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Populisten "Wahre Finnen" bewirken Erdrutsch

18. April 2011

Die Parlamentswahl in Finnland hat dem Land einen Rechtsruck gebracht. Die konservative Nationalpartei wurde knapp stärkste Partei. Großer Gewinner ist die rechtspopulistische und Euro-skeptische Partei "Wahre Finnen".

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Timo Soini blättert in einer finnischen Zeitung (Foto: dapd)
Informiert sich über seinen Wahlsieg: Rechtspopulist Timo SoiniBild: dapd

So etwas hat es in Finnland noch nie gegeben: Die drei stärksten Parteien im Regierungs- bzw. Oppositionslager verloren deutlich. Und die kleine, vor vier Jahren erstmals mit sechs Abgeordneten ins Parlament gekommene Protestwählerpartei "Wahre Finnen" gewinnt hoch. Mit 39 Abgeordneten im 200-köpfigen Parlament schloss sie zu den drei klassischen größeren Parteien Zentrum, Konservative und Sozialdemokraten auf, die jeweils etwa 20 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinten. Lediglich die Interessenvertreter der schwedisch sprechenden Bevölkerungsminderheit hielten ihre zehn Mandate.

Dritter Platz nach zwischenzeitlicher Führung

Bei einer Zwischenzählung vorübergehend sogar auf dem ersten Platz, musste die Partei des 48-jährigen Populisten Timo Soini beim Endspurt lediglich die Konservativen und Sozialdemokraten an sich vorbeiziehen lassen.

Mari Kiviniemi wischt sich am Auge Foto: dapd)
Muss abtreten: Mari KiviniemiBild: dapd

Mit Genugtuung stellte Soini fest, dass die bisher stärkste Partei, die aus der Agrarunion hervorgegangene Zentrumspartei, lediglich den vierten Platz erreichte. Der 42-jährigen Mari Kiviniemi, die vor knapp einem Jahr ihren glücklosen Parteifreund Matti Vanhanen als Regierungschefin ablöste, gelang es trotz intensiver Bemühungen nicht, die Zentrumspartei - die seit Kriegsende die mit großem Abstand längste Regierungszeit aufzuweisen hat - aus dem Tief zu befreien.

Denkzettel der Wähler

José Manuel Barroso (l.) und Jyrki Katainen (Foto: dapd)
Als Regierungschef wird Jyrki Katainen (r.) wohl demnächst mit Barroso über den Euro sprechenBild: AP

Die Vollblutpolitikerin wird es in den kommenden vier Jahren als Chefin der stärksten Oppositionspartei schwer haben, verlorenen Boden wieder gutzumachen. Wie von den klassischen drei Parteien beim Endspurt mit konstanten Prognosen zugunsten der "Wahren Finnen" befürchtet, hilft das alte Modell nicht mehr, zwei der Parteien mit der Regierungsverantwortung zu betrauen, während die drittplazierte als größte Oppositionspartei fungierte.

Wenn, wie zu vermuten ist, die Protestwählerpartei in eine Dreier-Koalition aufgenommen wird, hätte diese Koalition mit 125 der 200 Parlamentssitze eine starke Mehrheit. Obwohl der amtierende Außenminister Alexander Stubb von der konservativen Sammlungspartei noch kurz vor Bekanntwerden der ersten Hochrechnung sagte, eine Verbesserung vom achten auf einen der vordersten Plätze sei kein Sieg, ist der Europa-Abgeordnete Soini der eindeutige Gewinner der finnischen Parlamentswahl.

Wahlkampfthema "Euro-Rettungsschirm"

Wähler im Wahllokal (Foto: AP)
Viele wählten die "Wahren Finnen"Bild: AP

Weil genau das von den Vertretern der klassischen Parteien befürchtet worden war, hatten sie es während des Wahlkampfs unterlassen, Soini in die rechte Ecke neben Populisten in Mitteleuropa zu stellen. Es hätte auch einen Bruch der finnischen Tradition bedeutet, im Wahlkampf fair miteinander umzugehen. Soini bedankte sich indirekt mit dem Hinweis, dass seine bisherige Minifraktion im Reichstag zwischen Sozialdemokraten und Zentrum saß.

Seine "wertkonservative Arbeiterpartei" artikulierte die Sorgen vieler Wähler um die Auswirkungen der Euro-Krise sowie um geplante Steuererhöhungen. In diesem Punkt traf er den Nerv vieler Finnen, auch den bisheriger Nichtwähler. Finnland hat sich, wie sonst nur noch Luxemburg, von Anfang an strikt an die Euro-Kriterien gehalten und glänzte mit einem ausgeglichenen Staatshaushalt. Deshalb halten viele Finnen nicht viel vom Euro-Schutzschirm für Griechenland, Irland und Portugal, "die nicht rechnen können".

Vorwurf: Ausländerfeindlichkeit

Dem Vorwurf, Soini und seine Partei sei gegen Asylanten, entgegnet der gläubige Christ, dass er als Katholik die Probleme von Minderheiten kenne und beachte. Von den 5,3 Millionen sind mehr als 90 Prozent evangelisch, etwa 75.000 gehören der griechisch-orthodoxen Religion an, nur 3000 sind Katholiken.

Diese Wahl hat ein weiteres Mal gezeigt, dass Protestbewegungen stets mit großer Verspätung und abgemildert aus Mitteleuropa nach Finnland kommen. Das war schon bei den Grünen so und gilt jetzt auch für den Erfolg der "Wahren Finnen".

Grüne in Finnland profitieren nicht von der Atomdebatte

Ein finnisches Atomkraftwerk mit zwei fertigen Reaktoren und einem im Bau befindlichen Reaktor (l.) (Foto: DW-TV)
Neue Reaktoren sind im BauBild: DW-TV

In Mitteleuropa mag es überraschen, dass die Atomkatastrophe in Japan die finnischen Grünen nicht stärkte. Schließlich gab es in Deutschland bei den Landtagswahlen in Deutschland Ende März große Gewinne für die Atomkraftgegner. So wurden die Grünen in Baden-Württemberg zweitstärkste Partei und stellen wahrscheinlich den Ministerpräsidenten. In Finnland dagegen verloren die Grünen ein Drittel ihrer bisherigen 15 Mandate.

Nach dem Votum des Reichstags im Vorjahr für den Bau eines sechsten und siebten Reaktors dominiert nach wie vor das Interesse der Finnen an einer Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen gegenüber der Sorge über die nicht zu garantierende absolute Sicherheit vor Katastrophen.

Autor: Dr. Siegfried Löffler, Helsinki
Redaktion: Marion Linnenbrink