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Politspektakel mit weitreichender Agenda

Hans Spross4. März 2016

Chinas Volkskongress wird einen neuen Fünfjahresplan verabschieden. Kann die KP-Führung einen überzeugenden Plan für nachhaltiges Wachstum und die dafür nötigen Reformen vorlegen? Die Hürden sind hoch.

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Begrüßung zum 12. Nationalen Volkskongress 2014 (Foto: picture-alliance/dpa/Chinafotopress)
Bild: picture-alliance/dpa/Chinafotopress

Wie kann China seine Entwicklungskonzepte, mit mehr Innovation, mit "grüner Entwicklung", mit weiterer Öffnung, umsetzen? Wie kann China wirtschaftliches Wachstum auf mittlerem Niveau und die allgemeine Verbesserung des Lebensstandards gewährleisten? Wie können die politischen Vorgaben der Zentralregierung mit dem Ziel des Aufbaus einer Gesellschaft von "moderatem Wohlstand" umgesetzt werden?

Gute Fragen, die nicht nur China, sondern naturgemäß die ganze Welt beschäftigen. Wenn man nur die Antworten wüsste! Dann wäre nicht nur die KP-Führung um Xi Jinping beruhigt, sondern auch ausländische Regierungen und Unternehmen, die allesamt (außer Hedge-Fonds) kein Interesse an Markt- und Währungsturbulenzen haben, und schon gar nicht an einer Schwächung Chinas mit möglicherweise gefährlichen außenpolitischen Folgen, etwa in Form eines aggressiven Nationalismus oder von Alleingängen bei der Klimapolitik.

Chinesische Arbeiter in einer Fabrik für Stahlröhren in Xinjiang (Foto: picture-alliance//Imaginechina)
China hat mehr Stahlkapazitäten als die gesamte Produktion Deutschlands, Japans und der USABild: picture-alliance/Que hure/Imaginechina

"Die Welt wird die Antworten bekommen", verkündete Chinas zentrales staatliches Fernsehen (CCTV) wenige Tage vor der Sitzung des Nationalen Volkskongresses, zu der sich rund 3000 Delegierte aus allen Landesteilen von Samstag an in der Großen Halle des Volkes Peking für etwa anderthalb Wochen einfinden werden. "Antworten" dürfte etwas hoch gegriffen sein, aber man darf auf die Schwerpunkte für die nächsten fünf Jahre gespannt sein.

Große Bühne und Nebenschauplätze

Schwerpunkte, die - wie immer - schon zuvor durch die KP-Führung festgelegt wurden; aber für ihre detaillierte und medienwirksame Veröffentlichung dient eben die Bühne des "größten Polit-Spektakels" des Landes, als welches die Hongkonger "South China Morning Post" (SCMP) die alljährliche NVK-Sitzung bezeichnet.

Zu dem Spektakel gehört auch - maßvoller - Widerspruch aus den Reihen der zum Abnicken der Vorlagen entsandten Delegierten. So hatten laut SCMP in den vergangenen NVK-Sitzungen die Arbeitsberichte des Obersten Volksgerichtshofs und der Obersten Volksstaatsanwaltschaft die meisten ablehnenden Stimmen erhalten, jeweils deutlich über 200.

Beobachter werden versuchen, aus den diesjährigen Reaktionen auf die Berichte der Justiz Schlüsse darüber zu ziehen, wie Xi Jinpings Anti-Korruptionskampagne, das Markenzeichen seiner bisherigen Amtszeit, an der Basis ankommt. Nur wenige Nein-Stimmen auf dem Kongress könnte aber auch bedeuten: Die Funktionäre sind so eingeschüchtert, dass sie sich nicht trauen.

Vertreter einer ethnischen Minderheit mit traditioneller Mütze neben Xi Jinping beim Volkskongress 2014 (Foto: Reuters)
Anliegen der Minderheiten stehen auf der Volkskongress-Agenda nicht weit obenBild: Reuters

Nach "Kampagnen" ein Regierungsprogramm

Die Anti-Korruptionskampagne sei eben das, eine Kampagne, sagt Politologe Wu Qiang von der Tsinghua-Universität. Entscheidender sei aber der neue 13. Fünfjahresplan Xis, sein "erstes echtes Regierungsprogramm", so Wu gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Und die bestimmende Frage ist ihm zufolge, "ob Xi sich dabei auf die Industrie und Unternehmer konzentrieren, oder ob der Fokus auf der wirtschaftlichen Unterstützung der Bevölkerung liegen wird."

Was die chinesische Führung im Bereich der Wirtschaft anpacken will, zirkuliert schon seit längerem in Form von griffigen Formeln und Schlagwörtern: eine angebotsorientierte Wirtschaft, also Wachstum durch Innovation und Produktivität anstatt durch staatliche Konjunkturprogramme, Steigerung von Konsum und Dienstleistungen anstelle des Exports von Massenprodukten, und vor allem der Abbau von lähmenden Überkapazitäten in der Industrie.

