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Politik schwingt mit

Emily Sherwin, Moskau6. Juni 2015

In Russland geht das Jahr der Deutschen Sprache und Literatur zu Ende. Zahlreiche Veranstaltungen haben den kulturellen Austausch gefördert. Auch wenn der Schatten der Politik immer weiter reicht.

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Logo Jahr der deutschen Sprache und der deutschen Literatur in Russland (Foto: DW Grafik)

An einem kleinen Tisch im Saal des Moskauer Puschkin-Museums sitzt der deutsche Autor Hans Pleschinski neben seiner russischen Übersetzerin. Beide lesen abwechselnd das gleiche Werk auf verschiedenen Sprachen, geben sich mit Blicken das Wort.

Die Lesung ist Teil der Abschlussveranstaltung des Jahres der Deutschen Sprache und Literatur in Russland. Eine Fotoausstellung über das Leben von Thomas Mann bildet dazu den Rahmen. Das Jahr geht am 140. Geburtstag von Thomas Mann zu Ende. Vor genau einem Jahr hatte es mit dem 215. Geburtstag des russischen Schriftstellers Alexander Puschkin seinen Anfang genommen. In Hans Pleschinskis Roman "Königsallee" ist Thomas Mann der Protagonist. Wie Mann selbst lässt sich Pleschinski immer wieder durch die russische Literatur inspirieren. Zwischen Russland und Deutschland gebe es auch heute einen "regen Gedankenaustausch", sagt der Autor.

Mehr als 73.000 Interessierte

Einen solchen Austausch sollte das Jahr der Deutschen Sprache und Literatur in Russland fördern. An 300 Orten in Russland fanden dafür insgesamt 510 Veranstaltungen mit mehr als 73.000 Teilnehmern statt. Unter anderem zahlreiche Lesungen, eine deutsch-russische Schreibwerkstatt, ein Übersetzungspreis, Deutscholympiaden, eine Wim-Wenders-Retrospektive und vieles mehr. Parallel dazu fand in Deutschland das Jahr der russischen Sprache und Literatur statt.

Doch auch wenn Literatur und die klassische Musik von Schumann im Saal des Puschkin-Museums in der Luft liegen, die politische Lage klingt trotzdem mit. Denn das deutsch-russische Jahr stand im Schatten der Annektierung der Krim, der Ukraine-Krise und der westlicher Sanktionen gegen Russland.

Stattfinden ist alles

Rüdiger Bolz, der Leiter des Goethe-Instituts Moskau und der Region Osteuropa und Zentralasien zeigt sich erleichtert dass trotz "einer politisch sehr angespannten Situation" alle Veranstaltungen stattgefunden und vor allem "viele vor allem junge Menschen erreicht" haben.

Rüdiger Bolz, Leiter des Goethe-Instituts in Moskau (Foto: Goethe-Institut Moskau)
Rüdiger Bolz: "Die politische Beteiligung war nicht so ausgeprägt"Bild: Goethe-Institut Moskau

Auch der Sonderbeauftragte der Russischen Föderation für international kulturelle Zusammenarbeit Michail Schwydkoj stimmt ihm zu. "Die wichtigste Bilanz dieses Jahres ist, dass das Jahr stattgefunden hat - trotz des kalten politischen Windes, der weht."

Seine Erklärung: Kultur kann von der Politik getrennt werden. Denn "kulturelle Beziehungen sind höher als politische, sie liegen außerhalb der politischen Sphäre."

Kalter Wind, auch in der Kultur

Rüdiger Bolz übt jedoch auch etwas Kritik: "Die politische Beteiligung an unseren Projekten war nicht so ausgeprägt, wie man sich das wünschen würde, und wie es in normalen Zeiten auch der Fall wäre." Mehr Beteiligung an der Regierungsspitze sowie der Ministerebene hätte er sich für dieses Jahr gewünscht.

Michail Schwydkoj, Sonderbeauftragte der Russischen Föderation für international kulturelle Zusammenarbeit (Foto: dpa)
Michail Schwydkoj: "Die wichtigste Bilanz ist, dass das Jahr stattgefunden hat"Bild: picture alliance/Russian Look/Photoagency Interpress

Die Veranstaltungen des Deutsch-Russischen Kreuzjahres der Sprache und Literatur gingen trotzdem problemlos über die Bühne. Für Kulturveranstaltungen in Russland ist das keine Selbstverständlichkeit. Noch im Februar hatte die russische Regierung einen Opern-Regisseur in Nowosibirsk wegen seiner Inszenierung des "Tannhäuser" angeklagt. Der Vorwurf: Blasphemie. Auch das Moskauer Dokumentartheater "Teatr.Dok" leidet unter der zunehmend repressiven Atmosphäre in der russischen Kulturszene. Das Ensemble verfügt seit Ende Mai über keine Spielstätte mehr. Nach der Premiere eines Stücks über die unrechtmäßige Verhaftung von Oppositionellen tauchte plötzlich ein Fehler im Mietvertrag des Ensembles auf. Vor einem halben Jahr hatte das "Teatr.Doc" schon einmal umziehen müssen: damals wegen angeblicher Brandschutzgefahr.

Neues Gesetz könnte Auswirkungen haben

Diese Entwicklungen sowie das neue Gesetz über "unerwünschte" Organisationen bereiten dem deutschen Beauftragten für Auswärtige Kulturpolitik Sorgen. Andreas Meitzner fürchtet, beides könnte Projektpartner treffen. Das Gesetz macht russische Bürger strafbar, die mit als "unerwünscht" abgestempelte internationale Organisationen zusammenarbeiten. "Wir hoffen, dass sich das nicht auf die Kulturarbeit auswirkt", sagt Meitzner.

Junge Mädchen lesen russische und deutsche Worte (Foto: Foto: Goethe-Institut)
Deutsch ist eine gefragte Fremdsprache in RusslandBild: Goethe-Institut/Anastasia Tsayder

Laut Michail Schwydkoj wird sich die Regelung nicht gegen die kulturelle Kooperation richten. "Jedes Gesetz wird von Menschen geschrieben und von Menschen angewandt", sagt er.

"Wann, wenn nicht jetzt...?"

Auch und gerade weil die Kultur vom politischen Klima nicht unberührt bleibt, setzt die deutsche Kulturpolitik entschlossen und optimistisch auf den gesellschaftlichen Dialog. Die Veranstaltungen des Jahres hätten sich deshalb vor allem auf die "junge Generation" konzentriert, um Vorurteile abzubauen, betont Meitzner. Und Bolz weist auf die Rekordzahlen von Deutschlernern im Goethe-Institut hin.

Trotzdem klingen an diesem Abend die Worte von Rüdiger Bolz viel mehr nach, als die Schwarz-Weiß Bilder von Thomas Mann in der Ausstellung oder die Lesung von Hans Pleschinski. Bolz sagt, er werde in letzter Zeit oft gefragt, ob die Arbeit des Goethe-Instituts in Russland in der momentanen politischen Situation noch Sinn habe. "Wenn es jetzt nicht Sinn macht, wann dann?", erwidert er mit Nachdruck.