1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Politischer Aschermittwoch

Peter Stützle3. März 2006

Eine uralte bayerische Tradition ist in Berlin angekommen: Der politische Aschermittwoch. Das Wahre ist er hier aber nicht. Zu Zeiten der Großen Koalition allerdings auch nicht in Bayern.

https://p.dw.com/p/84CF

Ohne Aschermittwoch kein Karneval, katholischen Jecken ist das bekannt. Im protestantischen Berlin allerdings ist - nach dem Einzug der Bonner 1999 - der Karnevalszug auch ohne Aschermittwoch heimisch geworden. Seit vergangener Woche aber gibt es auch hier den Aschermittwoch - genauer gesagt: den politischen Aschermittwoch. Noch genauer gesagt: Eine Parodie auf den politischen Aschermittwoch, aufgeführt von namhaften deutschen Kabarettisten, an der Spitze Altmeister Dieter Hildebrandt aus Bayern, der Heimat des politischen Aschermittwochs.

In Bayern pflegt man ja eine für Nicht-Bayern durchaus gewöhnungsbedürftige derbe Ausdrucksweise. Die Niederbayern wiederum, sesshaft rechts und ein bisschen auch links der Donau, zeichnen sich durch besondere Derbheit aus. Dem niederbayerischen SPD-Abgeordneten Ludwig Stiegler hat diese Eigenschaft schon manchen Ordnungsruf im Bundestag eingebracht. Stiegler ist das, was man in Bayern in ironischer Anspielung auf die republikanische Tradition der SPD einen "königlich bayerischen Sozialdemokraten“ nennt.

Bratsche und Harfe statt Pauken und Trompeten

In dem Jahr, in dem der politische Aschermittwoch in Berlin angekommen ist, wurden ihm allerdings in Niederbayern die Zähne gezogen. Die neue Große Koalition in der Bundeshauptstadt stand gegen das, was immer den Reiz des politischen Aschermittwochs ausgemacht hat: Die krachledernen Angriffe der Schwarzen auf die Roten und der Roten auf die Schwarzen. Er habe Pauken und Trompeten abgeben müssen und solle sich nun mit Bratsche und Harfe versuchen, klagte Stiegler zu Beginn seiner Rede im Wolferstetter Keller zu Vilshofen. Was hatte dieser üppig ausgeschmückte Brauereigasthofssaal schon an donnernden, von johlendem Beifall begleiteten Reden gehört, vor allem vom jungen Franz Josef Strauß, bevor dieser mit seiner CSU aus Platzgründen ein paar Kilometer donauabwärts in die Passauer Nibelungenhalle zog.

In Vilshofen ist der politische Aschermittwoch vor Jahrhunderten entstanden, aus einem Viehmarkt, zu dem die Bauern aus der weiteren Umgebung nach dem Kirchgang zusammenkamen und auf dem dann die Bauernführer - wie man annehmen darf auch damals schon grobe - Reden gegen die Obrigkeit hielten. Heute gibt es kaum eine Splitterpartei, die nicht am Aschermittwoch in irgendeiner Vilshofener Wirtsstube zusammenkäme, um die Weltrevolution oder die Unabhängigkeit Bayerns auszurufen.

Ein Virus breitet sich aus - der politische Aschermittwoch

Aber - der Auszug der CSU aus Vilshofen war nur der Anfang - inzwischen hat der politische Aschermittwoch längst nicht nur die Grenzen Niederbayerns, sondern ganz Bayerns überwunden. Kurt Beck, der darum kämpft, am 25. März als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden, hat in Rheinland-Pfalz gleich drei Aschermittwochsreden hintereinander gehalten. Das mag insofern gerade noch angehen, als die Pfalz bis 1945 zu Bayern gehörte. Aber selbst im Herzen Preußens breitet sich das Virus aus. Nicht nur die erwähnten Kabarettisten, auch einzelne Berliner Lokalpolitiker hatten in diesem Jahr zum politischen Aschermittwoch geladen. Irgendwie ist so was auch eine Parodie auf den echten politischen Aschermittwoch. Aber das könnte man ja zu Zeiten der Großen Koalition sogar über niederbayerische Aschermittwochs-Kundgebungen sagen.

Ein Mitarbeiter der CSU in München ist übrigens ins Archiv gestiegen, hat sich Filme von Aschermittwochs-Reden von Franz Josef Strauß aus den Jahren der Großen Koalition 1966 bis 1969 angesehen und hat festgestellt, die seien "auch langweilig“ gewesen. Nun müsste man in Berlin ins Archiv steigen und sehen, ob es damals hier auch schon mal Karnevalszüge gab.