejenigen immer haben, die z.B. auf Grund unverschuldeter Arbeitslosigkeit (oder schlechter Gesundheit, d. Red.) keine Tätigkeit finden, aber nicht diejenigen, die die staatliche Hilfe ausnutzen, um von dieser leben zu wollen."

Silvo Kranjec, Slowenien:

"Jesus hat gesagt: „Die Armen werden immer mit ihnen bleiben“. Schon Aristoteles unterscheidet zwischen zwei Formen von Gerechtigkeit: 'iustitia distributiva' (einem jedem nach seinen Bedürfnissen) und 'iustitia commutativa' (einem jeden nach seinem Verdienst). Der Mensch wurde nach dem Bilde Gottes geschaffen, deshalb haben alle Leute ein Recht auf eine 'menschenwürdige' Existenz. In der Praxis werden 'Leute' auf 'Bürger' reduziert. Ebenso hat der Staat eine Verpflichtung, allen seinen Bürgern eine solche Existenz zu ermöglichen. Wie so oft steckt der Teufel in Details. 1. Kann eine 'menschenwürdige' Existenz durch Geld, nur durch Geld, und durch wie viel Geld geschaffen werden? 2. In USA sind die meisten Leute überzeugt, dass sie selber Schmiede ihres Erfolgs oder Misserfolgs sind. Amerika ist ein sehr erfolgreiches Land, aber seine Bürger sind (…) nicht besonders glücklich. Kanadier und Australier sind glücklicher. 3. Der Staat muss sich (dauerhaft) um die Bürger kümmern. Aber wie, das ist eine andere Frage. Vielleicht sollte bestimmten Bürgern Hilfe (in Form von Sachleistungen, d.Red.) angeboten werden (…). Ausmaß und Form der Hilfe ist natürlich vom Reichtum des Staates und von wirtschaftspolitischen Bedenken (abhängig). Die Bürokratie, die entscheidet, wer nicht arbeiten kann und wer nicht arbeiten will, ist sehr teuer."

Hannelore Krause, Deutschland:

"Ich bin dafür, dass die Menschen, die Ärmsten der Armen, staatliche Hilfe empfangen sollen genauso wie diejenigen, die in dem Alter sind, wo sie von der Wirtschaft oder von wem auch immer nicht mehr gewollt, also nicht vermittelbar sind. Diese sollten entsprechend ihren geleisteten Zahlungen in die Arbeitslosenversicherung 'entlohnt' werden. Diejenigen allerdings, die unqualifiziert, zudem noch jung und frisch sind, sollten nur begrenzt Hilfe erhalten und gezwungen werden, jedwede Arbeit anzunehmen. Denn sie werden dem Staat für immer und ewig auf der Tasche liegen. Immer mehr Menschen hängen an der 'Brust' des Staates. Und manchmal hat man das Gefühl, dass der Staat geradezu die Menschen zur Unselbständigkeit erzieht, sie entmündigt, statt sie an die Hand zu nehmen, um sie aus diesem Dilemma (…) herauszuführen. Da werden immer mehr Suppenküchen und Tafeln aus dem Boden gestampft, Kirchen verteilen im Namen Gottes Lebensmittel und Kleidung, die ihnen massenweise aus Restbeständen oder Spenden zugeführt werden, etc. Und die bisherigen staatlichen Wohltaten reichen auch nicht mehr aus, weil die Empfänger sich benachteiligt fühlen und vielfach die Meinung vorherrscht, dass die Wohltaten zu wenig sind. Kinder sollen nicht länger benachteiligt sein: sie sollten Reit- oder Klavierunterricht erhalten, Museen oder andere Kultureinrichtungen besuchen oder gar in den Urlaub fahren können. Dinge, die sich viele Menschen nicht leisten können, obwohl sie arbeiten gehen. Andere haben mehrere Jobs, um ihren Lebensstandard halten zu können. Die Einkünfte vieler Arbeitender müssen aufgestockt werden, weil das Geld, das sie regulär verdienen unter dem liegt, was Menschen fürs Nichtstun erhalten. Und irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo staatliche Wohltaten nicht mehr bezahlbar sind, weil auch die Ansprüche der vom Staat Abhängigen exorbitant in die Höhe schnellen. Und lassen wir doch die Reichen mal gänzlich aus dem Spiel. Menschen, die mehr als 40 000 € im Jahr verdienen, gelten als reich. Viele von ihnen haben sich den Reichtum erarbeitet, eben auch, weil sie sparsam mit ihrem Geld umgegangen sind. Beispiele dafür gibt es genug."

