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Politik direkt Forum vom 27. 05. 2010

3. Juni 2010

„Würden Sie bedrohten Menschen helfen?"

https://p.dw.com/p/NgIM
Quelle: DPABild: dpa

Informationen zum Thema:

Zivilcourage - wie Helfer zu Tätern abgestempelt werden

Sie haben Mut gezeigt, Zivilcourage bewiesen. Sie werden dafür aber nicht belohnt, sondern bestraft. Walter Petker zeigte die von Politikern immer wieder geforderte Zivilcourage. Als ein Schüler von anderen Jugendlichen zusammengeschlagen wird, greift er ein. Wochen später bekommt er von der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl über 200 Euro, weil er einen der Täter beleidigt haben soll. Kein Einzelfall - vor Gericht landen immer wieder die Helfer und nicht die Täter.

Unsere Frage lautet:

„Würden Sie bedrohten Menschen helfen?"

Antworten unserer Zuschauer:

Waltraud Maassen, Neuseeland:

„(…) Zumindest würde ich mein Handy benutzen und den Notruf (wählen, d. Red.). Die Frage ist, würde die Polizei reagieren? Deutschland war zwischen '33 und '45 Weltmeister im Wegschauen, alle wussten Bescheid, keiner hat sich getraut oder gar bemüht. Sieht aus, als ob die deutsche Rechtslage in die gleiche Richtung gerutscht sei (…). Wenn das so ist, ist es beschämend, eigentlich eine Schande!“

Peter Coninx, Belgien:

„Man muss nicht den Richtern, sondern den Politikern einen Vorwurf machen. Ein Gesetz müsste her, das Leuten, die anderen helfen, vor Strafverfolgung schützt. Nur so kann man die Leute dazu bringen, mehr Zivilcourage zu zeigen.“

Nguyen van Hoe, Vietnam:

"Natürlich soll man den Menschen helfen, die bedroht sind. Aber wie? In einem Land (ohne funktionierenden Rechtsstaat, d. Red.) ist es sehr schwer, Zivilcourage zu zeigen. Man hat doch Angst vor Rache (…)."

Hannelore Krause, Deutschland:

"Grundsätzlich nicht mehr unbedingt. Es kommt auf die Situation und deren Beteiligte an. Wenn ich von vornherein weiß oder sehe, dass ich mich in Lebensgefahr begebe, dann würde ich mich tunlichst zurückhalten."

Erwin Scholz, Costa Rica:

"Klar will man helfen,

gar keine Frage.

Wie, entscheidet sich

dann je nach Lage."

Herbert Fuchs, Finnland:

"(Es kommt auf die Situation an, d.Red.), ob ich aktiv und passiv helfe. Wenn die Chance zu aktiver Hilfe da ist, natürlich. Und wenn die Gegner in der Überzahl sind mit passiver Hilfe, selbstverständlich - durch (einen Anruf bei der Polizei, d.Red.). Man muss ja damit rechnen, dass die Täter bewaffnet sind, und da die Menschen in Deutschland meist keine Waffe tragen dürfen, kann der Mut einem selbst zum Verhängnis werden (…). Auf alle Fälle würde ich etwas unternehmen. Was, das kann ich im Voraus nicht sagen (…)."

Ron Beraha, USA:

„Wenn Richter jemanden verurteilen, der anderen hilft, erinnert mich das an Richter im dritten Reich, die Nazi-Übergriffe ungesühnt ließen. Die Justiz sollte nicht immer nur dem Buchstaben des Gesetzes folgen, sondern dessen Intention. Worte sind Schall und Rauch – auf die Absicht des Gesetzgebers kommt es an!“

René Junghans, Brasilien:

