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Populistisches Wahl-Manöver der Konservativen?

Baha Güngör 8. Januar 2004

CDU und CSU wollen eine mögliche EU-Mitgliedschaft der Türkei zu einem Wahlkampfthema bei der Europawahl im Juni machen. Die Türken fühlen sich brüskiert. Zu Recht?

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Nun ist es offiziell: CDU und CSU wollen die Türkei zum Wahlkampf-Thema machen. Damit erweisen sie der europäischen Sache einen Bärendienst, denn eine Versachlichung der Debatte über eine türkische EU-Mitgliedschaft oder auch nur einer "privilegierten Partnerschaft" ist nun in Deutschland nicht mehr zu erwarten: Wahlkampfarenen waren noch nie Orte nüchterner Diskussionen.

Verletzend für Türken

Viele Türken dürften das Vorhaben der Unionsparteien als verletzend empfinden - ebenso die Tatsache, dass der Widerstand gegen einen türkischen EU-Beitritt ausgerechnet aus Deutschland kommt, wo rund 2,5 Millionen Türken leben. Über die deutsche Wiedervereinigung hatte man sich in der Türkei ehrlicher als in manchen europäischen Nachbarländern gefreut. Ankara gehörte damals auch zu den ersten Gratulanten.

Und noch etwas scheint verdrängt zu werden: Die Türkei hat als NATO-Staat bereits seit 1952 sehr wichtige Beiträge zur Aufrechterhaltung westlicher Werte und Normen in einer instabilen Region geleistet. Und sie hat seinerzeit als einziges westliches Land mit direkten Grenzen zur Sowjetunion als Bollwerk gedient.

Türken sind realistisch

Die Türkei ist sich bewusst, dass sie auf absehbare Zeit nicht mit einem Beitritt zur Europäischen Union rechnen kann. Ihr geht es vorrangig darum, die europäische Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren. Mit diesem Ziel will sie einen Termin für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erwirken. Gelingt dies nicht, droht auf türkischer Seite - bei Eliten und in der Bevölkerung - eine Abkühlung gegenüber den Werten und Idealen der EU und ein Abdriften weg von Europa. Dies kann nicht im europäischen Interesse liegen.

Türkei als EU-Mitglied?
Türkei als EU-Mitglied?

Das Risiko ist groß, dass in Europa ein neues pauschales Negativ-Bild der Türkei entsteht - auch wenn CDU/CSU dies erklärtermaßen nicht anstreben. Ebenso unbeabsichtigt könnte - mehr als ein Jahrzehnt nach den Anschlägen auf Türken in Solingen und Mölln - in einer überhitzten Debatte über Ankaras Zugehörigkeit zu Europa auch Femdenfeindlichkeit einen neuen Schub erhalten.

Fragwürdiges Signal

Auch integrationspolitisch setzten die Unionsparteien ein mehr als fragwürdiges Signal: Wie kann man die seit Jahrzehnten in Deutschland oder anderen europäischen Ländern lebenden Türken zu einer besseren Integration auffordern, wenn ihnen gleichzeitig signalisiert wird: 'Ihr Türken gehört nicht zu uns!'?

Dabei waren es, angeführt vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, führende Unionspolitiker, die die Türkei in den 80er nach dreijähriger Militärherrschaft wieder hoffähig in Europa machten - trotz aller Kritik an der Menschenrechtslage, an demokratischen und wirtschaftlichen Defiziten.

Sehnsucht nach Europa ist schon alt

Man sollte nicht vergessen: Die Türkei hat sich historisch schon vor Gründung der Republik 1923 an Europa orientiert. Das war, dies nur ganz nebenbei bemerkt, zehn Jahre vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland. Nun erscheint es vielen Türken, als sollte das Land, das seinerzeit zahlreichen verfolgten deutschen Intellektuellen und Wissenschaftlern Zuflucht vor den Nazis bot, ausgerechnet von deutschen Politikern zum Schmuddelkind Europas deklariert werden. Und dies nur aus Wahlkampf-Populismus.