1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Fremd in der eigenen Partei

21. April 2009

Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland wächst stetig. Doch in der Politik sind sie noch kaum vertreten – auch deshalb, weil sie sich oft großen Hürden gegenübersehen.

https://p.dw.com/p/HaLW
Eine Frau mit Kopftuch steht an einer Ampel vor einem Einbahnstraßen-Schild, Quelle: AP
In den Parteien sind die Möglichkeiten von Migranten oft eingeschränktBild: AP

Nach jüngsten Berechnungen des Statistischen Bundesamtes machen Migranten 18,7 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Gut acht Millionen von ihnen haben mittlerweile einen Deutschen Pass und dürfen damit wählen. Allein von den rund zwei Millionen Bundesbürgern mit türkischen Wurzeln dürfen rund 690.000 im Superwahljahr 2009 ihre Stimme abgeben. Die Parteien haben dieses Wählerpotential längst erkannt und und heißen die Zuwanderer willkommen – zumindest offiziell.

Die Vorbehalte bleiben

Der Wirtschaftsinformatiker Cem Demircan, Quelle: dw
Cem Demircan ist seit 1994 Mitglied der SPD VelbertBild: DW

Doch vor allem in den Landes- und Ortsverbänden wird in Sachen Integration und Gleichberechtigung oft mit zweierlei Maß gemessen. Diese Erfahrung hat jedenfalls Cem Demircan von der SPD im nordrhein-westfälischen Velbert gemacht. Obwohl er in Deutschland aufgewachsen ist, betrachten ihn einige seiner Genossen immer noch zuerst als Türken. Nach wie vor muss er sich mit Situationen wie der folgenden auseinandersetzen: "In einer Fraktionssitzung wurde mir ein Flyer entgegen geworfen mit der Frage: 'Was habt ihr da wieder verteilt?' Ich war überrascht: erstens, weil ich ihn nicht verteilt hatte, zweitens, weil ich den Flyer nicht kannte und drittens, weil mir die Organisation unbekannt war." Es handelte sich um das Flugblatt einer offenbar fundamental-islamisch orientierten Vereinigung, die verkündete, dass es nur eine Religion geben könne. "Da wurde mir klar, dass es auch in der SPD Personen gibt, die nicht immer unterscheiden mit wem sie es zu tun haben", erzählt der ambitionierte Politiker fast schon ein wenig frustriert.

Auch wenn die Zahl der türkischstämmigen Abgeordneten in Landesparlamenten und im Bundestag in den letzten fünf Jahren von 50 auf 85 gestiegen ist, haben für den 36-jährigen Velberter Wirtschaftsinformatiker die Ressentiments vor allem gegenüber Migranten muslimischen Glaubens zugenommen. "Ich glaube, dass in den letzten Jahren stärker darauf geachtet wird, welcher Religion man angehört – leider!"

Fragwürdige Bedeutung der Konfession

Fatma Ibrahim-Logemann, CDU Stadträtin in Bergheim bei Köln, Quelle: dw
Fatma Ibrahim-Logemann, CDU Stadträtin in Bergheim bei KölnBild: DW

Ähnliche Erfahrungen hat auch die Stadträtin Dr. Fatma Ibrahim-Logemann aus Bergheim bei Köln gemacht. Die 56-jährige CDU-Politikerin, übrigens die einzige mit ausländischen Wurzeln in der gesamten Bürgervertretung, stammt aus Zypern. Vor 11 Jahren hat sich die bekennende Muslimin den Christdemokraten angeschlossen, nachdem sie zuvor von der Partei umworben worden war. Trotzdem wurde sie bereits mehrfach gefragt, warum sie gerade in eine christlich geprägte Partei eingetreten sei. Doch für die mit einem Deutschen verheiratete Mutter von zwei Kindern war das kein Widerspruch: "Ich denke, das hat mit Religion nichts zu tun." Denn trotz aller Vorbehalte in ihrer Partei gibt es auch viele Christdemokraten im eher ländlich, konservativ geprägten Bergheim, die die Bedeutung ihrer Arbeit erkannt haben. Schließlich fungiert die gelernte Chemikerin als wichtiges Bindeglied der Politik zur wachsenden Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund.

Besonders wichtig ist für engagierte Stadträtin, die sich persönlich als voll integriert bezeichnet, die Eingliederung von Ausländern muslimischen Glaubens. Der weitaus größte Teil von ihnen hat türkische Wurzeln, doch laut einer Studie des Berlin-Instituts ist die türkischstämmige Bevölkerung die am schlechtesten integrierte Einwanderergruppe. Und genau da müssen die Parteien ansetzen, glaubt Fatma Ibrahim-Logemann: "Vielleicht sind sich die Menschen mit Migrationshintergrund nicht bewusst, wie wichtig es ist, in die Politik zu gehen. Ich denke aber, die Parteien haben auch die Pflicht, diese Leute zu gewinnen."

Ausländervertreter sind skeptisch

Müjdat Orhan, Migrantenvertreter im Neusser Stadtrat, Quelle: dw
Müjdat Orhan, Migrantenvertreter im Neusser StadtratBild: DW

Doch viele Ausländervertreter bezweifeln, dass die Parteien tatsächlich den Willen haben, auf Migraten zuzugehen. Zu diesen Kritikern zählt auch Müjdat Orhan von der Migratenvertretung im Neusser Stadtrat. Die wenigen politisch aktiven Migranten würden zumeist in bedeutungslose Parteigremien, die sich nur mit der Integrationsproblematik befassen, abgeschoben, sagt der im Hauptberuf bei einem Autozulieferer angestellte Deutsch-Türke. Wirklich zu entscheiden hätten sie jedoch nichts. Daran änderten auch die wenigen bekannteren Politiker mit Migrationshintergrund kaum etwas: "Das sind nur Ausnahmefälle und wahrscheinlich nur für die Vitrine."

Autor: Frank Gazon

Redaktion: Dеnnis Stutе