Li Keqiang und US-Finanzminister Jacob Lew in Peking (Foto: Reuters/W. Hong)
Chinas Chefplaner, Ministerpräsident Li Keqiang, erläutert US-Finanzminister Jack Lew "Supply side economics mit chinesischen Merkmalen"Bild: Reuters/W. Hong

Reformstau

Eine gewaltige Aufgabe, wegen der vielen strukturellen Widerstände, wie Stefanie Schmitt vom Informationsdienstleister Germany Trade and Invest (GTAI) in Peking gegenüber der DW erläutert: "Alle diese Problem-Branchen sind dadurch geprägt, dass sie staatlich sind, auf verschiedenen Ebenen, national, Provinzen, Kreise. Diese lokalen Einheiten haben kaum Interesse daran, Schließungen vorzunehmen. Da ist China heute viel verkrusteter als zu Zeiten von Zhu Rongji [Ministerpräsident von 1998-2003, Anm.d.Red.], der mit seinen Reformen des Staatsektors relativ erfolgreich war."

Die lokalen Verwaltungen stünden "mit dem Rücken zur Wand", meint Stefanie Schmitt. "Sie haben keine eigenen Einnahmen außer eben diesen staatlichen Unternehmen, soweit da überhaupt etwas fließt. Auch aus Landverkäufen kann man nicht mehr so viel herausholen, weil man schon viel Land verkauft hat, und weil der Bausektor nicht mehr floriert." Die Beobachterin der chinesischen Wirtschaft meint, dass sich ohne eine Finanz- und Steuerreform, die den lokalen Körperschaften eigene Einnahmen garantiert (und zwar nicht durch Anleihen, die ja wieder zurückgezahlt werden müssen), wenig bei der Reform der Staatsbetriebe tun werde.

Streik in einer Schuhfabrik in Dongguan (Foto: Zhang Zhiru)
Auch die vielen Arbeitskämpfe und Demos lassen Chinas Führung vorsichtig agierenBild: Zhang Zhiru

Parteidisziplin über alles

Es sind nicht nur diese materiellen Partikularinteressen, die sich einer Reform des Staatssektors entgegenstemmen. Was ist aus der großen Ankündigung vom "3. Plenum des 18. Parteitages" vom November 2013 geworden, wonach "Marktkräfte eine entscheidende Rolle" in der chinesischen Wirtschaft spielen sollen? Zu diesem Thema sagte vor kurzem Sebastian Heilmann, Direktor des Berliner China-Forschungsinstituts Merics, gegenüber Deutschlandradio Kultur: "Im Grunde sind die Märkte natürlich willkommen, solange sie nicht die gesellschaftliche und politische Stabilität stören. Ansonsten muss uns schon klar sein, dass unter der gegenwärtigen politischen Führung die politische Kontrolle und politische Stabilität absoluten Vorrang gegenüber abstrakten Marktprinzipien oder Korrekturen durch Wettbewerb haben."

Urteilsverkündung in chinesischem Gericht mit Angeklagtem zwischen zwei Polizisten (Foto: Reuters)
Die Anti-Korruptionskampagne ist neben der verschärften Zensur das Markenzeichen der Ära Xi JinpingBild: Reuters/Langfang Intermediate People's Court

Beim seinem Amtsantritt 2012 sei Xi mit einer schweren Krise in der Führung der KPCh konfrontiert gewesen, mit Machtkämpfen und möglicherweise sogar Putschvorbereitungen, sagt Heilmann. Von daher rühre der Primat des Zusammenhalts und der Disziplinierung der Partei (Stichwort Anti-Korruptionskampagne) in der Ära Xi Jinping. "Und das hat Kosten. Denn viele rühren sich nicht mehr, viele ducken sich weg, viele wagen keine riskanten Entscheidungen mehr zu treffen. Insofern ist dieses System wesentlich schwerfälliger, wesentlich restriktiver als alles, was wir in den 25 Jahren davor gesehen haben."

Außenpolitisch wird Kurs gehalten

Ob die Volkskongress-"Beschlüsse" neuen Wind in Chinas Wirtschaftspolitik lenken oder sogar zu deutlichen Kurskorrekturen führen, wird von vielen Beobachtern also skeptisch beurteilt. Erwarten darf man dagegen, dass der zupackend-expansive Kurs, den Xi bei der Modernisierung der Armee, bei Chinas Territorialansprüchen im Südchinesischen Meer und beim Projekt maritimer und kontinentaler "neuer Seidenstraßen" eingeschlagen hat, bestätigt und bekräftigt wird.