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Polnische Medien auf der Anklagebank?

21. November 2003

- Will die Politik den Journalisten den Mund verbieten?

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Warschau, 21.11.2003, NEWSWEEK POLSKA, poln.

Die Menschen schenken heute den Medien mehr vertrauen als den Polizisten oder den Staatsanwälten. Wenn man den Polen das Vertrauen in die Journalisten wegnehmen würde, dann würde man ihnen auch die letzte Hoffnung wegnehmen.

Ein Saal am Sitz der Polnischen Journalistenvereinigung (SDP) in Warschau in der vergangenen Woche: An einem Tisch sitzen Journalisten verschiedener Zeitschriften, Staatsanwälte und Richter. Sie wurden so hingesetzt, dass der Anschein nicht entstehen soll, dass sie zu zwei verfeindeten Gruppen gehören. Sie sprechen aber trotzdem zwei verschiedene Sprachen, als ob sich zwei verschiedene Nationen getroffen hätten.

So lautet die Geschichte, die in diesem Saal erzählt wurde: Die Tageszeitung "Superexpress" stellt die Namen von zwei Leuten fest, die der Pädophilie verdächtigt werden. Alles deutet darauf hin, dass sie eine Videokassette mit Kindern aufgenommen haben. Die Zeitung beginnt damit, die Staatsanwaltschaft und die Polizei darüber zu informieren. Es vergehen jedoch Wochen und es geschieht nichts. Dann werden die Namen der Verdächtigen in der Zeitung veröffentlicht, die daraufhin die Staatsanwaltschaft und die Polizei einschalten. Dann häufen sich die Reaktionen in einem sehr schnellen Tempo: Der Chefredakteur der Zeitung wird als Verdächtiger festgenommen und seine Fingerabdrücke werden genommen. (...)

Juristische Schritte gegen die Pädophilen werden zwar auch unternommen, aber bisher ist die Justiz nicht einmal imstande, eine Stimmenuntersuchung durchzuführen, durch die die Schuld des einen Verdächtigen zu beweisen wäre. (...)

Das ist eine wahre Geschichte aus den letzten Wochen. Eine Geschichte wie aus einem amerikanischen Film von Sydney Lumet, der die Machtlosigkeit der normalen Menschen gegenüber der Justiz zeigte. In den Filmen waren jedoch die normalen Menschen die Machtlosen und nicht die Journalisten.

In diesem Falle bedeutet jedoch die Niederlage einer Zeitung die Niederlage der ganzen Berufsgruppe und der ganzen Gesellschaft. (...)

Die Pressesprecherin der Appellationsstaatsanwaltschaft, Malgorzata Wilkosz-Sliwa antwortet, dass die Staatsanwälte nach den Gesetzen handeln müssen und dass allein die Anzeige eines Verbrechens dem "Geschädigten" (d. h. dem in dem Zeitungsartikel erwähnten Verdächtigen) ausreicht, um juristische Schritte zu unternehmen. (...)

Dann fragte sie direkt: "Wollt ihr Journalisten euch über das Recht stellen? Diese Frage ist insofern wichtig, als danach die einzelnen Puzzleteile beginnen, ein größeres Bild darzustellen: Diese Geschichte hat keinen politischen Charakter. In letzter Zeit gab es aber eine eindeutige Direktive der Politiker der Partei SLD (Bündnis der Demokratischen Linken), die sagten, dass es mit dem Durchsickern von Informationen ein für allemal reicht. Das geschah, nachdem eine weitere Korruptionsaffäre um Politiker durch Journalisten ans Tageslicht gebracht wurde.

Dann stießen verschiedene Geschichten um Journalisten wie Pilze aus dem Boden: Eine junge Journalistin von der Zeitung "Zycie Warszawy" wird angeklagt, weil sie versuchte, die Ausdrucke der Telefongespräche der Ministerin Jakubowska zu beschaffen, die bei der Korruptionsaffäre um Lech Rywin eine bedeutende Rolle spielt. Der Chefredakteur der Zeitung "Rzeczpospolita" wird angeklagt, weil er einen Text des Richters eines Woiwodschaftsgerichtes nicht veröffentlichen wollte, der von diesem Richter als "Gegendarstellung" bezeichnet wurde...

Nein, wir möchten uns auf keinen Fall über das Recht stellen, aber man kann gegenüber dem polnischen Recht grundsätzliche Zweifel haben. Man könnte z. B annehmen, dass eine Klage von zwei beleidigten Pädophilen, oder eine Klage eines beleidigten vorsitzenden Richters im Rahmen von Zivilprozessen und nicht unter Beteiligung von Staatsanwälten und Polizisten verhandelt werden kann. (Sta)