„Auf jeden Fall würde ich bedrohten Menschen helfen, allerdings mich nicht selbst in mögliche Schlägereien einmischen, denn dazu bin ich zu alt. Aber natürlich würde ich unverzüglich die Polizei anrufen. Auch würde ich mich als Zeuge identifizieren, also in der Nähe des Tatorts bleiben, bis die Polizei kommt und, wenn die Situation es erlaubt, die Tat auf meinem Handy filmen. Dass pflichtbewusste Menschen, die anderen helfen, auch noch von der Staatsanwaltschaft angezeigt werden, finde ich den Gipfel des Absurden. Hat so ein Staatsanwalt überhaupt jemals darüber nachgedacht, wer die Opfer und wer die Täter sind? Will man damit etwa den Menschen ihren Glauben an einem funktionsfähigen Rechtsstaat nehmen? Viele würden sicher gerne helfen, bekommen aber anhand der verdrehten Sachlage oft Angst, sich einzumischen. Würde man in Brasilien einen Täter beschimpfen und dafür angezeigt, würde die Polizei den Täter allenfalls die Faust ins Gesicht schlagen, damit er seinen frechen Mund hält. Das Volk, wenn es einen Verbrecher erwischt, ist hier oft nur zu schnell bereit, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen. Die Menschen sind es einfach leid, dass Räuber über Winkeladvokaten schnell wieder in Freiheit geraten und neue Verbrechen begehen. Damit gehe ich ganz und gar nicht einig, denn ich vertraue weiterhin in den Rechtsstaat, verstehe aber die (Gefühle, d.Red.) der Menschen, wenn sie Zeugen von Verbrechen werden.“

Ralf Oltmann, Thailand:

„Wenn man solche Berichte sieht, dann kann man schon erschrocken sein, was passieren kann, wenn man Mitmenschen hilft. Ich denke bei der Beurteilung solcher Fälle sollte immer die Hilfe für die Mitmenschen im Vordergrund stehen. (…) Man muss sich nicht wundern, wenn man die Hilfe, die man (vielleicht irgendwann einmal selbst braucht, d.Red.), nicht bekommt.“

Wolfgang Poeschl, Vereinigte Arabische Emirate:

„(…) Mit den bisherigen Erfahrungswerten ist natürlich klar, dass man in Situationen, in denen Menschen von gewalttätigen Jugendlichen bedroht und angegriffen werden, nicht helfen würde. Die Statistik sagt, dass nur 5 Prozent aller unbeteiligten Beobachter einschreiten würden. Das bedeutet, dass wenn ich selbst bedroht wäre, mir 95 Prozent aller Beobachter nicht helfen würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine bedrohte Person aus dieser Mehrheit stammt, ist somit 95 Prozent, und wenn diese Person tatsächlich aus dieser Mehrheit stammt, hatte sie es ja umgekehrt auch nicht verdient, dass man ihr hilft. Es scheint ja einfach so zu sein, dass unsere Gesellschaft es so haben will, und wir hier dem Wunsch der Mehrheit ausgeliefert sind. Dies wird ja auch noch unterstützt von Gerichtsentscheidungen. Wenn ich bei einer gewalttätigen Situation einschreite, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich selbst in gewalttätige Aktionen verwickelt werde und dabei (…) Verletzungen davontragen könnte. Wenn es zu Gewalt kommt, ist Gegengewalt notwendig, um der bedrohten Person zu helfen, aber auch um mich selbst zu schützen. Wir schicken die Bundeswehr ja auch nicht mit Gummiknüppeln nach Afghanistan. Das größte Risiko bei einem Einschreiten ist, dass ich selbst verletzt werde, da ist das Risiko einer Bestrafung durch das Gericht nur noch ein Zusatzrisiko. Dieses Zusatzrisiko ist aber höchstwahrscheinlich komplementär, d.h. ich werde mit größter Wahrscheinlichkeit entweder selbst verletzt oder ich verletzte die Gewalttäter und werde dann durch das Gericht bestraft. Mit größerer Wahrscheinlichkeit trägt man deswegen im Falle eines Einschreitens auf jeden Fall Schaden davon. D.h. die Bereitschaft einer bedrohten oder angegriffenen Person zu helfen, ist verbunden mit der Bereitschaft diesen Schaden (Verletzung oder Strafe) auf sich zu nehmen. Aus reiner Menschlichkeit sollte man einschreiten und ich würde es tun. Das Risiko einer Bestrafung durch das Gericht ist nur noch ein Zusatzrisiko.“

Victor Chan, USA:

„Natürlich würde ich einschreiten. Was wäre ich sonst für ein Mensch? Ich könnte mich nicht mehr im Spiegel anschauen. Wichtig ist nur, dass man die Situation nicht eskalieren lässt. Man kann zum Beispiel einfach die Polizei anrufen. Es geht nicht darum, den Helden zu spielen, sondern dem Opfer zu helfen. Im Grunde reicht es oft schon, dem Angreifer zu sagen, dass die Polizei im Anmarsch ist. Sicher muss man aber auch den Leuten erklären, was Zivilcourage in der Praxis heißt.“

Die Redaktion von ‚Politik direkt’ behält sich das Recht vor, Zuschriften zu kürzen.