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Viele Probleme - wenig Kritik

Barbara Wesel 27. August 2015

Die anhaltenden Kämpfe im Osten der Ukraine beunruhigen Europa, wie auch die desolate Wirtschaft und die anhaltende Korruption. Aber die EU meidet bei Poroschenkos Besuch in Brüssel klare Worte. Von dort Barbara Wesel.

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BelgienTreffen Poroschenko und Juncker Brüssel
Bild: Reuters/Y. Herman

Die gute Nachricht aus Kiew kam rechtzeitig zum Treffen in Brüssel: Finanzministerin Natalia Jeresko verkündete, dass die Gläubiger des Landes einen Schuldenschnitt von 20% akzeptiert hätten. "Ich bin sehr erfreut über diese Entwicklung", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu bei seiner Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten, denn diese Einigung schaffe der Ukraine auch die Möglichkeit für weitere Reformen. Jedenfalls ist damit der Weg frei für neue Kredite des IWF für die am Rand der Staatspleite lavierende Ukraine. Der Weltwährungsfonds hatte eine erfolgreiche Umschuldung zur Vorbedingung gemacht. Die soll nun Ende Oktober abgeschlossen werden.

Aber damit ist bei weitem nicht alles gut, denn die Basisdaten sind nach wie vor miserabel: Die Wirtschaft dürfte in diesem Jahr um rund 9% schrumpfen – das ist fast doppelt so viel wie der IWF prognostiziert hatte. Und die geforderten Wirtschaftsreformen treffen die Bevölkerung hart: Die Inflation liegt bei 55%, die Lebensmittelpreise stiegen zuletzt um die Hälfte, die bislang subventionierten Gaspreise um ein Vielfaches. Und internationale Beobachter kritisieren, dass die Korruption in der Ukraine nach wie vor blühe und die Herrschaft der Oligarchen ungebrochen sei.

Visafreier Reiseverkehr ab 2016

Keine Rede von den Problemen beim Reformprozess als Poroschenko und Juncker vor die Presse treten: Der Kommissionspräsident betonte ausführlich die enge Freundschaft zum ukrainischen Präsidenten und versprach, angesichts der "enormen Reformfortschritte" könne man sicherlich schon Anfang 2016 zu dem erwünschten visafreien Reiseverkehr mit der Ukraine kommen. Und sein "bester Freund aus Kiew" verwies wiederum auf die laufende Verfassungsreform, die hoffentlich schon Anfang nächster Woche durch die Abgeordneten bestätigt werde. Darin enthalten ist u.a. die geforderte Dezentralisierung des Landes, die den Regionen mehr Selbstbestimmung verleihen soll.

In dem Zusammenhang verteidigte Poroschenko auch, dass er in der Ostukraine bisher keine Regionalwahlen abhalten ließ: Die sollten Ende Oktober zusammen mit den Wahlen in den übrigen Regionen stattfinden – wenn bis dahin ihre Sicherheit und demokratische Regeln gewährleistet werden könnten. Überhaupt, rechtfertigte sich der ukrainische Präsident einmal mehr, tue er alles zur Einhaltung des Minsker Abkommens. Andauernde Verstöße gegen den Waffenstillstand gingen allein von Russland aus, und der gestern von der Kontaktgruppe vereinbarte neue Waffenstillstand für den 1. September könne von ihm aus sofort anfangen.

Grenze Ukraine Slowakei
Grenze zwischen Ukraine und Slowakei - bald visafreies Reisen?Bild: DW/Natalia Zotova

Harms: Europa sollte offener mit Ukraine umgehen

Die stellvertretende Fraktionsführerin der Grünen im EP ist auch deren Ukraineexpertin: Rebecca Harms hat in diesem Sommer erneut das Land besucht und plädiert für einen offeneren Umgang der EU mit den Problemen im Land: "Wir müssen trennen zwischen der Einhaltung des Minsker Abkommens und dem Reformprozess. Und dabei ist es wichtig, dass wir unsere Kritik präzise definieren und benennen, was uns wirklich wichtig ist". Sie lobt etwa das neue Büro zur Bekämpfung der Korruption, das gegen den Willen von Regierung und Präsident mit einem sehr engagierten Abgeordneten besetzt worden sei. Der gesamte öffentliche Dienst müsse auf den Kopf gestellt werden, so wie man jetzt in Kiew mit der kompletten Reorganisation der Polizei begonnen habe. "Man muss die alten Leute alle absetzen und die Neuen ordentlich bezahlen, damit sie nicht gleich wieder korrupt werden", sagt Rebecca Harms.

Ukrainische Soldaten bei Übungen Photo by Danil Shamkin/NurPhoto
Ukrainische Soldaten bei ÜbungenBild: picture alliance/NurPhoto

EU muss mehr Druck machen

Vor allem im nach wie vor von Oligarchen beherrschten Energiesektor fehle Transparenz, kritisiert die Grünen-Politikerin, hier müsse die EU viel mehr Druck machen. Sie könne verstehen, dass Juncker vorsichtig sei mit seinen öffentlichen Äußerungen. Für die Bürger im Land aber wäre es besser, Probleme offen zu benennen. Petro Poroschenko selbst etwa habe sich z.B. nicht von seinen Medienunternehmen getrennt. "Wir müssen denen, die das Land verändern wollen, durch unsere Kritik helfen", sagt Rebecca Harms. Was aber das Minsker Abommen angeht, ist ihre Position eindeutig: "Solange es nicht gelingt, Putin zum Abzug der russischen Soldaten aus dem Donbass zu bewegen, wird es nicht möglich sein, dass Minsk hält". Ein entscheidender Geburtsfehler sei nach wie vor, dass es keine robuste Überwachungsmission vor Ort gebe, denn die OSZE könne das nicht leisten, so Harms. Ihr Fazit heißt: "Es gibt Fortschritte, aber nicht genug".

Grüne Politikerin Rebecca Harms Foto: Wiktor Dabkowski
Rebecca Harms fordert konstruktive Kritik an der UkraineBild: picture alliance/Wiktor Dabkowski