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Politischer Jahresauftakt

Wolter von Tiesenhausen11. Januar 2003

Den Jahresbeginn haben die politischen Parteien in Deutschland zu Bestandsaufnahmen genutzt. Unter dem Strich ergibt sich eine weitgehende Übereinstimmung darüber, was Not tut, meint Wolter von Tiesenhausen.

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Die Sozialdemokraten waren nach ihrem knappen Wahlsieg im Herbst in ein tiefes Loch der Enttäuschung gefallen. Ihre Wähler fühlten sich hintergangen und entzogen der Partei ihre Sympathie. Die Folge war ein gravierender Ansehensverlust. Die Partei von Bundeskanzler Gerhard Schröder sank zeitweise unter die 30-Prozent-Marke. Auf den internen Beratungen der Partei- und Fraktionsführung wurde deshalb die Parole ausgegeben, vor allen Dingen Einigkeit zu demonstrieren und jeden Streit untereinander zu vermeiden. Dem unterwarf sich auch der linke Parteiflügel, der vorher noch erhebliche Zweifel am Kurs von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement angemeldet hatte.

Die jetzt mitgetragenen Politik sieht eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, die vor allem dem Mittelstand und den Existenzgründern zu Gute kommen sollen. So will die Bundesregierung Buchführung und Besteuerung für jene erleichtern, die sich selbständig machen. Durch großzügige Kreditkonditionen soll eine noch zu gründende staatliche Bank mittelständischen Unternehmen unter die Arme greifen. Man will Bürokratie abbauen und die starre deutsche Handwerksordnung aufbrechen. Clement hofft, auf mittlere Sicht die Steuer- und Abgabenbelastung auf 40 Prozent drücken zu können.

Genau das gleiche Ziel verfolgen die Christdemokraten. Auch sie wollen die Wirtschaft entlasten und hoffen so, Kräfte für eine neuen Aufschwung freisetzen zu können. Ihr gescheiterter Kanzlerkandidat, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, erklärte sich deshalb auch bereit, mit der rotgrünen Bundesregierung zusammenzuarbeiten und die eigene Mehrheit in der zweiten Kammer, dem Bundesrat, nicht zur Blockade einzusetzen. Gebunden ist diese Zusage natürlich daran, daß die Vorlagen der Regierung mit den politischen Zielen der Union übereinstimmen.

Diese Kooperationsbereitschaft der Opposition hat gute Gründe. In drei Wochen werden in zwei Bundesländern, in Hessen und in Niedersachsen, neue Landtage gewählt. In beiden Fällen haben die Christdemokraten - zumindest nach den Umfragen - Chancen, eine Mehrheit zu gewinnen. Würde nicht nur Hessen - dort regiert die Union schon jetzt - sondern auch noch Niedersachsen gewonnen, würde der Einfluss im Bundesrat noch dominanter. Das aber könnte dem in der Regel auf Ausgleich bedachten Wähler missfallen. Deshalb die versöhnlichen Töne nicht nur aus Bayern, sondern auch von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel.

Auch bei ihrem grünen Koalitionspartner können die Sozialdemokraten mit Unterstützung rechnen. Dort ist man sogar noch eher bereit, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik auf die Christdemokraten zuzugehen. Vor allem bei der dringend notwendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und der Union. Hier ist es der Gewerkschaftsflügel der SPD, der sich gegen Neuerungen stemmt und am derzeitigen sozialen Besitzstand festhalten will.

Bleiben noch die Liberalen, die seit jeher der Entlastung der Wirtschaft das Wort reden und dem Bürger mehr Eigenverantwortung bei der Absicherung sozialer Risiken geben wollen. Allerdings sind die Freien Demokraten untereinander zerstritten, wie sie sich in Zukunft dem Wähler präsentieren wollen: als kleine Volkspartei in der Hoffnung, so zumindest zweistellige Ergebnisse erringen zu können, oder als kantiger Vertreter der reinen liberalen Lehre, der sich auf das traditionelle Wählerreservoir konzentriert. Spätestens nach den Wahlen in Hessen und Niedersachsen werden Entscheidungen unumgänglich.