Herbert Fuchs, Finnland:

"Auf alle Fälle soll staatliche Hilfe niemals begrenzt werden, weil die Armut und Not der Menschen ohne jegliche Chance auf Arbeit und Brot nicht zum Spielball der Politik werden darf. Es ist unser aller Pflicht denen zu helfen, die vom Lebensschicksal auf das Abstellgleis geschoben wurden und unsere Hilfe nötig brauchen. Das sollte im Grund keine Frage sein, sondern eine menschliche Ehre. Bedürftigen Menschen, egal wer es auch ist, ist die Hand zureichen, damit deren Leben lebenswert ist."

Victor Chan, USA:

„Wenn man staatliche Hilfe kürzt, dann führt das nur zu weiteren sozialen Spannungen, gerade jetzt in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise. Sie zeitlich zu begrenzen ist hingegen eine gute Idee. (…) Den Teufelskreis der dauerhaften Abhängigkeit von staatlichen Leistungen kann man nur durchbrechen mit Bildungs- und Ausbildungsangeboten an die Sozialhilfeempfänger und deren Kinder. Wenn schon mehr als eine Generation einer Familie von Sozialhilfe lebt, kann der Staat so gut wie nichts mehr machen. (…)“

Erwin Scholz, Costa Rica:

"Hilfe begrenzen aus Kalkül,

kein erstrebenswertes Ziel.

Doch sie gewähren ohne Grund,

umgekehrt der selbe Schund."

Gerhard Seeger, Philippinen:

"Wer staatliche Hilfe braucht, sollte sie bekommen, natürlich nach Prüfung, ob es wirklich nötig ist. Wenn ja, solange wie sie gebraucht wird. Die Aufgabe staatlicher Sozialhilfe käme einem zivilisatorischen Rückschritt nahe. Eigentlich bräuchte es in Deutschland keine Armut zu geben, denn wie hört man immer? Deutschland ist ein reiches Land! Stimmt. Nur konzentriert sich der Reichtum bei einigen Wenigen. Die Kaste der Superreichen, die über Multi-Milliarden verfügen, ist die kleinste. Aber fast alle, die bereits weit mehr als genug haben, wollen - aus Gier? - immer noch mehr. Und dort, Herr Westerwelle, liegt die 'Dekadenz'. Produktion auslagern, automatisieren, Leiharbeiter unterbezahlen, usw. schafft die Armut. Arbeitszeit gehört bei vollem Lohnausgleich gekürzt, das macht auch Platz für mehr Einstellungen, dann sinkt die Armut und die Sozialausgaben. Weit besser als ich das beschreiben könnte, hat vor etwa 25 Jahren Esther Vilar das in ihrem Buch "Die 25-Stunden-Woche" getan. Sie wies unter vielem anderen überzeugend nach, dass bei sinkender Armut die Reichen immer noch reich genug wären. Kein Sozialismus/Kommunismus durch die Hintertür."

René Junghans, Brasilien:

"Auf gar keinen Fall soll staatliche Hilfe begrenzt werden, sonst wird es in Deutschland bald Slums wie in Brasilien und anderen Schwellenländern geben. Es ist nun mal so, dass in Not geratene Menschen allein aus der Armut nicht rauskommen. Wer arbeitslos ist, der benötigt das Arbeitsamt und wer keine Berufsausbildung hat, benötigt eine gute Berufsschule und eine Lehrstelle. Alle benötigen ein vernünftiges Gesundheitssystem. Der Staat ist dazu da, um die horrend hohen Steuern dem Volk zu Wohl an der richtigen Stelle einzusetzen. Wenn der Staat verfehlt, seine Pflicht zu erfüllen, dann braucht man doch keinen Staat mehr. Politiker sind Volksvertreter, vergessen aber leider viel zu oft, dass sie vom Volk für das Volk gewählt wurden und nicht, um sich selbst zu bereichern. Sollte ein Unterstützungsempfänger allerdings keinen sichtbar guten Willen zeigen, einen neuen Arbeitsplatz anzunehmen bzw. nicht in eine Berufsausbildung oder einen Umschulungskurs teilnehmen wollen, dann gehört die Unterstützung drastisch gekürzt, bzw. im Extremfall ganz gestrichen. Aber das sind eben, wie gesagt, Extremfälle. Ich finde es ansonsten eine Schande, dass Politiker überhaupt die Idee aufbringen, den Sozialstaat abzubauen."

Die Redaktion von "Politik direkt" behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen.