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Grüner Rock und weiße Weste

31. März 2011

Von der Verkehrsregelung bis zur Massenexekution - sie taten angeblich nur ihre Pflicht: Deutsche Polizisten im Nationalsozialismus. Eine Ausstellung zeigt jetzt: Dies war nur eine Ausrede.

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Tschako für Wachtmeister der Schutzpolizei in der NS-Zeit zwischen 1935 und 1945; Copyright: DHM
Tschako für Wachtmeister der Schutzpolizei in der NS-Zeit zwischen 1935 und 1945Bild: DHM

Sie kamen aus der Mitte der Gesellschaft: einfache Handwerker, kleine Angestellte, mittlere Beamte, Kaufleute. Sie waren Familienväter, feierten mit Freunden, fuhren in Urlaub, hatten private Interessen - ganz normale Männer eben. Und doch wurden sie zu Handlangern des Völkermords im Namen einer menschenverachtenden Ideologie: Polizisten im Nationalsozialismus.

Einer wie Julius Wohlauf zum Beispiel, 1913 in Dresden geboren, der nach dem Abitur und einer kaufmännischen Lehre Parteimitglied wurde und es vom Wachtmeister bis zum Befehlshaber eines Reserve-Polizeibataillons brachte, das in Polen für Deportationen und Massenerschießungen von Juden verantwortlich war. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Vertreter für ein Elektrounternehmen, dann wurde Wohlauf anstandslos wieder in die Reihen der Hamburger Polizei übernommen, sogar zum Abteilungsleiter befördert. Seine Karriere nimmt 1963 ein abruptes Ende, als gegen ihn wegen Mordes ermittelt wird. 1968 verurteilt ihn ein Schwurgericht zu acht Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zum Mord an 9200 Menschen.

Unbequeme Wahrheiten
Plakat der Ausstellung 'Ordnung und Vernichtung'
Das Plakat der Berliner Ausstellung

Wohlauf ist einer von vielen, über die man sich in der Ausstellung "Ordnung und Vernichtung – Polizei im NS-Staat" informieren kann, die im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen ist. Erstmals widmet sich damit ein deutsches Museum diesem düsteren Kapitel. Mehr noch: Die Hochschule der Polizei, heute zuständig für die Ausbildung junger Polizeibeamter, ist als Partnerin mit dabei. Und die Innenminister des Bundes und der Länder tragen die Projektkosten in Höhe von 1,3 Millionen Euro.

Eine Institution stellt sich ihrer Geschichte. Nicht nur aus Archiven und Museen, auch aus einzelnen Dienststellen wurden Dokumente, Informationen und Exponate zusammen getragen. "Dies ist eine bewusste Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit", sagt Klaus Neidhart, Präsident der Hochschule.

Polizei im Dienst des Terrors

Zu sehen sind Aktenschränke mit Karteikarten, Polizeiberichte, erkennungsdienstliche Apparaturen, Fotos, Briefe, Zeitungsausschnitte, Flugblätter, Dienstausweise, Uniformen, Alltagsgegenstände. Sie demonstrieren: Die Polizei war eine zuverlässige Stütze der NS-Diktatur, loyal bis zum Untergang des "Reiches", zuständig für den Luftschutz oder die Bewachung von Zwangsarbeiterlagern ebenso wie für das Aufspüren politischer Gegner - eine Terrorinstitution zur Überwachung, Verfolgung und Ermordung Hunderttausender Menschen.

Und als der Krieg immer unerbittlicher wurde, als die Wehrmacht 1941 die damalige Sowjetunion überfiel, haben Polizisten mitgemacht beim Völkermord an den osteuropäischen Juden, haben echte oder angebliche Partisanen verfolgt, Ghettos aufgelöst, Transporte bewacht, unschuldige Zivilisten brutal ermordet. Auf vielen Fotos sieht man die Polizisten lächelnd und mit zufriedenen Gesichtern ihre grausamen Taten vollbringen. Und nicht immer konnten sie sich auf einen Befehl "von oben" berufen. "1941 in Bialystok zum Beispiel jagten Polizisten Juden, darunter Frauen und Kinder, in die Synagoge und zündeten das Gebäude an, wer fliehen wollte, wurde erschossen", berichtet Kurator Martin Hölzl.

Mitarbeiter der Kriminalpolizei im NS-Ghetto Lodz; Copyright: Warschau, Zydowski Instytut Historyczny
Mitarbeiter der Kriminalpolizei im NS-Ghetto LodzBild: Warschau Zydowski Instytut Historyczny
Die Motive der Täter

Was hat biedere Familienväter damals zu Beteiligten am Massenmord gemacht? Historiker Hölzl nennt ein Bündel von Motiven: Der Polizeiberuf habe sicheres Einkommen, gesellschaftliche Anerkennung und Respekt garantiert. Polizisten wurden vom Fronteinsatz verschont. Damit sei ihre Überlebenschance deutlich größer gewesen als die der Wehrmachtssoldaten. Warum sie bereit waren, schwerste Verbrechen zu begehen – auch dazu findet die Ausstellung verschiedene Antworten: Gehorsam, Gruppendruck, Korpsgeist, aber auch ideologische Gründe, Verrohung und Routine. Manche hätten sich an den Hinterlassenschaften der Opfer persönlich bereichert. Andere seien einem perversen beruflichen Ehrgeiz gefolgt.

Viele Vollstrecker, nur wenige Verweigerer

"Einen sogenannten Befehlsnotstand freilich hat es nie gegeben", sagt der Polizeihistoriker und Projektleiter Detlef Graf von Schwerin. Es gebe nirgendwo einen Beleg dafür, dass die Weigerung, an einer Massenexekution teilzunehmen, sich nachteilig für den Betroffenen ausgewirkt hätte. Aber nur ganz wenige haben es gewagt, sich Befehlen zu widersetzen. Die Polizeiführung hingegen machte sich stets Sorgen um das Wohlbefinden der Mordschützen und sorgte dafür, dass danach ausreichend Alkohol für den geselligen Abend bereit gestellt wurde.

Und nach dem Krieg? Da wurden Uniformen umgefärbt, Hakenkreuze von Stempeln entfernt, Legenden gestrickt, Netzwerke alter Kameraden geknüpft: Die Polizisten durften weiter Polizisten oder etwas anderes sein. Erst Ende der 1950er Jahre kam die juristische Aufarbeitung schleppend in Gang. Es gab wenige Verurteilungen. Man könne nicht ohne die Fachkenntnisse der Polizei, hieß es großzügig – Detlef Graf von Schwerin findet diese These zu simpel. "Niemand war gezwungen, Mörder einzustellen." Sicher habe es zu wenige zuverlässige Informationen gegeben. Dennoch: "Es fehlte der Willen zu einem echten Neuanfang." Mehr als sechs Jahrzehnte danach widmen sich nun Polizei und deutsche Gesellschaft dem lange tabuisierten Thema. Manche finden, es sei dafür viel zu spät.

Autorin: Cornelia Rabitz

Redaktion: Sabine Oelze

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